Kenner & Sammler

DKW RT200VS von 1957
Karsten Meier

"Golden Fifties"

Karsten Meier ist Computer-Fan, eingefleischter BMW-Fahrer und steht
auf dem Stil der 1950er und 1960er Jahre. Mit alten Motorrädern hatte er
bis 1991 allerdings nicht viel im Sinn - bis er "zufällig" an eine DKW RT200VS
geriet. Seit dieser Zeit ist die Oldtimergemeinde um ein Mitglied reicher.

Text & Fotos: Winni Scheibe


Karsten Meier und seine DKW RT200VS von 1957

Schon als Dreikäsehoch fing sich Karsten Meier den Motorradbazillus ein. Als er   zwölf Jahre alt war, durfte er auf einer BMW R90S probesitzen. Seine Motorradkarriere war somit vorprogrammiert. Mit 16 hatte er eine Sport Combinette, danach eine Yamaha RD50. Sein erstes Motorrad war eine BMW R45, ihr folgte ein MZ-Gespann, eine Yamaha SR500 und dann die BMW R80RT. Dieser Maschine ist der Industriemeister, Fachrichtung Metall, bis heute treu geblieben. Für den Boxer-Fan ist die R80RT, abgesehen von seinem Traumbike der R90S, eine rundherum perfekte Maschine. Die "RT" benutzt er im Alltag, am Wochenende, für Kurzausflüge und für die große Urlaubsfahrt. Pflege- und Wartungsarbeiten erledigt der begabte Handwerker selbstverständlich selber, ein Interesse für alte Maschinen bestand bis 1991 allerdings nicht. Weder Oldtimer-Fachzeitschriften noch Bücher über klassische Motorräder ließen auf ein verstecktes Hobby schließen.

Diese Situation sollte sich dann aber plötzlich gänzlich ändern. Sein Arbeitskollege Edgar Dreilich wusste, dass Karsten Meier gern an seinem Motorrad bastelt. Im Juli 1992 erzählte er ihm, dass in seiner Garage einige alte Maschine herumstehen und er sie für paar Mark abgeben würde. Neugierig geworden, was wohl damit gemeint sei, schaute sich der Angesprochene bei der nächsten Gelegenheit den Fundus an. Tatsächlich handelte es sich um alte Krafträder. Es waren eine teilzerlegte DKW und zwei stark ramponierte BMW R25/3. Jedoch handelte es sich nicht um picobello restaurierte Schätzchen, sondern gelinde gesagt wahre Trümmerhaufen, für die selbst der Schrotthändler wenig Interesse gezeigt hätte. Doch bei Karsten Meier funkte es. Ein Motorrad von Grund auf zu restaurieren, war für den Computerfan plötzlich ein reizvolle Herausforderung, die Maschine tauschte für 50 Mark ihren Besitzer. Auch für die BMWs interessierte er sich, doch diese Maschinen kaufte Meier erst ein Jahr später für 300 Mark, sie wurden allerdings von seinem Schwiegervater restauriert.


DKW RT200VS von 1957

Wieder zu Hause, wurde die DKW zunächst in aller Ruhe begutachtet. Außer der unvollständigen "Hardware" hatte der neue Besitzer keinerlei Informationsmaterial, geschweige denn den Kfz-Brief mitbekommen. Um welches Modell es sich genau handelt, wusste er daher nicht. Zum Glück gibt es aber Freunde und Bekannte, die sich im Metier auskennen. Von Andy Schwietzer und Thomas Thiele ließen sich stapelweise Kopien von DKW-Modellen und jede Menge Testberichte organisieren. Anhand dieser Hilfsmittel ließ sich das Motorrad als DKW RT200VS von 1957 identifizieren. Aus den Unterlagen erfuhr er, das es sich um das letzte DKW-Modell handelte, dass es in zwei Ausführungen, als Zivil- und Behördenmaschine, gab. Bevor es mit der eigentlichen Schrauberei jedoch richtig losging, besorgte er sich bei Klaus Vollmar in Bad Salzuflen Nachdrucke vom Werkstatthandbuch sowie Ersatzteilliste und machte einige Fotos von der maroden Maschine.


 

Das Triebwerk befand sich im üblen Zustand, dennoch ließ sich die Kurbelwelle mit dem Kickstarter mühelos durchdrehen. Doch bei der Auflistung der fehlenden Fahrzeugteile war schnell eine Schreibblockseite vollgeschrieben. Es fehlten: original Schutzbleche, Sitzbank, Scheinwerfer, Tacho, Lenker mit Hebelei, Vergaser, Vergaserabdeckung, Auspuffkrümmer sowie Kleinteile von den Fußrastengummis bis zum Rücklicht und vieles mehr. Einen Großteil der benötigten Sachen konnte der Hobby-Schrauber bei dem DKW-Spezialisten Volker Aust bekommen, allerdings nicht alles. Und so wurden Wochenendausflüge zur Technorama in Kassel und Veterama in Mannheim eingeplant. Hier ließen sich Vergaser und Tacho besorgen, auch sammelte der Restaurateur fleißig Adressen von Leuten, die mit DKW-Teilen handeln. Das Beschaffen der Ersatzteile als ein echtes Problem zu bezeichnen, wäre allerdings falsch. Nur ließ sich nicht alles, was gebraucht wurde, auf einmal und sofort bekommen. Aus diesem Grund kaufte der angehende DKW-Experte noch eine zweite DKW. Diese Maschine sollte als Ersatzteilträger und Tauschobjekt dienen.

Das "VS" stand für Vollschwingen-Rahmen,
die RT ließ ihren Fahrer "wie auf einer Wolke schweben"

 


 

Die Fahrzeugrestauration selbst begann mit der obligatorischen Demontage. Das Chassis, Vorderrad- und Hinterradschwinge wurden in einen Fachbetrieb gebracht, gestrahlt und anschließend spritzverzinkt. In der Zwischenzeit widmete sich der Freizeitmonteur den anderen Blechteilen, die ebenfalls eine neue Lackschicht bekommen sollten. Schliff den stumpfen Lack ab und spachtelte Beulen aus. Nicht ohne Grund. Eine Anfrage mit Bitte um Kostenvoranschlag in einem Lackierbetrieb verschlug dem Akteur fast den Atem: rund 3000 Mark wollte der Firmenchef für die Arbeit haben. Erfolglos blieb die Suche nach einem Betrieb, der den Tank neu verchromen sollte. Alle lehnten dankend ab, keiner wollte sich dem verrosteten Spritfass annehmen. Und so beschloss Karsten Meier den Kraftstoffbehälter zweifarbig lackieren zu lassen. Die Lackierarbeiten erledigte sein Freund Thorsten.

Beim Überholen des Triebwerks war Kfz-Kenntnis angesagt. Zwar erweckte der Motor den Eindruck, er sei noch intakt, doch mit Halbheiten wollte sich Karsten Meier nicht zufrieden geben. Das Aggregat wurde zerlegt und kritisch unter die Lupe genommen. Die Mühe sollte sich lohnen. Der Kolben hatte nämlich in der Zylinderlaufbahn gefressen, die Kupplungsbeläge waren verschlissen. Dafür war das Pleuellager auf dem Kurbelwellenhubzapfen und das Getriebe noch tadellos in Schuss. Keine Probleme gab es bei der Beschaffung der handelsüblichen Normlager für die Kurbelwelle und das Getriebe, der Zylinder wurde geschliffen und mit einem Übermaß-Kolben bestückt. Die erforderlichen Dichtungen, den neuen Unterbrecherkontakt und die neuen Kupplungsbeläge konnte Volker Aust liefern. Bevor der Motor wieder komplettiert wurde, nahm sich Karsten Meier noch intensiv der Optik an. Die Außenhaut wurde glasgestrahlt, am Zylinder eine abgebrochene Kühlrippe angeschweißt und abschließend der Gussblock mit schwarzem Lack neu lackiert. Beim Zusammenbau des Triebwerkes wurden zum Teil die alten Schrauben, aber auch neue aus Edelstahl verwendet.

Mit gleicher Sorgfalt widmete sich der DKW-Besitzer den Laufrädern. Neue Speichen, Felgen und Radlager waren bereits besorgt, die Bremsnaben wurden glasgestrahlt, das Einspeichen überließ er einem Fachmann. Mit Poliermittel und in schweißtreibender Handarbeit ließen sich die Federbeine wieder auf frischen Glanz bringen. Nicht wieder verwenden wollte Karsten Meier die ramponierten Senkkopfschrauben für die obere Federbeinhalterung und Vergaserabdeckung. Er fertigte selbst neue an. Ebenfalls glasgestrahlt wurden der Kettenkasten und die Vergaserabdeckung, die nach der Reinigungsprozedur wie einst lackiert und mit weißem Zierstreifen versehen wurde. In Heimarbeit erhielt
die Sitzbank eine neue Polsterung
und frischen Bezug.

Rund 30 Stunden Bastelarbeit stecken im Tacho. Da sich kein neuer Chromring auftreiben ließ, verzinkte Karsten Meier die deformierte Oberfläche geduldig mit dem Lötkolben, schliff die Fläche immer wieder glatt, bis er mit der Arbeit zufrieden war und das Teil zum Verchromen weggegeben werden konnte. Via Ständerbohrmaschine und einem Stück Gummischlauch brachte er den Kilometerzähler auf Stand Null. Ein neues Abdeckglas ließ sich vom Glaser im Ort für 5 Mark besorgen. Danach war der Tacho wie neu!




Langsam ging die DKW ihrer Vollendung entgegen. Das Fahrwerk stand wieder selbständig auf den neuen Barum-Reifen, Motor und Kettenkasten waren montiert. Für den sicheren Zusammenhalt der Bauteile verwendete Karsten Meier ausschließlich Schraubenelemente aus Edelstahl. Was zur endgültigen Fertigstellung jetzt allerdings noch fehlte, waren original Zündschloss, Lampenring, Lenkschloss und Auspuffanlage. Letztere fand er bei einem Händler in Bodenwerder. Hier erhielt er Krümmer, Auspufftopf, Dichtungen inklusive der Halterung für 500 Mark. Weniger erfolgreich verlief dagegen die Suche nach den restlichen Sachen. Und so wundert es nicht, dass mittlerweile das Jahr 1995 angebrochen war. Dann ging es plötzlich wieder Schlag auf Schlag. Aus Bundeswehr-Beständen ließ sich ein Nato-Oliv lackierter Lampenring besorgen. Wenig später fand sich das Zündschloss. Der neu verchromte Lampenring waren mit dem Zündschloss die letzten Arbeiten, dann flogen im März 1995 die Sektkorken. Die DKW RT200VS war fertig - fertig bis auf das fehlende Lenkschloss.

Krönender Abschluss der Arbeit war die Fahrt zum TÜV. Fachmännisch wurde das Oldtimer-Gefährt begutachtet, probegefahren und anstandslos mit der Plakette versehen. Eine genaue Angabe, wieviel die Restauration letztendlich gekostet hat, kann Karsten Meier nicht geben. Er schätzt rund 4500 Mark. Dafür hat die Arbeit aber mächtig Spaß gemacht und er plant bereits das nächste Projekt. Dieses Mal wird es eine 250er Jawa sein. Bei der Maschine soll es aber nicht bleiben. Eine NSU Max und eine Horex Imperator stehen weiter auf der Wunschliste. Vor dem Fahren steht nämlich das Schrauben, und besonders das Basteln an den Maschinen aus den 1950er und 1960er Jahren. Aus einer Zeit, als die Formen noch rund, die Technik überschaubar, die Motorleistungen bescheiden und das Fahren gemütlich waren.

PS: Dieser Bericht stammt aus der Zeit, als 1995 die DM noch gängige Währung war


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