Lifestyle


Der Sekunden-Kick

Mit einer Harley-Davidson verreisen, ist das eine.
Mit einer Harley-Davidson um die Wette fahren, das andere.
Im Dragster-Rennsport kommen die V-Twins aus Milwaukee
dabei ganz schon in Schwung. Street Harley-Champion 2003
Martin Hüning liess mich seinen Feuerstuhl Probefahren.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Horst Rössler, Winni Scheibe


(Foto: Horst Rössler)

Zeit ist relativ, keine Frage. Für Leute die eine Harley-Davidson fahren, sowieso. Keiner käme je auf die Idee, mal schnell irgendwo hinzufahren. Bekanntlich ist in diesen erlauchten Kreisen der Weg das Ziel und das braucht Zeit. So weit, so gut. Und trotzdem. Es gibt aber tatsächlich Harley-Treiber, denen kann es einfach nicht schnell genug gehen. Falscher Film? Mit nichten. Im Dragster-Rennsport dreht sich schließlich alles um Sekunden, und wenn es um die Wurst geht, sogar um Tausendstelsekunden. Die Fahrstrecke lässt sich bequem zu Fuß abgehen, sie ist entweder eine 1/8 Meile oder eine ¼ Meile lang. Mit den Sprintflitzern dauert der 200-Meter-Spuk dafür gerademal 6,484 Sekunden, für die 400-Meter-Strecke werden 10,080 Sekunden benötigt. Das sind jedenfalls die Rekordzeiten von Harley-Davidson Speed-Man Martin Hüning. Und weil der schnelle Dragsterpilot in der Saison 2003 eine Klasse für sich war, kann er sich gleich als dreifacher Champion feiern lassen. Der Berliner gewann das Deutsche Dragracing Masters vom DMV, die All-Harley-Drags Clubmeisterschaft des E.D.B.A. e.V. (European Drag Bike Association e.V.) und die Street Twins Meisterschaft in Holland.

Eigentlich bin ich bereits seit fast 10 Jahren vom Dragsterbazillus befallen. 1994 habe ich zum ersten Mal mit meiner Sportster beim All-Harley-Drags Rennen auf dem Nürburgring teilgenommen und habe gleich den 3. Platz belegt", verrät der sympathische Champion. Die Ausbildung zum Unfallchirurgen sowie die Familienplanung hat in den nächsten Jahren das neue Hobby, von einigen spontanen Auftritten einmal abgesehen, zunächst jedoch auf Eis gelegt. Dafür gings dann aber 2002 richtig los. In der DMV Dragracing Street Harley Klasse wurde er auf Anhieb Deutscher Vize-Meister, in der All-Harley-Drags Serie kam er in der Endabrechnung auf den 6. Platz, dazu gab es die Auszeichnung "schnellster Newcomer 2002" und 2003 wurden in der Klasse "Street Harley" erstmalig alle drei zu vergebenden Titel von Martin Hüning gewonnen.


Dragster-Test:
Stefan Graff, Winni Scheibe, Martin Hünig
(Foto: Horst Rössler) 


"Harleys on the Dragstrip"


2003 schnellst Dragster-Frau: Christine Aigner

Die Dragsterszene wird bei uns in drei Kategorien unterteilt: in die so genannte seriennahe Klasse "Street Harley", die "Modified Harley", und die "Super Twin Top Gas", die als Königsklasse gilt. Bei den "Modified Harley" und den "Super Twin Top Gas", hier tauchen auch präparierte Ducatis sowie spektakuläre Eigenbau-Twins auf, darf getunt werden, bis die Heide wackelt. Bei diesen Dragstern handelt es sich um reinrassige Rennmaschinen. Sie sind lang und flach, haben Kraft ohne Ende und einen dicken Hinterradschlappen, um die Power überhaupt auf den Asphalt zu bringen.



Modified-Champion 2003: Jörg Lymant


In der "Street Harley"-Klasse unseres Hauptdarstellers Martin Hüning sind die erlaubten Änderungen im Reglement genau vorgeschrieben und sie müssen, wie zum Beispiel die Hubraumerweiterung, die Motorleistung sowie die Höchstgeschwindigkeit, in den Fahrzeugpapieren eingetragen sein. Denn auch weiterhin müssen, oder besser gesagt sollten, diese Dragster straßenzulassungsfähig sein. Mit diesen Bestimmungen will man einerseits die enge Verwandtschaft zu den käuflichen Harleys, wobei es keine Rolle spielt, ob der Speedfreak mit einer frisierten Sportster oder V-Rod an den Start rollt, aus dem Dealershop um die Ecke erhalten. Anderseits will man mit dem Reglement die Tuningkosten für die Aktivisten im erschwinglichen Rahmen halten.



Sieger-Team: Martin Hüning und Stefan Graff

In der Praxis bedeutet das aber, dass wir unsere Dragster schon lange nicht mehr auf der Straße fahren. Wenn sie einmal für die Rennerei umgebaut sind, ist der Aufwand, sie danach jedesmal für den Straßenbetrieb wieder zurück zu rüsten, einfach viel zu groß", lässt Teamkollege Stefan Graff, Tuner und als Champion 2001 selbst ein sehr erfolgreicher Dragsterpilot, wissen und fügt hinzu, "im Wettbewerb dürfen wir mit Rennauspuff und offenem Vergaser, ohne Blinklichtanlage, Rücklicht und hinterer Radabdeckung an den Start gehen. Für die Reduzierung des Fahrzeuggewichtes, werden entsprechend des Reglements, alle überflüssigen Bauteile entfernt. Das gilt auch für den Hauptständer und so stehen unsere Bikes genau wie die Straßenrennmaschinen im GP-Fahrerlager auf Schnellständern. Es wird mit tankstellenüblichem Super Plus Kraftstoff gefahren, und wenn während der Saison nichts Außergewöhnliches passiert, sind außer den routinemäßigen Inspektionen und dem Wechsel des speziellen Dragster-Hinterradreifens keine nennenswerten Arbeiten erforderlich."

Der Aufbau von meiner Street Harley hat mich etwa 20.000 Euro gekostet, hinzu kommen rund 3000 Euro Reisekosten und das Renngeld für die insgesamt sechs Rennen, die ich in der vergangenen Saison gefahren bin", verrät Martin Hüning. Viel Leidenschaft ist also nötig für einen faszinierenden Sport in dem sich die Jagd nach Sponsoren fast ebenso schwierig gestaltet wie die Fahrt auf dem Drag-strip.


Martin Hüning


"Ritt auf der Kanonenkugel"
Von O auf 100 km/h in 2,9 Sekunden


(Foto: Horst Rössler)

Abschlussveranstaltung und Siegerehrung der Dragster-Saison 2003 fand am Wochenende 17. bis 19. Oktober bei der Custom Performance-Messe in Bad Salzuflen statt. Alles, was Rang und Namen hatte, war da. Man stellte die Dragster aus, die Piloten standen für jegliche Fragen Rede und Antwort, es wurden Autogramme geschrieben und es gab hinter den Messehallen auf einem Parkplatz Aktionen mit Show-Vorführungen der blitzschnellen Flacheisen.




Für einen Proberitt auf seiner Street Harley Siegermaschine lud mich Champion Martin Hüning ein. Ein Angebot, das man sich nicht zwei mal machen lässt und eine Erfahrung, die mir in meiner langjährigen Praxis als Motorradtester noch fehlte. Bevor es aber losging, erzählte mir Martin Hüning von seinem Faible für den Dragster-Rennsport. 

Als erstes fährt man gegen sich ganz alleine und gegen die Uhr. Beim Dragstersport entscheidet schon der Start über Sieg oder Niederlage. Der Start erfolgt über eine Ampelanlage. Wer voreilig bei Gelb losfährt, hat sich mit diesem Fehlstart bereits eine Disqualifikation eingebrockt. Die Kunst des Dragster-Starts ist exakt bei Grün loszufahren. Wir sprechen hier von der Reaktionszeit, die bei guten Piloten bei etwa einer 1/10 Sekunde liegt, im Idealfall aber bei "O" Sekunden, dem sogenannten "hole-shot", liegen sollte. Nach 60 Fuss (18 Metern) steht eine Lichtschranke, die die Zeit vom Start bis zu diesem Punkt misst. Hier liegen die Topwerte zwischen 1,4 bis 1,5 Sekunden. Wer 2 Sekunden braucht, weiß sofort, dass er den Start noch fleißig üben muss. Die Balance aus der richtigen Startdrehzahl, dem Kupplung lösen und dem tatsächlichen Losschießen, nichts Anderes ist die brutale Beschleunigung, erfordert ein enormes Feingefühl. Mit Hauruck und brachial durchdrehenden Reifen verschenkt man nur wertvolle Zeit und kommt nicht vom Fleck. Erst wenn man den Start beherrscht, kommt der Sprint über die 1/8 Meile oder ¼ Meile, was dann aber schon von ganz alleine gehen sollte. Das ist die erste Herausforderung im Dragstersport. Als zweites kommt das Rennen gegen den Gegner, und hier zählt alleine wer als erster ins Ziel kommt. Trotz dieses Wettbewerbs begeistert mich immer wieder die ehrliche Kameradschaft unter den Piloten und die freundschaftliche Atmosphäre im Fahrerlager", doziert der Champion.


(Foto: Horst Rössler)




Nach diesen Ausführungen darf ich ran. Längst habe ich begriffen, dass die Burn-outs vor dem Start keine Showeinlagen zur Belustigung fürs Publikum sind, sondern zum Aufwärmen des Hinterradreifens dienen. Erst bei einer Betriebstemperatur von etwa 80 Grad hat das Gummi echten Grip auf dem Asphalt und kann dann auch nur so die gewaltige Motorkraft in Beschleunigung umsetzen. Artig lasse ich also das Gummi glühen, lasse den Dragster immer mal etwas vorrollen und freunde mich mit dem spielerischen Handling der Street Harley an.



(Foto: Horst Rössler)

Dann darf ich den ersten Start versuchen. Die Ampel ist mir schnurz, schließlich geht es für mich um nichts. Der erste Gang liegt oben, ich konzentriere mich aufs Gasgeben, den Blick auf den Drehzahlmesser und 5000 Umdrehung gerichtet und dann kommt das Kupplungloslassen. Wisch! Ich schieße nach vorne, mit durchdrehenden Reifen und denke trotzdem, mich hat ein Elefant getreten. Eine Kritik muss ich mir aber gleich gefallen lassen: Kupplung zu schnell losgelassen, länger schleifen lassen. Aber bitte schön, wie lange? Ich versuche es ein zweites Mal. Erster Gang, Gas, Drehzahl bei 5000 und schwupp, Kupplung los. Unvorstellbar wie der Apparat losschießt, dabei habe ich gerade mal 150 Meter auf dem Parkplatz zum Ausprobieren. Selbst im dritten Gang dreht das Hinterrad noch wie verrückt durch, der Motor hat Power ohne Ende. Nach dem vierten Versuch klappt es mit der Kupplung rutschenlassen schon besser, vom Optimum bin ich aber noch Lichtjahre entfernt. Sollte ja auch nur ein Schnupperkurs sein, und jedem vertraut Martin Hüning seine Street Harley ja auch nicht an. Vielen Dank Champion, es hat riesigen Spaß gemacht.


Technische Daten

Motor:

Harley-Davidson Sportster Baujahr 1993,
45-Grad-V-2-Viertaktmotor; Bohrung x Hub 92 mm x 117 mm, Hubraum 1564 ccm; Verdichtung 13:1; Leistung am Hinterrad gemessen 105 PS zwischen 5000 und 7400/min, max. Drehmoment 158 Nm bei 4600/min; S&S-Zylinderköpfe mit je einem Ein- und Auslassventil, 50,8 mm bzw. 41,5 mm Durchmesser, Köpfe überarbeitet von Bernd Kramer; S&S-Zylinder; S&S-high compression-Kolben; feingewuchtete S&S Kurbelwelle und S&S Pleuel; vier Andrews N83-Rennnockenwellen; ein Mikuni-HSR48-Vergaser, offener Ansaugtrichter; 2-1 Thunderheader-Auspuffanlage, modifiziert von Stefan Graff

Fahrwerk:

Modifizierter Sportster-Rahmen mit Yamaha RD350 Telegabel und Eigenbau Stahl-Schwinge; vorne Dreispeichen-Gußfelge 3.00-17, Bereifung 100/90-17; hinten Dreispeichen-Gußfelge 6.00x17, Bereifung 190/50x17; vorne und hinten je eine Scheibenbremse; Sportster Benzintank, modifiziert von Stefan Graff; Custom-Sitzhöcker

Gewicht und Werte:
Gewicht rennfertig 187,5 kg
Beschleunigung/Spitze: 1/8 Meile (200 Meter) 6,484 Sekunden, 178 km/h
Beschleunigung/Spitze: ¼ Meile (400 Meter) 10.090 Sekunden, 213 km/h
erreichbare Höchstgeschwindigkeit über 260 km/h
Fahrzeugwert: 20.000 Euro

 

Harley-Davidson Dragracing Street Harley "Thunderbutt"
Saison 2003

Besitzer und Fahrer: Martin Hüning
Tuner und Rennmechaniker: Stefan Graff

Rennergebnisse 2003
Lelystadt (Expl. * ) 3. Platz
Oschersleben (AHD ** / Expl.) 1. Platz
Drachten-1 (AHD/ Expl.) 1. Platz

Drachten-2 (AHD/ Expl.) 1. Platz

Drachten-3 (AHD/ Expl.) Halbfinale, Regenabbruch

Oschersleben (AHD/ DMV ***) 2. Platz 

* Expl. = Explosion/Holland

** AHD = All-Harley-Drags
*** Deutscher Motorsport Verband
Deutscher Rekordhalter Klasse Street Harley 1/8 Meile 6,484 sek./ 178 km/h
Deutscher Rekordhalter Klasse Street Harley ¼ Meile 10,080 sek./ 213 km/h

Champion Deutsches Dragracing Masters (DMV)
Champion All-Harley-Drags
E.D.B.A. e.V. Clubmeisterschaft (European Drag Bike Association e.V.AHD)
Champion Street Twins (Explosion/ Holland)


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