Exoten


Drei-Liter-Einzylinder-Bike

"Mees-Arbeit"

Wetten ist wie`s Ehrenwort geben. Und wenn`s um die Ehre geht,
verstehen die Menschen ganz oben in Deutschland keinen Spaß.
Schließlich behauptete Claus Mees am 28. August 1998 das
größte Einzylinder-Motorrad der Welt zu bauen.
Der Wetteinsatz: eine Flasche Bier.

Text&Fotos: Winni Scheibe



August 1999: The Paddy is over


Nördlich von Hamburg wird die Welt platt. So flach, dass man bei schönem Wetter sogar Helgoland sehen kann. Gleich links von Schleswig liegt Schuby. Eine 2500-Seelen-Gemeinde, die kaum jemand kennt. Das kann sich aber schon bald ändern. Was jedenfalls die Motorradszene betrifft. In Schuby wohnt nämlich Schmiedemeister Claus Mees, 42, und der hat das größte Einzylinder-Motorrad der Welt gebaut. Mit über 3-Liter-Hubraum und wenn er Bock darauf hat, lässt er das Ungetüm auch noch nach Mitternacht laufen. Nicht immer, in letzter Zeit aber immer öfter, nur so zur Gaudi versteht sich. So spektakulär sich die ganze Sache nun auch anhören mag, die Idee für den dicksten Einpott seit Erfindung des Maßkruges war zunächst nur ein Jux. Und das kam so.
Die jährliche Scheunenfete von Jörg Lausen hat Tradition, für die Schubyaner ist sie längst Kult. An nichts fehlt`s, vor allem nicht an kistenweise Flens, dem weltberühmten Flaschenbier mit Bügelverschluss. Kaum einer lässt sich die Sause entgehen, man kennt sich, manche bereits aus dem Kindergarten. Zu den ganz Harten gehören Claus, Uwe, Jörg, Rüdiger, Jens, Peter, Holger und noch ein Jörg aus Schubys Motorrad-Clique. Ihnen kann man so leicht nichts vormachen, sie wissen genau, was Sache ist.



Claus Mees: Das Ding mit 3-Liter-Hubraum

Und dann das. Als sich die Scheunen-Party gerade ihrem High Noon näherte, prahlte Uwe mit einer Eigenbau-NSU, die angeblich einen Einzylinder-Motor mit fast 1000 ccm haben soll. So hatte er es jedenfalls im Guinness-Buch der Rekorde gelesen. Sein Gag konnte kaum besser kommen. Die Einspurexperten hielten sich die Bäuche vor Lachen, manche krümmten sich schier zusammen, andere wollten es einfach nicht glauben und Claus rief: "Alter, so ein Schnee von gestern" und "mit so einem Pipkram braucht mir erst keiner zu kommen. Voll die Lachnummer, in das Loch muss mindestens zwei oder gleich drei volle Liter rein", forderte er.
Die Stimmung überschlug sich, alle schnackten durcheinander, jeder hatte was Wichtiges zu sagen, zwei Liter, drei Liter, hö, hö, Einzylinder, hö, hö, was den noch, hö, hö und das geht doch nie, hö, hö! Claus ließ sich aber nicht unterkriegen und posaunte: "dann baue ich eben einen Einzylinder mit mindestens 3000 Kubikzentimeter Hubraum! Wetten?"
Bingo! Nachbar Jörg schlug ein, nahm die Wette an. Der Einsatz: eine Flasche Bier. Und so wurde an diesem denkwürdigen 28. August 1998 ungefähr gegen Mitternacht vereinbart, zur nächsten Scheunenfete, aber spätestens in einem Jahr, muss das Hubraumwunder fertig sein. Alter prost, hö, hö, geile Party, hö, hö.... und der Abend war noch lange nicht zu Ende...

Dass fast zeitgleich Werners "Satte Literschüssel" vom Comic-Krad zum leibhaftigen Asphalt-Dampfhammer mit beachtlichen 1440 ccm Hubraum zusammengeschraubt wurde, konnten die Motorradfreunde nicht ahnen. Auch dass im tiefen Süden bei Fulda ein gewisser Franz Langer, genau der rüstige Rentner, der bereits besagten NSU-Einliter-Single gebaut hatte, über den Plan einer 2-Liter-Einzylinder-Maschine sinnierte, war ihnen damals ebenfalls völlig unbekannt. Ehrlich, sie wussten von alledem absolut nichts.


"Mees-Becher":
Einzylinder mit 3-Liter-Hubraum


Wer nun aber glaubt, dass nach der feuchtfröhlichen Scheunenfete am nächsten Morgen alles vergessen war, hat sich gewaltig geschnitten. Meister Mees hatte schließlich gewettet und das ist wie ein Schwur oder sein Ehrenwort geben. Ein Sprung ins kalte Wasser war es für den wackeren Dorfschmied jedoch nicht. Mit Motorrädern kannte er sich schließlich aus. Seine BMW R50 von 1962 hatte er generalüberholt, verschiedene Maschinen von Horex, NSU, Zündapp und BMW für Freunde und Bekannte restauriert. "Also, was soll da schon bei sein", original Zitat Mees. Und genau mit dieser Einstellung ging er ans Werk. Konstruktionszeichnungen oder gar Betriebsfestigkeitsberechnungen, Fehlanzeige. Was zählte, waren handwerkliche Grundwerte, langjährige Berufserfahrung und ein gutes Gefühl im Bauch. Muster, Vorbilder oder Fachliteratur über solch einen Pott gab es sowieso nicht. Gefordert waren Pioniergeist, Einfallsreichtum und Erfindergabe. Im Geiste stand sein XXL-Single jedenfalls schon schnaufend und böllernd vor ihm. Dass er es schaffen würde, war sich der Schmiedemeister 100%ig sicher. Allen Schul- und Universitätsweisheiten zum Trotz, machte sich der Feierabend- und Wochenend-Konstrukteur an die Herausforderung, die tägliche Arbeit in seinem Betrieb musste schließlich ja auch irgendwie weitergehen.
Die wichtigsten Werkzeuge waren seine Hände, dazu natürlich die Werkzeugmaschinen in seiner Schmiede. Er hatte aber auch vielfach das Glück, immer genau das, was er gerade brauchte, irgendwo zu finden. Denn außer den drei 10 cm großen Kugellagern für den Kurbeltrieb, einem Schlauch fürs 17-Zoll-Seitenwagenrad und 5 Liter Motoröl kaufte Claus Mees, um es hier gleich vorweg zu nehmen, kein einziges Teil neu. Schwermetall-Brocken, gewaltige Eisenplatten, dicke und dünne Kupferrohre, Züge, Leitungen, Bleche, Hebel, Stangen, Schrauben, Muttern und wer weiß was sonst noch, ließen sich im Lager der bereits seit 1806 im Familienenbesitz befindlichen Dorfschmiede finden. Alle anderen Sachen konnte er von Freunden, Bekannten, Nachbarn und von Schrottplätzen organisieren. Auf solch einem Entsorgungslager fand er auch den gewaltigen 16,5 cm dicken Kolben samt Pleuel, Gewicht 13,5 kg. Die Herkunft dieser Teile, so wollte man ihn überzeugen, sei ein 830 PS starker Leo-Bergepanzer. Den Wahrheitsgehalt dieser Information, so gibt Meister Mees allerdings zu, hätte er bis auf den Tag nicht überprüft und es sei ihm auch ziemlich Schnuppe. Ein als Zylinder taugliches Stahlrohr entdeckte er gleich nebenan im Altmetall-Container. Damit war der Anfang gemacht.




Als nächstes musste eine Kurbelwelle her. Den Hub legte unser "Herr Ingeniör" auf 142,5 mm fest, woraus sich exakt 3034 ccm Hubraum ergaben. "Viel mehr, als in der Wette vereinbart war", erinnert sich Claus Mees an die ersten Stunden. Der Schalk steht ihm dabei im Gesicht geschrieben.
Kurbelwellenwangen, Zapfen und Schwungscheibe mit Zahnkranz für den Anlasser fertigte er aus massiven Stahlblöcken. Große Sorgfalt ließ der Motorenbauer beim Auswuchten walten. Letztlich drückte die Welle aber doch noch satte 38,5 kg auf die Waage. Übertroffen wurde das Trumm nur noch von der 42 kg schweren Schwungscheibe. 

Den Motorblock aus dem Vollen fräsen oder gar extra gießen lassen, kam nicht in Frage, zu teuer, zu aufwändig. Die Lösung war ein selbstgebauter Kasten, den er aus 10 mm dicken Stahlplatten zusammenschweißte und gleichzeitig vorne und hinten mit massiven Lagerböcken für die längsliegende Kurbelwelle versah. Für die ohv-Funktion lag dann das Augenmerk auf der Ventilsteuerung und das Drumherum. Hört sich einfach an, war es aber nicht. Wohin mit der Nockenwelle und Zündanlage, welche Verdichtung ist erforderlich und gibt es überhaupt einen Vergaser, der ein brauchbares Gemisch liefern würde. Fragen über Fragen.



Zylinderkopf der HG 3000

Der Zylinderkopf war das kleinste Übel. Er wurde von einem 15 PS Deutz-Schlepper besorgt, die gut und gerne 2 mm starke Zylinderkopfdichtung aus einer Kupferplatte ausgesägt und anschließend fachmännisch weichgeglüht. Überschlägig ergab dies ein Verdichtungsverhältnis von ungefähr 1:2,68. Heimattreue bewies der Pfiffikus beim Steuertrieb und Zündgeber. Eine VW Passat-Nockenwelle musste Dreiviertel ihrer Länge lassen und das Gehäuse hierfür ist aus dem Vollem gearbeitet. Die gut 30 cm langen Stößel sind Präzisionsarbeit aus Stahl, die Stößelhülsen dagegen irgendwelche Reste von 18 mm Heizungsrohren. Den Zündverteiler lieferte ein bereits verschrotteter VW Golf I. Der Clou des modifizierten Funkenspenders mit automatischer Zündverstellung ist die fehlende Verteilerkappe, sie wurde durch ein altes Taschenlampenglas als Sichtfenster ersetzt. Als technischen Leckerbissen bezeichnet Claus Mees die "halbhoch außen liegende Nockenwelle" links am Motor. Etwas Vergleichbares hat er noch nirgends woanders gesehen.




Gut vier Monate nach der Party und wenige Tage vor Silvester stand der Rohbau auf der Werkbank. Ein gewaltiger Einzylinder-Motor, ein Meter zehn hoch und gut drei Zentner schwer. Noch nie hatte die Menschheit so etwas gesehen und seine Kumpels schon ganz und gar nicht. Die Luft brannte. "Und der Kübel läuft schon jetzt", verkündete selbstsicher der bodenständige Handwerker. Zwar fehlten noch Ölwanne und Vergaser, dafür waren Zündspule und VW Bulli-Anlasser provisorisch rangesteckt. Zu den weiteren Hilfsmitteln gehörten eine Trecker-Batterie und eine Dose Startpilot. Claus Mees konnte es kaum erwarten, mit einem Überbrückungskabel gab er Saft auf den Anlasser. Die Kurbelwelle drehte sich, die Kerze funkte, gleichzeitig sprühte er Startpilot in den Ansaugkanal. Blop, blop, es fauchte, zischte und blitzte, plötzlich ein ohrenbetäubender Schlag und dann: bong, bong, bong - der Motor lief! Gleichmäßig rund und mit mindestens 125 Dezibel Lautstärke.

Äh Alter, echt gewaltig", die Kumpels schlugen aus lauter Freude Claus fast die Schultern grün und blau. "Gewaltig!" Das war's, Meister Mees hatte endlich einen Namen für seine Wundertüte. Und schon kam ihm die nächste Blitzidee: die Römer glaubten auch nicht, dass Hannibal der Karthager mit seinen Elefanten es über die Alpen schaffen würde. Der endgültige Name stand somit fest: "Hannibal der Gewaltige", kurz "HG 3000".

 


Herr der Ringe: Claus Mees


Claus Mees genehmigte sich einen verdienten und langen Schluck aus einer Buddel Flens und murmelte zufrieden "eins zu Null für mich". Das alte Eisengeraffle hatte er überlistet, seine Kumpels in der ersten Runde geschlagen. Gewonnen war die Wette damit allerdings noch lange nicht. Eigentlich ging's nun erst richtig los. Aus dem tonnenschweren Stahlklotz sollte schließlich ein fahrbereites Motorrad werden. Und dazu brauchte er ein Fahrwerk. Als BMW-Fan und Kenner vertraute er natürlich auf bewährte Bayern-Technologie. Die, wie jeder weiß, aber aus Berlin kommt. Eine BMW R75/5 von 1971 musste dafür ihr Dasein lassen. Ruckzuck war der Motor ausgebaut und der Rahmen mit einer Flex zerschnitten. Der Vorderbau wurde direkt mit dem Meers-Aggregat verschraubt, Achtern sollte das BMW-Heck inklusive Kardanantrieb, Kupplung und Getriebe Verwendung finden. Diesen Streich bewerkstelligte der Herr des Schwermetalls mittels einer ziemlich exakt gefertigten und gut 10 mm starken Glocke aus gewalztem Stahl, die hinteren Rahmen-Rohrstummel wurden ebenfalls am eisernen Motorzylinder verschraubt.
Der Koloss stand nun auf den Rädern, die Reifen waren sicherheitshalber mit über 3 bar aufgepumpt, damit sich das Gummi nicht bis auf die Felgen platt drückte. Ebenfalls überfordert war die Telegabel, sie war voll in die Knie gesackt. Kein Problem für unseren Aktivisten. Anstelle der schwachen Federn schob der Improvisationskünstler gut ein Meter lange Stahlstäbe in die Tauchrohre, zukünftiges Einfedern war somit ein für allemal untersagt. Das Gröbste war nun geschafft, jetzt ging's an die Feinarbeiten.


HG 3000: Kommandozentrale


HG 3000: Sitzmöbel


HG 3000: Power-switch



HG 3000: Spurhalter


Ein ausgeklügelter Schmierplan sollte alle wichtigen Stellen mit Öl versorgen. Hierfür setzte der Konstrukteur eine ausrangierte Schlepper-Hydraulikpumpe nebst Ölfilter, gut zwei Meter außen verlegte Ölleitungen sowie einen Öldruckmesser vom Traktor ein. Die Ölwanne ließ sich vom BMW-Boxer-Motor übernehmen.
Kopfzerbrechen bereitete dagegen die Vergaser-Wahl. Erste Versuche mit den beiden Unterdruck-Vergasern von der R75/5 schlugen voll fehl. Der Motor nahm nur unwillig Gas an, wollte nicht richtig auf Touren kommen. Zu mickrig für das riesige Loch im Zylinder, schätzte Claus Mees und probierte Dreifach-Spritspender vom Porsche 911 aus. Was sich allerdings auch als Niete erwies. Dritter und letzter Versuch war ein stinknormaler Vergaser vom Opel 1900 und siehe da, Hannibal ließ das Auspuffrohr glühen. Auf die Frage, wie hoch seine "Hanni" überhaupt dreht, kann Claus Mees exakte Auskunft geben: "In Leerlauf sind es höchstens 150, bei Vollgas maximal 800 Umdrehungen pro Minute. Und das stimmt ziemlich genau, man braucht nur mit zu zählen."




Eigentlich wäre die Geschichte hier fast zu Ende. Pünktlich zu Lausens Scheunen-Fest am 28. August 1999 startete Wettkönig Mees das Roll-Out. "Hannibal der Gewaltige" zeigte sich von seiner besten Seite, spuckte Feuer, knallte und fauchte und hüpfte wie ein wild gewordener Straßenbau-Stampfer über die Hofeinfahrt. Das Volk tobte, Nachbar Lausen überreichte die Wettschuld. "Prost Alter", Sieger Mees haute die Buddel in einem Zug weg. Scheunen-Parties sind einfach geile Feten, prost Alter...
Und dann passierte es wieder, "das Ding muss unbedingt ins Guinness-Book" rief Uwe in die Runde. "Jau Alter, Weltrekord", antworten die Kumpels wie aus einem Mund. Bald war die Sache geritzt, seit 2001 steht "Hanni" im Rekord-Buch, prost Alter!

Mit der Schrauberei war es nun aber noch lange nicht zu Ende. Hanni-Treiber Mees wollte schließlich gelegentlich "auf Tour gehen". Im Solo-Trim allerdings unmöglich, zu hoher Schwerpunkt, unkontrollierbares Handling und auf Dauer nicht beherrschbar. Also kam ein Stützrad dran, gefunden beim Bauern Clausen. Die Rohre fürs Beiwagen-Chassis waren schnell zusammengeschweißt, als Ballast diente eine 35 kg schwere Trecker-Batterie und manchmal auch ein Kasten Bier.


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