Fahrberichte


Vectrix Electric Scooter

"AC-DC-Stromer"



Er sieht aus wie ein Scooter, fährt sich wie ein Scooter und ist auch
ein Scooter. Auf den ersten Blick jedenfalls. Doch das Gewohnte fehlt,
kein Rauch, kein Gestank, kein Krach, kein Benzinmotor. Ein gut 20 kW
starker Gleichstromgenerator sorgt für einen fast lautlosen Vorschub
und dient gleichzeitig als Bremsfallschirm. Als weltweit erster
ernstzunehmender Elektro-Roller könnte der Vectrix Maxi in
die Fahrzeuggeschichte eingehen.

Text: Winni Scheibe
Fotos und Zeichnungen: Achim Melde, Winni Scheibe, Werk



Reichstag:
Sitz der Bundesregierung in Berlin


Donnerstag, 16. Oktober 2008, 18:30 Uhr. Im Reichstag wirkt die Luft wie elektrisiert. Es wird debattiert, Fraktionen tagen. Es geht um Deutschland, die Wirtschaft, um die Rettung der Finanzwelt und um viel, sehr viel Geld. Von 500 Milliarden Euro, ausgeschrieben 500.000.000.000 Euro, ist die Rede. Kaum wahrgenommen wird die Jahreshauptversammlung der Sportgemeinschaft Deutscher Bundestag e.V. im Tagungsraum gleich neben dem SPD-Sitzungssaal. Auf dem Weg zum Meeting begegnet mir Franz Müntefering. Ein kurzes Hallo, die Anspannung steht ihm im Gesicht geschrieben. Als Mitglied der Sportgemeinschaft und ehemalig im Vorstand und als Pressereferent Sport im Parlament tätig, ist der Termin für mich Pflicht. Die Tagesordnungspunkte werden zügig abgearbeitet, nach 45 Minuten ist alles durch. Die Gedanken sind woanders, jedenfalls bei den Sportfreunden aus dem Bundestag.



Vectrix Electric Scooter


Freitag, 17. Oktober 2008, 9:30 Uhr. Mein nächster Termin in Berlin steht auf dem Programm. Vis-a-vis vom Reichstag, im Schiffbauerdamm bei der Vectrix Deutschland GmbH. Marketing Manager Sven Wedemeyer begrüßt mich, weist mich in die Finessen des Test-Scooters ein. Wie bei den meisten Rollern wird die Vorderradbremse über den rechten Handhebel und die Hinterradbremse über den linken Hebel am Lenker betätigt.

 

Einen "Gasgriff" gibt es natürlich auch. Zieht man wie gewohnt am "Kabel", geht’s vorwärts, zurückgedreht in "Nullstellung" bekommt der Generator keinen Strom. Wird das "Gas" noch weiter zurückgedreht, funktioniert der Elektromotor wie eine Hinterradbremse mit gleichzeitiger Energierückgewinnung. Der erzeugte Strom fließt in die Akkus. Setzt der Scooter-Fahrer diese Technik im Fahrbetrieb konsequent ein, verlängert das den Stromvorrat um 12 Prozent. Diesen Trick hat sich Vectrix unter der Bezeichnung DAaRT patentieren lassen.


(Zeichnung: Werk)


Ach ja, und da ist noch die Hupe, lässt Sven Wedemeyer wissen. Wird der Drücker leicht betätigt, hupt das Signalhorn verhalten, drückt man fester, macht die Hupe laut "tüt"! Das ist für die Fußgänger gedacht, damit sie sich nicht erschrecken. Schließlich ist der Scooter ja leise, fast geräuschlos rollt er mit seinen vorne 14 Zoll und hinten 13 Zoll großen Knubbelrädern über den Asphalt. Nach ein paar Minuten ist die Einweisung erledigt. Es kann losgehen.


Kein Anlassen, kein Kuppeln, kein Schalten,
alles geht fast wie von selbst!

 


(Foto: Achim Melde)


Freitag, 17. Oktober 2008, 10:00 Uhr. Zündschlüssel rein, ein Dreh, dann ein kurzes Halten des linken Bremshebels und Ziehen des rechten Bremshebels und schon leuchtet im Cockpit ein "GO": der Maxi ist startklar! Ab geht die Post. Und wie! Bei einem Motorrad würde der werte Tester vermerken, "die schiebt wie Sau". Das versteht jeder. Vor dem eigentlichen Ausflug sollen aber noch ein paar Fotos geschossen werden. Mein Kollege Achim Melde, Haus- und Hoffotograf im Bundestag, hat den Platz der Republik, das ist die Straße vor dem Reichstag, vorgeschlagen. Das wäre ein super Fotomotiv mit dem Reichstag im Hintergrund, wenn schon, denn schon, sagt er. Zunächst müssen wir jedoch zwei Polizisten erzählen, wer wir sind, was wir vorhaben und was das soll. Wir können sie überzeugen. Die beiden Sicherheitsbeamten grinsen, sie nicken, no problem, zehn Minuten später hat Achim alle Bilder im Kasten.



(Foto: Achim Melde)


Jetzt habe ich freie Fahrt. Von Ampel zu Ampel jedenfalls. Mal geht es geradeaus, mal rechtsrum, mal linksrum, eben Stadtverkehr. Mühelos versteht sich. Dank des niedrigen Schwerpunktes, die beiden rund 90 kg schweren Nickel-Metallhydrid-Akkus sind unter dem Fußraum im Alu-Rahmen versteckt, lässt sich der 236 kg schwere Maxi spielerisch durch das Großstadtgewühl zirkeln. Die Fahreigenschaften erfordern kaum Eingewöhnungszeit. Auch wenig geübte Zweiradler werden schnell mit dem Vectrix zurecht kommen, anerkennend lässt sich feststellen, alles geht kinderleicht. Durch die gute Beschleunigung schwimmt man sich frei, ist in der Kolonne immer vorne und fast immer zu schnell.



(Foto: Achim Melde)


Ruck-zuck steht nach einem Ampelstart die Tachonadel auf 80 Sachen. Dieser "Geschwindigkeitsrausch" wird selbstverständlich sofort über den rechten Drehgriff via "Motorbremse" gedrosselt. Das erzeugt Strom. Oder ist so, als ob beim Bremsen eines Motorrades Benzin in den Tank fließen würde. Schnell hat man sich an den elektrischen Bremsassistenten gewöhnt. Mit der "Gashand" wird fortan die erforderliche Beschleunigung, die gewünschte Geschwindigkeit sowie das nötige Abbremsen reguliert. Das funktioniert so gut, dass die vordere und hintere Scheibenbremse beruhigt als Notstopper abgespeichert werden können.
 


Einen Spaß erlaube ich mir zum Schluss. An einer Würstchenbude lege ich einen Stopp ein, parke den Scooter rückwärts ein. Auch das wird über den Drehgriff am rechten Lenkerende in Gegenrichtung zu "Gas auf" erledigt. Sachte rollt der Maxi rückwärts in die Parkbucht. Richtig cool wird die Übung, wenn auch noch ein paar Leute zugucken.

 

Gut 100 Kilometer könnte ich fahren, hat man mir versprochen, nach 80 Kilometer bringe ich den Vectrix zurück. Über ein Stromkabel wird der Scooter an die Steckdose angeschlossen, eine komplette Beladung der Akkus kostet noch nicht mal soviel wie ein Liter Benzin. Für mich war es kein Roller-Test, mit dem Ausflug habe ich mir aber einen ersten Fahreindruck vom Vectrix Maxi bilden können. Es hat gereicht, der "Funke" ist übergesprungen.


Danke, hat Spaß gemacht!
(Foto: Achim Melde)



"Tanken an der Steckdose"
(Foto: Werk)


Freitag, 17. Oktober 2008, 15:00 Uhr. A2 Richtung Braunschweig, ich fahre im Auto nach Hause. Jede halbe Stunde gibt es Nachrichten. Das 500 Milliarden-Finanzgesetz hat in Rekordtempo alle parlamentarischen Hürden passiert. So etwas hat es in Deutschland noch nie gegeben. Die Kommentare zum Thema überschlagen sich. Ganz zum Schluss bringt ein Sender noch eine "Randnotiz" zum Klimawandel. Am Nordpol sind 5 Grad über dem Normalwert gemessen worden, es ist viel zu warm für die Eisregion. Wenn sich dieser Trend tatsächlich fortsetzt, wird gemutmaßt, steigt bis 2030 der Meeresspiegel gut 7 Meter an. Ob unsere Regierung für dieses Szenario auch so schnell ein Rettungspaket verabschieden würde, fragt der Reporter zum Abschluss kritisch. Dann folgt der Wetterbericht.



... die beiden Tage in Berlin werde ich so schnell nicht vergessen ...
(Foto: Achim Melde)


Freitag, 17. Oktober 2008, 17:00 Uhr. A7 Richtung Kassel. Mir geht die Fahrt mit dem Maxi-Scooter nicht aus dem Kopf. Null CO2 pustet der Stromer in die Luft, ist Deutschland endlich aufgewacht? Und dann kommen mir unsere Umwelt-Aktionen in den Sinn. 1991 und 1992 wurde von Peter Frohnmeyer und mir im Rahmen der Moto aktiv Serienmaschinen Meisterschaft die "Petro-Formel-4“ organisiert. Es war eine Rennklasse, bei der es ums Spritsparen und saubere Abgase ging. Sinn und Zweck der "Petro-Formel-4" war es, die Tuner-Tätigkeit nicht nur in eine andere Richtung zu lenken, sondern auch ein neues Rennbewusstsein zu schaffen. Pro Rennlauf wurden von uns exakt 4 Liter handelsüblichen Sprit in die Tanks der Rennmaschinen geschüttet. Wer mit diesem Vorrat als erster ins Ziel kam, hatte gewonnen. Zusätzlich gab es für Maschinen mit Auspuff-Katalysator eine Sonderwertung von Sponsor Hein Gericke.
Der nächste Streich folgte 1993. Unterstützt vom Kat-Experten Paul Wurm und dem TÜV-Südwest wurde Peter Frohnmeyers Honda Hawk NT650 mit einem geregelten Katalysator ausgestattet. Weltweit war es die erste Vergaser-Honda mit einem G-Kat, der CO2 Ausstoß konnte so um 97,7 Prozent verringert werden. Wohlgemerkt, das war 1993!
In den aktuellen Klima- und Umweltdebatten stehen beide Themen "Spritsparen und Schadstoffreduzierung" ganz oben auf der Agenda. Fast könnte man im Kulturland der Dichter und Denker meinen: "Gut Ding braucht Weile". Zur Ehrenrettung, glaubt man den Volksvertretern in Berlin, sollen aber schon bald der Autoindustrie für die schnellstmögliche Entwicklung von Elektrofahrzeugen großzügige Fördermittel bereit gestellt werden.


Die Vectrix-Technik



Die beiden Akkus liegen im Fußraum
(Zeichnung: Werk)


Triebwerk:

Bürstenloser Gleichstrom-Dauermagnetmotor, Nennleistung 3,8 kW (5,2 PS), Höchstleistung 20,2 kW (27,6 PS), Dauerdrehmoment 22 Nm, maximales Drehmoment 65 Nm, voll digitales DSP und IGBT Steuersystem, Nickel-Metallhydrid-Akku, Kapazität 3,7 kWh, Spannung 125 V. Bordladegerät Leistung 1,5 kW (110-220V), Ladezeit 2,5 Stunden für 80%, 3,5 Stunden für 100%, Akku-Lebensdauer laut Hersteller Angabe 10 Jahre oder 80.000 Kilometer. Kraftübertragung über automatisches Planetengetriebe am Hinterrad

Fahrwerk:
Alu-Chassis mit Rahmenheck aus Stahlrohren, Marzocchi-Telegabel, 35 mm Standrohrdurchmesser, keine Verstellmöglichkeiten, Aluschwinge mit Sachs-Federbeinen, Federvorspannung fünffach verstellbar, Bereifung vorne Pirelli GTS 23 120/70-14, hinten GTRS 23 140/60-13, vorne und hinten hydraulisch betätigte Scheibenbremse, Gewicht 236 kg

Fahrleistungen:
Reichweite je nach Einsatz bis zu 100 km
Höchstgeschwindigkeit 100 km/h

Ausstattung/Kosten:
Stauraum unter dem Sitz 40 Liter oder ein Motorradhelm, Handschuhfach 6 Liter, Zubehör Motorradkoffer bis zu 47 Liter
Preis 9999 Euro, steuerfrei, 2 Jahre Garantie ohne km-Begrenzung

Kontakt:
www.vectrix.de


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