Kawasaki W650 von 1999
Kingside
Eigentlich zählt in der Szene nur Innovation,
Power, Speed und Outfit.
Eigentlich. Bei der neuen Kawasaki W650
ist jedoch alles ganz anders.
Hier scheint die Zeit vor 30 Jahren
stehen geblieben.
Text: Winni
Scheibe
Fotos: Scheibe, Kawasaki
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Motorradfahren hält jung. Keine Frage. Ganz
anders als im Auto, einfach hinsetzen und losfahren, is` nicht.
Geistige und körperliche Fitness ist gefordert. Und weil das so
ist, fühlen sich auch die ewig Jungen immer noch ziemlich frisch.
So einfach ist das. Motorradfahren hat aber auch etwas mit feeling
zu tun. Zum einen wie man selbst drauf ist, zum anderen welchen
Charakter das Bike vermittelt. Ihr wisst schon: Tourer, Puristen,
Sportler, Supersportler, Chopper, Cruiser, Enduro und wer weiß
was sonst noch. Sich einfach "Biker" nennen, wäre
schließlich viel zu einfach. Und weil das Hobby reichlich mit
Technik, Sport, Reisen, Freizeit und ruhmreicher Historie zu tun
hat, gibt es unter Motorradfahrern natürlich immer etwas zu
erzählen.
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"Mit der Nase im Wind" -
wie Gestern |
Dumm wird die Sache nur, wenn es um Vorgestern
geht. Als Motorräder noch Motorräder, Fahrer echte Kerle, die
Musik rockig, lange Haare und Diskotheken in, die Eltern
verspießt, Zusammenleben wilde Ehe hieß, ein Glas Bier 45 und
der Liter Benzin 50 Pfennige kostete, für die Urlaubsfahrt ins
Ausland ein Reisepass nötig war und Auflüge grundsätzlich ein
unkalkulierbares Abenteuer bedeuteten. Eine Zeit also, die man
selbst nicht miterlebt hat, sie nur aus Erzählungen, Berichten
oder Filmen kennt.
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Gemeint sind die wilden Sechziger.
Und genau in
dieses schwarze Loch bringt Kawasaki jetzt Licht. Die
Zeitmaschine, die einen dahin bringt, heißt W650. Allerdings
nicht mit "Mach III", sondern geruhsam, schön beschaulich.
Denn damals waren "Rushhour", "Stress" und
"Hektik"
Fremdwörter. Früher, Mitte der Sechziger, war tatsächlich
noch vieles anders. Zwar nicht besser oder schlechter, nur
weniger. Jedenfalls, was das Motorradgeschäft betraf. Denn damit
wollten nur noch wenige etwas zu tun haben. Bei uns jedenfalls.
Ganz anders in den USA. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten
hatte die Jugend das Motorradfahren als neue
Freizeitbeschäftigung entdeckt. Für Spaß, Hobby, Sport,
Abenteuer, aber auch für den Ausbruch aus der konservativen,
bürgerlichen Gesellschaft: "born to be wild"!
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Hoch im Kurs standen die dicken Brummer von
Indian, Harley-Davidson, BMW, Triumph, BSA und Norton. Japanische
Reiskocher hatten auf dem Markt (noch) nichts zu melden. Ihr
Moped-Angebot richtete sich vornehmlich an Hausfrauen, Schüler
und Studenten. Und damit auch tatsächlich jeder wusste, was damit
gemeint war, sangen die Beach Boys den Ohrwurm „Little
Honda". Eine Ausnahme gab es allerdings: die Kawasaki W1. Ein
richtiges Bike mit 50 PS starkem 650er Viertakt-Twin. Wau! Eine
gewisse Ähnlichkeit zur englischen BSA A7 ließ sich leider nicht
verleugnen. Auch kein Wunder. Die W1 war nämlich eine perfekte
Kopie. Und das nahmen die US-Biker Kawasaki verdammt übel. In den
Staaten holte sich der Dampfhammer Plattfüße.
Die W1 wurde trotzdem zum Verkaufsknüller,
allerdings nur im eigenen Land. In Japan war sie das Überbike
schlechthin. Wer eine W1 fuhr, war "King of the Road". Als
kleinster japanischer Motorradhersteller hatte Kawasaki 1966 den
Mitbewerbern Honda, Yamaha und Suzuki nach dem Motto „stärker,
schneller und besser" gnadenlos gezeigt, wo der Hammer hing.
Dieser Firmenphilosophie huldigt das Werk bis auf den heutigen
Tag.
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Und jetzt plötzlich die W650? Eine Maschine
wie aus den sechziger Jahren. Wer soll das verstehen?! Kawasaki
selbst jedenfalls am besten. Schon vor über zehn Jahren hat man
nämlich jede Menge Anfragen mit der Bitte bekommen, man sollte
die schönen alten Bikes von früher frisch aufs Band legen. Die
erste erfolgreiche Antwort war die Zephyr-Modellreihe, geboren aus
der Erinnerung an die legendäre Z900 "Z1" von 1972. Der
zweite Streich ist nun die W 650, der W1 von 1966 sei Dank. Wer
allerdings aufgewärmte Technik von damals erwartet, wird
enttäuscht. Die W650 ist rundherum eine Neukonstruktion. Mit
Königswellenantrieb für die obenliegende Nockenwelle, vier
Ventilen pro Zylinder, und damit der Parallelläufer nicht allzu
sehr vibriert, mit Ausgleichswelle. Dagegen ist die Optik
eine Sensation, so wie früher! Man braucht die W 650 keinem zu
erklären. Alle technischen Ausführungen sprechen für sich, sind
überschaubar, leicht verständlich. Der luftgekühlte Motor mit
besagter Königswelle und Kickstarter, der solide
Doppelschleifenrahmen, die klassischen Speichenräder, vorne eine
Scheibenbremse, hinten Trommelbremse, ein Tank wie ein Tank zu
sein hat und eine praktische Sitzbank für zwei Personen. Eben ein
richtiges Motor-Rad. Fast genauso wie damals die Triumph
Bonneville, BSA Spitfire oder Kawasaki W1. Nur mit dem kleinen
Unterschied, die W 650 ist Baujahr 1999.
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Retro-Klassiker wird dieses Bike heute genannt,
und damit Erinnerungen an früher mit Absicht geweckt. Jedenfalls
bei all denen, die die Sechziger miterlebt haben. Alle anderen,
die sich jetzt vorstellen können, was damals los war, können mit
der W 650 dahin zurück kutschieren. Und hierfür wird der Motor
ganz cool per Kickstarter angeworfen, ein-, zweimal Gas gegeben
bis er rundläuft, dann lässig der erste Gang eingelegt und ab
geht die Post. Burnouts, Wheelies und sensationelle Showeinlagen
überlässt der W650-Treiber der Hypersupersportbike-Fraktion.
Man steht über den Dingen. Das Gleiche gilt für unterwegs.
Niemandem braucht man etwas vorzumachen oder zu beweisen.
Schließlich ist der 50 PS starke Motor so ausgelegt, dass er
über genügend "Dampf aus dem Keller" verfügt.
Gemütliches Dahinbummeln im fünften Gang ist angesagt. Aber auch
im Durchzug kann der Twin begeistern. Die rund 200 kg schwere
Maschine zieht in jeder Lebenslage kräftig vorwärts. Aufrecht
sitzend, mit der Nase im Wind wird der Weg zum Ziel, sich Bewegen
wird zum Fahrspaß. Und dazu der Sound! So klingt nur ein
großvolumiger Viertakt-Twin. Fast hätte man diese Melodie
vergessen. Auf die Idee zum Rasen kommt keiner, dann würde man ja
nichts mehr hören. Und wenn irgendwann das Ziel erreicht ist,
kann man den Kumpels viel erzählen. Vom Streckenverlauf, von der
schattigen Baumallee, den schönen Kurvenkombinationen, den
Ortsdurchfahrten mit den alten Fachwerkhäusern, den Leuten längs
der Straße und wie sie hinter einem her geguckt haben, und,
und...
Spätestens jetzt kommen die Heizer ins
Grübeln. Sie sind exakt die gleiche Strecke gefahren, gesehen
haben sie aber nichts. Dafür waren sie zwei Minuten früher am
Biker-Treff. Und das ist schließlich ja auch etwas...
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Technische Daten
Kawasaki W 650
Baujahr 1999
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Motor:
Luftgekühlter SOHC-Zweizylinder-Viertakt-Motor, "Parallel-Twin",
Triebwerk in Gummielementen gelagert, eine über Königswelle
angetriebene, obenliegende Nockenwelle, Kipphebel, vier Ventile pro
Zylinder, eine Ausgleichswelle,
Hubraum 676 ccm, Bohrung x Hub 72
x 83 mm, Leistung 37 kW (50 PS) bei 7000/min, max. Drehmoment 56
Nm (5,71 kpm) bei 5500/min, Verdichtung 8,6:1, zwei
Keihin-Gleichdruckvergaser, CVK34, Nasssumpfschmierung,
Transistorzündung,
Batterie 12 V 12 Ah, KCA-Abgasreinigung
(Kawasaki "Clean Air System")
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Kerniger "Parallel-Twin"
(Foto: Kawasaki)
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Getriebe:
Primärantrieb über Zahnräder, Mehrscheiben-Kupplung im Ölbad,
klauengeschaltetes Fünfganggetriebe, Sekundärantrieb über
O-Ring-Kette, E.- und Kickstarter |

Fünfganggetriebe mit Kickstarter
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Fahrwerk:
Doppelschleifenrohrrahmen, Telegabel, Standrohre Ø 39 mm,
Hinterradschwinge, zwei fünffach verstellbare Federbeine, vorne
und hinten Speichenräder mit Alu-Felgen, vorn eine Scheibenbremse
Ø 300 mm, hinten Trommelbremse Ø 160 mm, Bereifung vorn
100/90-19 57H TT, hinten 130/80-18 66H TT
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Abmessungen und
Gewichte:
Nachlauf 105 mm, Radstand 1450 mm, Sitzhöhe
800 mm, Federweg vorn/hinten 130/85 mm, Tankinhalt 15 Liter,
Leergewicht 212 kg, Zul. Gesamtgewicht 395 kg, Spitze 180 km/h |

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