Fahrberichte


Kawasaki Versys
Modelljahrgang 2007

Ein gelungener Wurf

Mit der Versys möchte Kawasaki es allen recht machen.
Den Stollenreitern, Asphalt-Surfern, Alltags-Bikern,
Einsteigern und Wiedereinsteigern.
Das Unternehmen scheint gelungen.

Erfahren von Wolfgang Fromm
Fotos: Fromm, Scheibe

 


Versys, die "Vielseitige", verspricht das Prospekt. Vorsichtig geworden durch Prospekt- und Wahlversprechen, soll die Kawasaki mal ihre Vielseitigkeit zeigen. Nun, vielseitig beginnt schon die Auswahl des Zubehörs. Ein kleiner Windabweiser auf der Scheibe soll den Fahrtwind regulieren, damit zeige ich mich schon genügsam. Her mit dem streetfightenden, Gelände freundlichem, Asphalt süchtigem Gerät. Schon der Schwung in den Sattel zeigt ihre wahre Größe. Ungewohnt in modernen Zeiten die Sitzhöhe mit 84 Zentimetern. Dank Wespentaille der Tank/Sitzbankkombination ist ein beiderseitiger Bodenkontakt mit ausgefahrenem Fahrgestell gewährleistet. Wer`s denn braucht, der kann aber die Sitzbank gegen eine niedrigere tauschen. Mit den ersten Umdrehungen des Anlassers läuft der Motor rund. Die Spiegeleinstellung gelingt super, da hier nicht modischer Zierrat verbaut wurde, sondern tatsächlich Rückspiegel zur Beurteilung des rückwärtigen Verkehrs!





Gut gelaunt und zufrieden mit der Sitzposition im lockeren Tourenstil geht`s nun ans Werk. Der Twin poltert in den unteren Drehzahlen, soll heißen bis etwa 3500/min wie ein alter Eintopf. Dann wird er rund und geschmeidig und drückt den Fahrer gegen die deutlich abgesetzte Sitzbank. Die Gänge fliegen mit oder ohne Kupplung und die geschwungene Straße wird zum Lustobjekt. Die kleine Kurvenhatz beschwingt das Herz, locker nimmt das Fahrwerk mit seinen langen Federwegen die ausgebesserte Fahrbahndecke. Erst die frischen Flicken erinnern mit ihrem Rollsplitt an die Grenzen der Physik. 

By the way, hier kann das ABS-System mal zeigen, wie es auf ein blockierendes Rad anspricht. Kein Verkehr im Rückspiegel, kein Gegenverkehr, dann mal los. Kräftiges Zupacken verspricht gute Bremswerte und auf dem Kiesfleck löst das ABS brav das immer wieder blockierende Vorderrad. Spurstabil gelingt die Bremsung bis zum Stillstand. So soll es sein! Die Boschanlage regelt übrigens auch in der BMW F 800. Und was ich da schon über das ABS der Versys gelesen habe! Über fühlbarem Druckpunkt der Auslösung bis zum zu frühen Ansprechen, beim harten Gangwechsel nicht kalkulierbares Ansprechen und so weiter und so weiter. Glaubt mir Leute, das ABS funktioniert! Es löst ein durch die Bremsanlage aktiviertes Blockieren, wann immer es erfolgt. Wenn kein Rad blockiert, dann kein ABS! Und unter etwa 10 km/h kein Regeln. Alles andere ist frei erfunden. Unabhängig vom ABS ist die Bremsanlage vorn mit Doppelbremsen, hinten eine Single-Scheibe alleerste Wahl.


Selbstverständlichkeit:
Das ABS bei der Versys
Zur ABS-Story



Mit großen Ziffern warnt der digitale Tacho vor Übermut auf Landstraßen. Wenn er nur nicht so zappelig die ermittelten Werte darstellen würde. Aber vielleicht ist hier eine neue Spielart für langweilige Autobahntouren entwickelt worden: wie lange kann man eine konstante Geschwindigkeit auf dem Tacho halten. 5 Sekunden sollten auch einem Anfänger nach einigen Übungsstunden gelingen. An dieser Stelle ein Tipp aus der Luftfahrtforschung: nicht die Anzeigen nur in digitalen Ziffern allein darstellen. Erfordert zuviel Aufmerksamkeit und kostet Zeit zum Lesen. Ein digitaler Balken oder Rundanzeige mit fixer Bezifferung sind für bessere Interpretation geeignet. Erhöht einfach die Sicherheit durch kürzere Lesezeit und rasches Auffassen. Ganz verpönt ist übrigens die Darstellung aus der Gemischtwarenabteilung, Drehzahlmesser aus dem Uhrenladen und Geschwindigkeitsmesser mit digitalen Ziffern. Das "Vielseitige" ist hier etwas zu viel. Und wenn schon digitale Spielerei, dann kann auch bei der 50er und 100er Anzeige ein Symbol auf die vorgeschriebene Geschwindigkeit hinweisen. Gut sind wieder die weiteren Funktionen des kleinen Cockpits, der Wegstreckenzähler mit zwei verschiedenen Kurzstreckenmessern und die Uhr.




Über den kleinen Feldweg von nebenan geht’s ab in die Natur. Die "Vielseitige" ist auch dafür gebaut. Eine lange Staubfahne zeichnet den Weg. Motorradwandern auch abseits der breiten Pisten ist möglich. Doch sollte es bei Schotterwegen bleiben. So richtig freies Gelände ist doch nichts für das Bike. Soll dann langsamer gezirkelt werden, ist der erste Gang noch zu lang übersetzt. Manche Passagen sind dann nur noch mit schleifender Kupplung zu bewältigen. Bleiben wir lieber auf der Straße, denn dafür sind auch die Reifen optimal ausgewählt Der kleine Windabweiser ist auch während der Fahrt zu justieren, er rastet in verschiedenen Positionen ein und erfüllt seine Erwartungen. Fast bedauerlich, nicht den Jethelm mit Sonnenbrille als Kopfschmuck gewählt zu haben.

Mit einem kleinen Windabweiser auf der Scheibe lässt sich der Fahrtwind regulieren


Die Verwirbelungen auf der Autobahn sind minimal. Mit 185 km/h ist sie ausgewiesen. Die schafft sie auch locker. Die digitale Geschwindigkeitsanzeige zappelt sich bis an die 200er Grenze ohne Windschatten aber leichtem Rückenwind heran. Die nackten Zahlen über die Kraftentwicklung sind nicht das Maß der Dinge. Die 64 PS bei 8000/min entsprechen nicht der Leistung, die das Triebwerk in der Kawasaki ER-6n/f hat. Aber!! Mit anderen Nockenwellen mit kurzen Öffnungswinkeln, neu programmiertem elektronischen Motormanagement und neuer Auspuffanlage ist das Werk gelungen. Optisch gerundet, vom Ofenrohr-Design befreit und ohne Phallussymbolik liegt der Auspufftopf unter dem Triebwerk und entlässt die mageren Abgase auf der rechten Seite ins Freie. 


Dadurch optimiert auf eine mittlere Geschwindigkeit zwischen 80 und 120 km/h beißt die Versys auf der Landstrasse zu, dass manchem Supersportler die Strecke zur Sightseeing Tour verblasst. Die erste Rast führt wie so oft zur beliebten Eisdiele. Misstrauisch öffne ich den modischen Koffer und verstaue ohne Probleme meinen Helm Größe 60 in dem modischen designten Gepäckfach. Ich muss gestehen, die Form folgt der Funktion. Der Verdacht beschlich mich anfangs, dass der Name "Versys" für "Versace Systems" stehen würde und von dem besagten Modehaus in Zusammenarbeit mit Herrn Colani gezeichnet wurde. 



Während der Cappuccino-Schaum der Zunge schmeichelt, rollen weitere Motorradfahrer an. Es wird voll auf dem Parkplatz, wenn die Kassler Jungs, pardon, Mädchen und Jungs bei uns auf der Chaussee einfallen. Aber so lässt sich leicht feststellen, dass die Versys ein stolzes Stück höher ist als die Sportler und Sporttourer, egal welcher Couleur, links und rechts neben ihr. Und Stolz strahlt ihre aufrechte Haltung aus. Die lange Reihe der geduckten, aggressiv wirkenden Bikes mit den zwei schlitzäugigen Scheinwerfern geben sich dagegen eher wie angeleinte Kampfhunde. Die Versys mit ihrem Scheinwerferdesign hinter der Kunststoffnase hat ein eigenes Gesicht. Ich habe nicht schön gesagt, aber es ist, wie so vieles an diesem Motorrad, „in einem eigenen Design" dargestellt und macht einen hochwertigen Eindruck.




Mit der Kawasaki Versys ist man nicht einsam. Schon steht eine junge Frau vor mir und fragt, "ob ich denn zufrieden wäre mit dem Motorrad?" Ich konnte nur nicken, denn mit Helm vom Kopf ziehen gelingen längere Erklärungen nicht. "Die Versys ist wohl mein nächstes Sparziel," - und verblüfft mich mit der Erkenntnis, dass die relativ neue Kawasaki einen recht hohen Wiedererkennungswert hat. Während sie sich wundert, dass die "Versys" schon in der Provinz zu sehen ist!


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