Gespanne&Trikes


BMW R12 Wehrmachtsgespann von 1940

"Ein guter Kamerad"

Seit 1923 baut BMW fast ununterbrochen Krafträder.
Immer wieder überrascht der bayerische Hersteller die Fachwelt mit
 beachtenswerten technischen Lösungen. Als weltweit erste Motorradmarke spendierten die Münchener 1935 ihren 750er Boxer-Modellen R12 und R17
eine hydraulisch gedämpfte Vorderradgabel. In puncto Straßenlage und
Fahrsicherheit begann damit ein neues Kapitel im Zweiradbau.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Winni Scheibe, BMW-Archiv


 


Christian Krause BMW Boxer-Fan aus Leidenschaft und Besitzer eines
BMW R12 Wehrmachtsgespanns von 1940
 

BMW Motorräder genießen einen hervorragenden Ruf. Sie sind zuverlässig, langlebig, robust, wartungsfreundlich und wertbeständig. In England und den USA bezeichnet man sie gerne als "King of the Road". Es gibt allerdings auch eine Kehrseite. Und das ist das biedere und konservative Erscheinungsbild. Fast möchte man behaupten, es gehört zu den BMW-Maschinen wie ein Brezel zur Weißwurst. Dies änderte sich erst in der letzten Zeit, seit eine Reihe von neuen Modellen mit Einzylinder oder Twin, mit Reihenvierzylinder oder topaktuell mit Sechszylinder-Motor auf den Markt kam. Auch der Kardan ist längst nicht mehr obligatorisch. Als Endantrieb darf inzwischen ein Zahnriemen oder eine Kette dienen. Doch das ist ein andere Geschichte.



BMW K1600GT von 2011



BMW R32 von 1923
(2 Fotos: BMW)


Die Mixtur aus Qualität und Tradition macht eine BMW zu dem, was sie ist: Ein guter Kamerad, auf den man sich verlassen kann. BMW-Fahrer sind stolz auf ihre Maschinen, nichts lassen sie auf ihre Marke kommen. Und dass es auch so bleibt, dafür sorgten die BMW Ingenieure im Münchener Stammwerk - heute wie gestern. Schon die erste BMW R32, Anno 1923, verfügte über einen 500er Boxermotor und Kardanantrieb. Dieses Bauprinzip verschaffte BMW Weltruf, sollte BMW-typisch werden und gehört, selbstverständlich immer weiterentwickelt, bis heute zum "BMW-Markenimage".
 


 

BMW R16 von 1930
(Foto: BMW)


Insgesamt lief es für BMW Anfang der 1930er Jahre allerdings nicht besonders rosig. Mitarbeiter wurden entlassen, keiner wusste, wie es weitergeht. Doch schon bald sollte sich die Situation ändern. Von 1933 auf 1934 brachte eine rege Nachfrage dem Werk neue Aufträge. Recht bald konnte man wieder Leute einstellen, die Belegschaft in den Werken München und Eisenach wuchs auf 4300 Arbeiter und Angestellte.
Kaum zehn Jahre im Geschäft teilte sich BMW bereits Mitte der 1930er Jahre mit Zündapp den Markt für die hubraumstarken Maschinen in Deutschland. Flaggschiffe im damaligen BMW-Programm waren die R11 mit 750er sv-Motor und die R16 mit 750er ohv-Triebwerk. Beide Boxer-Modelle verfügten über identische Fahrwerke. Bei der Ausführung des Doppelschleifenrahmens vertraute BMW auf die damals übliche Pressstahlfertigung, die Hinterradführung war starr. Wollte der Maschinist das Hinterrad abbremsen, hob er den rechten Fuß vom Trittbrett und stieg mit der Ferse auf den Hebel zur Betätigung der Kardanbremse. Die Führung des Vorderrads übernahm eine Blattfeder-Schwinggabel, eine Halbnaben-Trommelbremse sorgte für zeitgemäße Verzögerung.
Sich zurücklehnen und auf den Lorbeeren ausruhen, kam für die Münchner allerdings nicht in Frage. Im Versuch lief schon die nächste Boxer-Generation.


Anfang der 1930er Jahre steckte die Fahrwerkstechnik
noch in den Kinderschuhen

 


BMW R10 von 1932
Pressstahlrahmen mit Blattfeder-Schwinggabel und starrer Hinterradführung


Für die Erprobung neu entwickelter Bauteile nutzte auch BMW den Motorsport. Im knüppelharten Wettbewerb zeigte sich, welche Konstruktion etwas taugte oder auch nicht. Das war allerdings auch nötig. Mit einer vollkommen neuen Teleskop-Federgabel wollte der bayerische Motorradhersteller die Fahrwerkstechnik revolutionieren. Zur Ehrenrettung von SCOTT sei jedoch angemerkt, dass die englische Manufaktur bereits 1909 mit einer Telegabel experimentiert hatte, durchsetzen konnte sich diese Vorderradführung damals allerdings noch nicht. War die bisher in den BMW Modellen verwendete Blattfeder-Schwinggabel im Prinzip ein stabiles und robustes Bauteil, blieben die Nachteile jedoch unübersehbar. Die Ausführung bot nur wenig Federweg und keine Dämpfung.


Ganz anders die neue Telegabel. In den Gabelbrücken klemmten die Standrohre, unten lugten die Tauchrohre heraus, an denen die Achshalter für das Vorderrad befestigt waren. Innerhalb des Bauteiles hatten die Druckfedern und eine hydraulische Öldämpfung ihren Platz.
Die große Herausforderung bestand in
der passgenauen Fertigungstechnik. Die Tauchrohre mussten leichtgängig in den Standrohren rein- und rausgleiten können und der Ölvorrat für die hydraulische Dämpfung musste über eine dauerhafte Abdichtung verfügen. Im Fahrbetrieb übermittelte die Telegabel einen bisher nicht gekannten Komfort. Gegenüber der bekannten Blattfeder-Schwinggabel konnte sie für damalige Verhältnisse beachtliche 80 Millimeter Federweg vorweisen. Feinfühlig rollte das Vorderrad über die Chaussee. Auch bei Kurvenfahrt lag die BMW nun deutlich sicherer auf der Straße. Nach dem Eintauchen dämpfte das hydraulische System das schnelle Ausfedern. Das bei der reinen Federgabel unangenehme Nachschwingen war nun Schnee von gestern.


Die Telegabel fand ihren festen Platz in der Fahrwerkstechnik. Heute ist diese Vorderradführung nicht mehr wegzudenken, doch darauf musste vor gut 80 Jahren erst einmal jemand kommen. Bis die neue Gabel jedoch in die Serienfertigung einfloss, wurde sie bei allen möglichen Rennveranstaltungen, bei Langstreckenfahrten und bei Geländewettbewerben ausgiebig getestet.


Ab 1935 hatten die BMW R12 und BMW R17
weltweit als erste Motorräder eine Telegabel

 

BMW R12 wahlweise Solo oder als Gespann

 

BMW R12 Zwei-Vergaser-Modell

 

BMW R17
(3 Fotos: BMW)


Für das Modelljahr 1935 präsentierte BMW die neue R12 und R17 mit Telegabel. Beide 750er Modelle waren die logische Weiterentwicklung der Vorgängermodelle R11 und R16. Neben der Telegabel gab es eine Reihe weiterer beachtenswerter Modifikationen. Die Vorderradbremse war nun so ausgeführt, dass der Bremshebel in der Bremstrommel lag und so gegen Verschmutzung oder äußere Beschädigung kaum noch einer Störung unterlag. Bei der Chassis-Ausführung blieb es bei der bewährten Pressstahlfertigung. Auch war man in der damaligen Motorradwelt der Meinung, dass ein gefedertes Hinterrad längst nicht automatisch zu einer Verbesserung der Straßenlage führen würde. Also drehte sich das Hinterrad weiterhin ohne einen Millimeter Federweg im Heck. Wirkte bei den Vorgängermodellen der Hinterradstopper noch auf die Kardanwelle, war nun im Speichenrad eine Trommelbremse verbaut.



Zur Pflicht gehörte damals, dass an das Krad ein Beiwagen angeschlossen werden konnte. Alle drei 3.50x19 Räder waren untereinander austauschbar. Und für den Fall des Falles, dass ein Plattfuß dem Ausflug ein jähes Ende bereitete, thronte hinten auf dem Beiwagen ein Reserverad. Nicht nur Plattfüße, auch Pannen gehörten zum Alltag, entsprechend gut war das Bordwerkzeug sortiert. Das Werkzeugfach befand sich links im Getriebegehäuse. An kalten Wintertagen eine angenehme Sache, die Schraubenschlüssel hatten eine angenehme Handwärme. Neu war weiterhin das klauengeschaltete Vierganggetriebe, der Schalthebel lag nun rechts im Kniekissen am Kraftstofftank.

 


Werkzeugfach im Getriebegehäuse


Viergang-Schaltung


Den horizontal geteilten 750er Boxer-Motor gab es in Ein- und Zweivergaser-Version. Für die einfache Ausführung mit SUM-Drei-Düsen-Vergaser war eine raffinierte "Vorwärmung" installiert. Von den Auspuffkrümmern führten zwei Heizleitungen bis zum Vergaser. Durch die baulich bedingten langen Ansaugkanäle wollte man mit diesem Trick das Abtropfen des Kraftstoff-Luftgemisches im Ansaugtrakt verhindern sowie vorsorglich ein Vergaser-Vereisen im Winter vermeiden. Die "Heizung" lief allerdings ständig. Nachteilig war es nicht, das 18 PS starke Kraftpaket surrte im Winter wie im Sommer wie ein Uhrwerk. Gut zwei PS mehr Motorleistung hatte die R12 mit zwei Amal-Vergasern.

 



BMW R12-Triebwerk mit einem Vergaser und "Heizrohren"



BMW R12-Triebwerk mit Vergasern)


Mit der neuen Telegabel, den weit nach unten geschwungenen Schutzblechen, sowie den massiven Trittbrettern aus Alu-Guss wirkten die beiden 750er Spitzenmodelle regelrecht majestätisch. Nicht nur optisch hatte BMW damit voll ins Schwarze getroffen, auch im Fahrbetrieb bei Regen oder über verschmutzte Straßen profitierte der ansonsten von Wind und Wetter geplagte Fahrer von diesem Baustil. Schuhwerk und Hosenbeine blieben weitgehend sauber.
Ab 1938 stellte im Großen und Ganzen BMW den Verkauf der R12 an die zivile Motorradkundschaft ein. Hauptabnehmer für das Kraftrad, wahlweise ohne oder mit Beiwagen, waren nun die Wehrmacht sowie andere Behörden. Bis 1941 liefen rund 36.000 R12 Maschinen vom Band, eine Stückzahl, die zuvor noch kein anderes BMW Motorrad erreicht hatte.

 

BMW R17 von 1936
(4 Fotos: BMW)


Das 33 PS starke Schwestermodell R17 mit 750er ohv-Boxer-Motor durfte mit Recht den Titel Sportmaschine für sich in Anspruch nehmen. Mit über 140 km/h Höchstgeschwindigkeit gehörte sie damals zu den schnellsten Maschinen, die es auf dem Markt zu kaufen gab. Bis zum Produktionsende 1938 wurden gut 450 Exemplare gebaut.


Christian Krause, BMW Boxer-Fan aus Leidenschaft


Wenn es um altes Eisen, verrostetes Blech, vergilbtes Leder, undichte Kessel oder marode Holzgestelle geht, ist Christian Krause in seinem Element. Das "Technische Landesmuseum in Wismar" ist sein Arbeitsplatz. Hier ist er als Techniker für die Restaurierung und den Erhalt technischer Kulturgüter zuständig. Die Bandbreite reicht von Autos über LKWs, Motorräder, Flugzeuge, Schiffsmotoren bis hin zu Dampfmaschinen.
"Diese Arbeit ist sehr abwechslungsreich, stellt einen immer wieder vor neue handwerkliche Herausforderungen und macht dazu auch noch großen Spaß", verrät Christian Krause, Jahrgang 1969. Wer sich den ganzen Tag um historisches Material kümmern darf, hat sicherlich wenig Lust, sich nach Feierabend oder gar am Wochenende auch noch damit zu beschäftigen. Macht er auch nicht, mit einer Ausnahme: Seine Freizeitleidenschaft gehört den BMW Vorkriegs-Modellen. Und davon hat er einige. Zum Beispiel eine R35 von 1935, eine R71 von 1936, eine R11von 1934 und ein Wehrmachtsgespann R12 von 1940. Das Gespann ist sein Lieblingsmotorrad und in diesem Bericht gleichzeitig der Hauptdarsteller. Von der Geschichte weiß Christian Krause: "Die R12 wurde am 19. September 1940 im Münchener BMW-Werk produziert und schon am nächsten Tag mit einem Behördenbeiwagen in Feldgrau an die rumänische Luftfahrt- und Marineeinheit in Bukarest ausgeliefert. Nach dem Krieg kam die BMW zurück nach Deutschland und fand im Schwarzwald einen neuen Besitzer. Von gut 10 Jahren habe ich die R12 ihm abgekauft."



Nun stand in Krauses Schrauberwerkstatt ein 60 Jahre altes Wehrmachtsgespann. Nicht fahrbereit, etliche Teile wie Schutzbleche, Auspuffanlage und Sattel fehlten. Von dem einst ehrwürdigen Erscheinungsbild war keine Rede mehr. Begonnen hatten die Zweiradambitionen bereits 1985 mit einer MZ TS150. Es folgten AWO-Modelle, später eine 500er Yamaha und dann eine 1200er Harley-Davidson Shovelhead von 1977. Pflege und Wartung wurden stets selbst erledigt.



Von vornherein stand für mich fest, dass das R12 Gespann wie einst wieder auf seinen drei Rädern stehen sollte. Zunächst habe ich mir Literatur besorgt, habe die Fahrzeughistorie studiert und Adressen für Ersatzteilversorgung gesammelt. Die erste Ausführung hatte breite Schutzbleche. Schnell stellte sich damals allerdings heraus, dass sich im groben Gelände zwischen Reifen und Schutzblech Erdreich festsetzte und das Rad am freien Drehen behinderte. Schmalere Radabdeckungen brachten Abhilfe. Aber noch ein weiterer Faktor war für die Änderung wichtig. Anders als heute, war man damals das ganze Jahr über mit den Maschinen auf Achse. Eben auch im Winter auf verschneiten Straßen und da wurden Schneeketten aufgezogen. Von Werk aus war mein Gespann feldgrau, bei der neuen Lackierung entschied ich mich jedoch für dunkelgrau", lässt der Boxer-Experte wissen.





Rund drei Jahre vergingen, bis nach seinen Vorstellungen das Wehrmachtsgespann fertig restauriert war. Nach Anlaufschwierigkeiten schnurrt der Oldtimer inzwischen wie eine Eins. Nichts verändert hat sich am Startprozess: Benzinhahn öffnen, Schwimmerkammer fluten, zwei bis drei Mal den Kickstarter mit Schmackes herabtreten, Zündung einschalten, nach dem ersten, spätestens nach dem zweiten Tritt auf den Kickstarter läuft der 750er sv-Motor.



Ausfahrten mit dem R12-Gespann sind für mich Zeitreisen in die Vergangenheit. In eine Epoche, als morgens das Kalenderblatt um einen Tag umgeblättert wurde, als die Zeit noch in Wochen und Monate geteilt waren. Verantwortlich für die gemütliche Fahrweise ist die Motorcharakteristik. Mit Dampf aus dem Drehzahlkeller schiebt das Triebwerk mit kaum spürbaren Vibrationen die Fuhre vorwärts. Im Nu sind die Gänge durchgeschaltet. Im Geschwindigkeitsbereich von 30 bis 80 km/h bleibt der vierten Gang bis zum nächsten Stopp eingelegt", schwärmt Christian Krause von seinem inzwischen 70 Jahre alten Wehrmachtsgespann.


Text-Archiv: Gespanne&Trikes


Home