Aktive Ventilvielfalt
Längst sind moderne Viertakter mit
technischen Finessen
im Zylinderkopf ausgestattet.
Das war nicht immer so.
Als die Krafträder noch
in den Kinderschuhen steckten,
genügte dem Motor ein
"Schnüffelventil" im Einlasskanal sowie
ein stehendes
Auslassventil.
Wir blättern im Geschichtsbuch.
Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Archiv, Werk
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"Königliche Ventilsteuerung"
Ducati 750 SS von 1973
Königswellen-Steuerung und desmodromische Ventilbetätigung
Desmodromische Ventilsteuerung von Ducati
(Zeichnung: Werk)
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F rüher,
so in den siebziger Jahren und noch davor, spaltete sich die
Motorradgemeinde in zwei Fraktionen. Die einen waren überzeugte
Zweitaktfans, die anderen schworen Stein und Bein auf Viertakter. In der
Zweitakt-Liga standen die berühmt-berüchtigten 500er und 750er
Dreizylinder-Kawasakis, das Reisesofa GT750 von Suzuki und die
pfeilschnellen 250er und 350er Yamahas in der Beliebtheitsskala ganz
oben. Diese Zeiten sind längst vorbei. Rigorose Zulassungsbestimmungen
machen es den Herstellern immer schwerer umweltverträgliche
Zweitakt-Motorräder auf den Markt zu bringen. Anfang 2003 verkündete
sogar Honda den Produktionsstopp aller Zweitaktmaschinen. Die Zukunft
gehört quer durch die Modelllandschaft den Viertaktern und das sogar
seit 2002 mit großem Erfolg auf der Rennstrecke in der MotoGP
"Königsklasse".
Das war natürlich nicht
immer so. Bis zum heutigen Entwicklungsstand haben die Viertaktmaschinen
einiges durchgemacht. Wollte man über alle je konstruierten und
gebauten Motoren eine lückenlose Darstellung verfassen, ließe sich
leicht ein dickes Fachbuch füllen.
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"Hightech"
Fünf-Ventiltechnik von Yamaha
(Zeichnung: Werk)
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"De-Dion-Prinzip"
Peugeot-Minerva von 1900
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Als
vor über 100 Jahren die Motorräder das Rollen lernten, dachte noch
kein Konstrukteur an irgendwelche technischen Spielereien. Mit einfachen
Tricks brachte man den Viertakter zunächst in Schwung. Knatterte zum
Beispiel um die Jahrhundertwende ein stolzer
"Motor-Rad-Fahrer" mit seiner Peugeot-Minerva über die
Chausseen, wurde die Ausfahrt von einem "fitt-fitt-fitt" und
"töff-töff-töff" begleitet.
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Das "fitt-fitt-fitt"
kam vom Schnüffelventil, und das "töff-töff-töff"
verursachten die Abgase aus dem ungedämpften Auspuffrohr. Auf der
Einlassseite atmete der Motor durch ein sogenanntes Schnüffelventil,
und die Auslasssteuerung erledigte eine zahnradgetriebene, untenliegende
Nockenwelle, auf der sich im vorgeschriebenen Rhythmus ein stehendes
Ventil auf und ab bewegte. Diese Motorsteuerung wird als "De-Dion-Prinzip"
bezeichnet. Ohne Kupplung und Getriebe transportierte ein Lederriemen
die Ein-PS-Motorleistung direkt zum Hinterrad. Mit angelegten Ohren und
Rückenwind rannte das fahrradähnliche Vehikel immerhin schon 20
Sachen.
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Auch die erste Harley-Davidson
Anno 1903 wurde von einem Einzylinder-Viertakt-Motor mit "De-Dion-Prinzip"
auf Trab gebracht. 1909 überraschte das amerikanische Werk in Milwaukee
die Fachwelt mit einem neu entwickelten luftgekühltem 45-Grad-V-Motor. |
Harley-Davidson von 1903
(Foto: Werk)
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Das "De-Dion-Prinzip" des Harley-Motors von
1909.
Der Einlass des Kraftstoffluftgemisches erfolgt über ein "Schnüffelventil",
das Auslassventil "steht auf dem Kopf" und wird direkt von
der
untenliegenden Nockenwelle betätigt.
(Foto: Werk)
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Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Motorradschmiede diesem
Konstruktionsmerkmal bis heute treu geblieben ist. Beim ersten V-Motor
funktionierte die Steuerung zunächst auch über das De-Dion-Prinzip.
Für die seinerzeit niedertourigen und relativ leistungsschwachen
Triebwerke genügte diese Mechanik durchaus. Doch schon bald verlangte
landauf-landab die Kundschaft nach mehr Leistung und flotterer
Fahrgeschwindigkeit.
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"i.o.e. Steuerung"
(Zeichnung: Werk)
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D er
nächste Entwicklungsschritt war der wechselgesteuerte Motor. Die
Ventilbetätigung nannte man "i.o.e" - "inlet over
exhaust", oder Einlass- über Auslass-Steuerung. Nun wurde auch das
Einlassventil von einer Nockenwelle gesteuert. Die Aktivierung des jetzt
im Zylinderkopf hängenden Ventils erfolgte über Kipphebel, Stoßstange
und untenliegender Nockenwelle. Für die Auslasssteuerung war weiterhin
ein stehendes Ventil verantwortlich. Ab dieser Motorengeneration darf
erstmalig von der Zwei-Ventil-Technik gesprochen werden. Der Motor ließ
sich nun bedeutend besser abstimmen, er sprang besser an und mit diesen
konstruktiven Veränderungen ließen sich Motorleistung und Drehzahl
deutlich steigern.
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Harley-Davidson Model-J von 1929
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Ricardo-Vier-Ventil - ohv-Kopf
Vier-Ventilkopf der
Harley-Rennmaschine
(Foto: Werk)
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D er
Biker auf der Straße war fürs erste nun gut versorgt. Nicht so die
Rennfahrer. Ihnen konnte es schon damals nie schnell genug gehen. Keinen
Geringeren als den genialen Motorenspezialisten Harry Ricardo
engagierten die Harley-Davidson Manager in den frühen zwanziger Jahren
für die Betreuung der Rennabteilung. Auf Basis des V-Motors
konstruierte der englische Techniker ein reinrassiges 1000 ccm
ohv-Renntriebwerk mit je zwei Einlass- und Auslassventilen pro Zylinder.
Die Betätigung der im Kopf hängenden Ventile erfolgte über Kipphebel,
Stoßstangen und untenliegenden Nockenwellen. Die
"Vier-Ventil" Ricardo-Konstruktion entstand in den 20er Jahren
des vorigen Jahrhunderts und ist
somit eigentlich ein alter Hut....
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"sv-Motor"
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Seitengesteuerter Harley-Motor |
In
der Großserienfertigung war an die Einführung der ohv-Steuerung damals
allerdings noch nicht zu denken. Die Fertigungskosten waren viel zu
teuer, und mit der Wartung sowie Reparatur waren Werkstätten, aber auch
die Motorradfahrer, man schraubte schließlich noch selbst an der
Maschine, einfach überfordert. So jedenfalls eine weit verbreitete
Meinung der damaligen Konstrukteure.
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"sv-Steuerung"
(Zeichnung: Werk)
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Ein guter Kompromiss aus
günstiger Herstellung und solider Leistungsausbeute war in der
nächsten Entwicklungsphase die "s.v.-Steuerung", "side
valves", seitliche Ventile oder auch Seitensteuerung genannt. Bei
dieser Ausführung stehen Einlass- und Auslassventil "auf dem
Kopf" und werden direkt von der untenliegenden Nockenwelle in
Bewegung gesetzt. Stoßtangen und Kipphebel sind bei dieser Bauart nicht
erforderlich. Interessantes optisches Merkmal der sv-Motoren ist der
Zylinderkopf, er ähnelt sehr dem Bauteil eines Zweitakters. Diese
Motorengeneration ist ausgesprochen wartungsfreundlich, zeigte sich
stets zuverlässig und glänzte mit hohen Laufleistungen. Amerikas
Traditionsmarke Indian vertraute bei ihren Big-V-Twins bis zur
Werksschließung Mitte der 50er Jahre auf die robuste sv-Motorentechnik.
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sv-V-Motor von der SS 80 Matchless
(Zeichnung: Werk)
800er Zündapp-sv-Boxer-Motor
(Zeichnung: Werk)
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Im Vergleich zu modernen High-Tech
Aggregaten darf man die sv-Maschinerie rückblickend allerdings getrost
als unverwüstlichen Wald- und Wiesen-Antrieb ohne einen Deut von
Sportlichkeit bezeichnen.
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"ohv-Technik"
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500er BSA Goldstar-ohv-Motor
(Zeichnung: Werk)
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Im
Rennengagement scheuten die Firmen dagegen weder Mühen noch Kosten. Um
möglichst viel Leistung aus einem ohv-, ohc- oder dohc-Triebwerk zu
holen, experimentierte man schon in den 20er Jahren mit allen möglichen
Ventilanordnungen und Ventilsteuerungen. Schon damals war bekannt, dass
die Optimierung des Gaswechsels zwangsläufig zu hoher Drehzahl und mehr
Motorleistung führte. In der Praxis bedeutete das, möglichst schnell
und viel vom Kraftstoff-Luftgemisch in den Brennraum zu bekommen. Mit
Rennvergasern, möglichst geraden Einlass- und Auslasskanälen, großen
Ventilen, Mehrventiltechnik und "scharfen" Steuerzeiten ließ
sich die Leistung erheblich steigern. Kostspielige Renntriebwerke
verfügten darüber hinaus über eine oder zwei obenliegende
Nockenwellen, die via Kette, Zahnräder oder Königswelle auf Trab
gebracht wurden.
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Königswellen-Steuerung
(Zeichnung: Werk)
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NSU-Schubstangen-Steuerung
(Zeichnung: Werk)
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750er Dreizylinder-ohv-Triumph-Motor
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Von
diesen Erfahrungen profitierte natürlich auch die Serienfertigung.
Gleichzeitig ließ sich der Ruf aus den Motorradkreisen nach mehr Power
mit neu entwickelten ohv-Motoren befriedigen. Womit ohv-Triebwerke
gegenüber den sv-Ausführungen auch gleich ihren Ruf als Sportmaschinen
weg hatten. Hinter dem Kürzel "ohv" steckt die Bezeichnung
"overhead valves" oder "von oben hängende Ventile".
Dieses Baumuster hat sich durchgesetzt und gehört bei heutigen
Viertaktern zum Stand der Dinge. Ein- und Auslassventil hängen im
Zylinderkopf und werden direkt oder über Kipphebel und Stoßstangen von
der Nockenwelle betätigt. Die ohv-Abkürzung verrät jedoch nur die
Ventilanordung, ihre Betätigung ist wiederum eine andere Sache.
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ohv-Steuerung
(Zeichnung: Werk)
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Bleiben wir zunächst bei der
Standard-ohv-Ausführung mit je einem Ein- und Auslassventil, unten
liegender Nockenwelle, Stoßstangen und Kipphebel. Gegenüber allen
früheren Ventilsteuerungen hat sich dieses Konstruktionsprinzip bis
heute in klassischen Triebwerken behaupten können. Bestes Beispiel
hierfür ist Harley-Davidson. Blättern wir im Geschichtsbuch gehörten
ohv-Triebwerke über Jahrzehnte zum Standard. BSA und Norton zum
Beispiel vertrauten bei ihren ohv-Twins auf eine unten liegende
Nockenwelle, Triumph spendierte ihren ohv-Motoren zwei unten liegende
Nockenwellen und Harley-Davidson brachte es bei den Sportster Modellen
sogar auf vier unten liegende Nockenwellen.
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Um im Laufe der Zeit
ständig mehr Leistung aus den traditionellen ohv Ein- und Zweizylinder-Triebwerken zu
quetschen waren die Maßnahmen eigentlich immer die Gleichen: Ein- und
Auslasskanäle wurden optimiert, jeder Zylinder bekam einen Vergaser und
die Verdichtung wurde bis ins Unermessliche erhöht. Gravierender
Nachteil dieses "Aufmotzenes" waren nervende bis mechanisch
selbstzerstörende Motorvibrationen, sowie eine drastische Verkürzung
der Lebensdauer. Auf dem weiteren Weg des Viertakters zum High-Tech
Aggregat hatte der banale ohv-Motor keine Zukunftschance.
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Honda CX 500 ohv-Motor mit vier Ventilen
pro Zylinder
(Zeichnung: Werk)
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"Technische Evolution"
im Zylinderkopf:
ohc, dohc, desmo und Mehr-Ventil-Technik
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Honda CB450 dohc-Twin
(Zeichnung: Werk)
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Anfang der Sechziger
begann im Motorradgroßserienbau die eigentliche "technische
Evolution" im Zylinderkopf. Plötzlich gab es hochtourige und
leistungsstarke Maschinen, von denen die Motorradfahrer bisher nur
träumen konnten. Allen vorweg war es der japanische Viertaktspezialist
Honda, der für frischen Wind zwischen Luftfilterkasten und
Schalldämpfer sorgte. Bei der Honda CB72 sprachen 1960 die Fachleute
vom reinrassigen Renntriebwerk für ein Straßenmotorrad. Auch kein
Wunder. Die kleine 250er Zweizylinder-Maschine hatte eine oben liegende
Nockenwelle, zwei Vergaser und leistete 24 PS bei 8.800/min. Das nur 153
kg schwere Bike schaffte 145 km/h, ein Tempo, das in dieser Zeit
gerademal etablierte Maschinen mit 500 ccm erreichten.
Der nächste Streich folgte 1965 mit der Honda CB450. Der luftgekühlte
dohc-Zweizylinder-Motor hatte es faustdick hinter den Ohren. Eine
Sensation im Großserienbau waren die beiden oben liegenden
Nockenwellen, und anstelle üblicher Ventilfedern waren Drehstäbe fürs
Schließen der jeweils zwei Ventile pro Brennraum zuständig. Mit 43 PS
bei 8500/min wurde der "Black Bomber" damals zum Maß der
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Honda CB750 Four
Vierzylinder-ohc-Motor, zwei Ventile pro Brennraum
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Es sollte allerdings noch viel dicker kommen. Im Spätjahr 1968
präsentierte Honda die CB750 Four. Es war das erste Fliessband-Bike mit
750er ohc-Vierzylinder-Viertaktmotor, und erstmalig sprach alle Welt nun
vom "Meilenstein in der Motorradgeschichte". Einen weiteren
"Meilenstein" setzte der fernöstliche Hersteller 1972 mit der
Honda XL250. Diese Enduro hatte als erstes Großserienbike einen
Einzylinder-ohc-Motor mit zwei Einlass- und zwei Auslassventilen. Als
nächster Schritt folgte etwas später die Radialanordung der
Vier-Ventil-Technik, was eine weitere Optimierung der Füllung und somit
bessere Leistungsausbeute mit sich brachte.
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Ducati 750 SS
Desmodromische Ventilsteuerung, eine obenliegende Nockenwelle pro
Zylinder
mit Königswellenantrieb
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Aber
auch im alten Europa war Schwung in den Markt gekommen. Die neue 750er
Ducati verblüffte Fans und Experten. Das 200-Meilen-Rennen von Imola
gewann 1972 Paul Smart auf der 750er ohc-Königswellen-Ducati mit
desmodromischer Ventilsteuerung. Zwar werkelten im damaligen V-Motor nur
je ein Einlass- und ein Auslassventil pro Zylinderkopf, doch die
"Ventil-Zwangsbetätigung" funktionierte so prächtig, dass
Smart der gesamten Konkurrenz auf und davon fuhr. Verantwortlich für
diesen Erfolg war der geniale Ducati-Chefkonstrukteur Fabio Taglioni.
Die desmodromische Ventilsteuerung, bei der das Ventil zwangsweise
jeweils von einem Kipphebel geöffnet und von einem Schließhebel wieder
geschlossen wird, gehört bis heute zum Markenzeichen der italienischen
Edelschmiede.
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Kawasaki Z900 "Z1"
Vierzylinder-dohc-Motor
(Zeichnung: Werk)
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Unter
den Motorradherstellern hatte inzwischen ein regelrechtes
Leistungs-Wettrüsten begonnen. Und als Kawasaki im Herbst 1972 die Z900
"Z1" auf den Markt brachte, schien es keine Tabus mehr zu
geben. Zwei obenliegende Nockenwellen und Tassenstößel zur Betätigung
der Ventile ließen sich bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur in
echten Renntriebwerken finden.
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Legendäre Kawasaki "Z1"
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Ab
dieser Zeit war der neuzeitliche Motorradboom nicht mehr aufzuhalten.
Besonders die großvolumigen und leistungsstarken Maschinen standen hoch
im Kurs. Vertrauten etablierte Hersteller wie zum Beispiel
Harley-Davidson, Triumph, Moto Guzzi und BMW auch weiterhin auf das
bewährte ohv-Steuerprinzip, Triebwerke mit unten liegender Nockenwelle
oder Nockenwellen, werkelten bei den japanischen
Viertakt-Verbrennungsmaschinen quer durch alle Hubraumklassen
obenliegende Nockenwellen im Zylinderkopf. Ebenfalls zur Tagesordnung
gehörten schon bald Motoren mit Vierventiltechnik.
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Jahrelang auf der Überholspur:
BMW GS-Modelle mit bewährtem ohv-Boxer-Motor
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Exote: Kawasaki W650 Motor.
Vier Ventile. obenliegende Nockenwelle, Königswellenantrieb
(Zeichnung: Werk)
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Ventiltechnik heute und für die Zukunft:
Yamaha Genesis-Baureihe
und
Honda "V4 VTEC"-System
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Yamaha-Versuchsmotor mit sieben Ventilen
(Foto: Werk)
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Bei
vier Ventilen pro Brennraum sollte es aber nicht bleiben. Bereits 1977
erprobte man in der Yamaha-Versuchsabteilung einen Motor mit sieben
Ventilen. Bei diesem Prototyp waren vier Ein- und drei Auslassventile im
Zylinderkopf untergebracht. Anstandslos erreichte das Triebwerk
unglaubliche 20.000 Umdrehungen pro Minute. Doch letztlich sprachen zu
hohe Produktionskosten gegen dieses Projekt. In der nächsten
Entwicklungsstufe reduzierte man die Ventile im Zylinderkopf auf drei
Einlass- und drei Auslassventile. Wieder war die Drehwilligkeit und
Leistung beeindruckend. Doch im Dauertest traten thermische Probleme
auf, und auch dieses Konzept landete in der Schublade. Zwangsläufig
waren nun fünf Ventile an der Reihe. Drei Einlass- und zwei
Auslassventile. Die Betätigung erfolgt über Tassenstößel und zwei
obenliegende kettengetriebene Nockenwellen. Die Zündkerze saß zentral
im linsenförmigen Brennraum, und die fünf Ventile füllen restlos den
verbleibenden Platz aus. Nachdem alle Experimente mit dem neuen
20-Ventil-Vierzylindermotor abgeschlossen waren, startete man die
Serienfertigung. Als Meilenstein der Motorradtechnik präsentierte
Yamaha auf der IFMA 1984 die FZ750 Genesis.
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Yamaha FZ750 Genesis von 1985
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Lag
Yamaha nun in der Kunst möglichst viele Ventile im Brennraum
unterzubringen an der Spitze, setzte Honda 1992 mit der sensationellen
NR750 noch mal eins oben drauf. Den Super-Sportler brachte ein
wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-V-Motor mit Oval-Kolben und
jeweils vier Einlass- und vier Auslassventilen pro Zylinder gehörig auf
Trab. Die jeweils zwei obenliegenden Nockenwellen pro Oval-Zylinderreihe
setzten Zahnräder in Gang. Die revolutionäre Technik ließ sich Honda allerdings auch gut
bezahlen, wer eine 130 PS starke NR750 kaufen wollte, musste damals
100.000 Mark über den Tresen schieben. Ein Verkaufshit wurde der
exklusive Renner allerdings nicht.
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Technisches Meisterwerk: Honda
NR750-Motor
(Foto: Werk)
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Dafür brachte es eine andere
Honda mit Vierzylinder-V-Motor zu Ruhm und Ehren: die VFR-Modellreihe.
Ganz gleich, ob als Allround-Sportler oder als heißsporniges Superbike,
die VFR-Generation ist längst Dauerbrenner im Honda Programm. Da aber
auch das Beste weiter entwickelt werden kann und muss, haben die Honda
Techniker der VFR 2002 das sogenannte V4-VTEC-Systems
spendiert. Mit Einführung dieser revolutionären Technik wird über
eine hydraulische Steuerung ab 7000/min von Zwei-Ventil-Betrieb auf
Vier-Ventil-Betrieb umgeschaltet. Diese Maßnahme bringt bei höheren
Drehzahlen nicht nur mehr Motorleistung, unter Beibehaltung der
beliebten Honda-V4-Triebwerkscharakteristik ließ sich durch die Weiterentwicklung der
Ventilsteuerung zusätzlich das Geräusch- und Abgasniveau nachhaltig
senken.
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Honda VFR-Triebwerk
(Foto: Werk)
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Und
was bringt uns die Zukunft? Neben der immer weiter perfektionierten
mechanischen Betätigung vom Ventiltrieb wird sicherlich auch in der
Motorradtechnik bald hochmoderne Formel-1-Technologie Einzug halten.
Hier sorgen computergesteuerte High-Tech-Geräte in Verbindung mit
pneumatischer Ventilsteuerung für eine Viertakt-Funktion, die
herkömmliche Triebwerke wie Relikte aus der Steinzeit aussehen lassen.
Ein Ende der "Evolution" ist also noch lange nicht abzusehen.
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Fachchinesisch oder die
geläufigen Abkürzungen
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i.o.e
= inlet over exhaust oder: Einlass- über Auslass-Steuerung
ws = wechselgesteuert
sv = seitengesteuert
ohv = overhead valves oder: von oben hängende Ventile
ohc = overhead camshaft oder: oben liegende Nockenwelle
dohc = double overhead camshaft oder: zwei obenliegende
Nockenwellen
desmo = desmodromische Ventilsteuerung
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