Motorrad-Marken
 

Zeitreise:
Harley-Davidson XLCH 883 Sportster von 1960 - Kawasaki VN900 Custom von 2008


Vollendung der Gemütlichkeit
 

Die meisten Fahrberichte befassen sich mit neuen Bikes.
Es wird die Technik beschrieben und verraten, was der Feuerstuhl
so taugt. Mit der Kawasaki VN900 Custom war das auch so geplant.
Doch dann kam alles ganz anders. Hannes ballerte mit seiner
Harley-Davidson Sportster um die Ecke, schaute erstaunt
und wollte die Kawasaki gleich mal ausprobieren.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Winni Scheibe, Archiv Harley-Davidson



Denkpause:
Hannes mit der neuen Kawasaki und seiner klassischen Harley



Fahrgenuß:
Harley-Davidson XLCH 883 Sportster von 1960



Fahrspaß:
Kawasaki VN900 Custom von 2008


Johannes "Hannes" Rodewyk, 44,  ist bekennender Biker.
Nach verschiedenen "Möhren" war die Honda CB750 F1 über Jahre hinweg sein "Ein und Alles". Mit ihr ging's auf kleine und große Touren und zum Studium nach Flensburg. "Auf keine andere Maschine konnte ich mich so verlassen wie auf meine Four", schwärmt er noch heute. Nach bestandenem Examen als Diplom-Agraringenieur und anschließenden Zwischenstationen in Industriebetrieben als Produkt- und Marketingmanager kümmert er sich seit 2007 hauptberuflich um die Belange des von seinen Eltern übernommenen Biohof "Gut Kappel" in Bad Arolsen. "Die Tätigkeiten in den letzten Jahren forderten vollen Einsatz, mein Hobby Motorradfahren blieb ziemlich auf der Strecke, die Honda hatte ich inzwischen verkauft. Vor zwei Jahren bot mir ein Freund seine Sportster an, er brauchte mich nicht zwei Mal zu fragen. Nach etlichen Studienaufenthalten in den USA hatte ich mir schon lange das Fable für klassische Harleys eingefangen", verrät der sympathische Bio-Bauer.



Familienbild:
Ben der Wachhund, Sohn Finn, Bio-Hofgut-Boss Hannes


Jetzt werden sich sicherlich die Leser verwundert fragen, was hat ausgerechnet der Oldtimer mit der Kawasaki VN900 Custom zu tun. Nun, gewisse Parallelen liegen bei näherer Betrachtung auf der Hand. Hannes kennt sich mittlerweile bestens mit der Historie seiner Sportster aus und plaudert aus dem Nähkästchen: "Anfang der Fünfziger verlangte in den USA eine junge Motorradgeneration nach immer schnelleren Maschinen. Harley-Davidson, die nur schwere Touren-Bikes mit gewaltigen Big-Twins im Programm hatten, erkannten die Marktlücke und brachten 1952 ein  Sportmodell auf den Markt.  Für die Traditionsmarke war die Maschine revolutionär. Die Baby-Harley hatte einen kompakten V-2-Blockmotor mit 750 ccm, für gute Straßenlage sorgten vorne eine Telegabel und hinten eine Schwinge mit zwei Federbeinen. In der damaligen Zeit waren diese Spezifikationen eine Sensation, entsprechend schlug das K Model ein. Die Nachwuchsbiker rannten den Händlern die Bude ein, rennverrückte Biker frisierten ihre Maschinen und fuhren mit ihren pfeilschnellen Harleys bei den populären Dirt-Track-Rennen um die Wette. Auch die Straßenfahrer verlangten schon bald nach mehr Motorleistung und höherer Geschwindigkeit. Die Motor Company reagierte und stellte 1957 die erste  XL 883 Sportster mit neu entwickeltem OHV-Motor vor. Ein Jahr später folgte der Oberhammer, die  XLCH 883 Sportster."



Harley-Davidson K Model 1952
Erstes 750er Sportbike aus Milwaukee
(Foto: Archiv Harley-Davidson)



Harley-Davidson XL 883 Sportster 1957
Urahne der neuen Sportmodell-Generation von der Motor Company
(Foto: Archiv Harley-Davidson)



Harley-Davidson XLCH 883 Sportster von 1960.
Das Bike ist sogar vier Jahre älter als Hannes


Genau diesen seltenen Klassiker besitzt Hannes. Seine XLCH stammt aus dem Jahr 1960, das "CH" bedeutet "competition hot". Und "hot" war die Sportster allemal - für damalige Zeiten jedenfalls. Das 45-Grad-V-Triebwerk leistete stramme 55 PS und brachte den knapp 220 kg schweren Wetzhobel auf über 180 Stundenkilometer. Genau nach solch einem Highway-Flitzer hatten die amerikanischen Biker gelechzt. Die XLCH wurde der Knaller, jedenfalls für die, denen es nie schnell genug gehen konnte. In den USA, besonders im Sonnenscheinstaat Kalifornien,  boomte der  Motorradmarkt. Allen vorweg verkauften die damaligen englischen Nobelmarken Triumph, BSA und Norton ihre schnellen Sportmaschinen wie warme Semmeln. Mit der XLCH Sportster konnten nun endlich die wilden US-Boys ihren Kollegen auf den britischen Ladies nicht nur beim Sprint nach dem Ampelstart, sondern auch auf den endlos langen Geraden zeigen, wo der echte Hammer hängt.


Die VN-Baureihe gibt es bei Kawasaki seit über 20 Jahren


Softchopper Kawasaki VN750 von 1986


Chopper kamen Anfang der achtziger Jahre groß in Mode. Die echten Harteisen gab es von Harley-Davidson, ab 1984 war die Softail erster Fließband-Chopper direkt ab Werk. Wem eine Harley aber zu teuer, zu exotisch oder sonst was war, ging zur Japan-Vertretung nebenan. Alle vier Japaner hatten sogenannte Softchopper im Angebot. Im Kawasaki-Programm war die VN-Modellreihe bereits seit 1986 fest etabliert. Zunächst war es die VN750 mit Kardanantrieb. Im Rahmen verschiedener  Modellpflegemaßnahmen folgte 1995 die VN800 und seit 2007 gibt es die VN900 Custom. Ein modernes Bike mit Einspritz-Motor, G-Kat, EURO3-Abgasnorm, Zahnriemenantrieb und bestechendem Chopper-Outfit mit Starrahmenoptik.
Ähnlich wie damals bei Harley-Davidson die Sportster Modellreihe, positioniert  Kawasaki  neben den großen Flagschiffen VN1600 und VN2000, die VN900 Custom für 7865 Euro als "Einsteiger-Bike" in die Chopperwelt. Die 50 PS starke "Babi-VN" ist allerdings mit rund 270 kg Gewicht alles andere als ein leichtes Mädchen. Was sich jedoch auf dem Papier gewaltig anhört, spielt im Fahrbetrieb keine Rolle. Straßenlage und Handling sind mustergültig, die 160 Sachen Spitze nutzen wohl die wenigsten aus. Den größten Fahrspaß erlebt man zwischen 80 und 120 Stundenkilometern.



Kawasaki VN900 Custom von 2008


Zeitreise:
US-Kultbike & Nippon-Chopper

 


Hannes im "Zeit-Tunnel"


Gut 50 Jahre liegen zwischen der Harley-Davidson XLCH 883 Sportster und der Kawasaki VN900 Custom. Und mal ganz ehrlich, dafür sieht die Sportster immer noch recht frisch, fast möchte man behaupten zeitlos schön aus. Im Vergleich wirkt die Kawasaki trotz schicker Lackierung und Gussrädern wie ein echter Klassiker. Das Geheimnis dieses Eindrucks ist schnell verraten: beide Bikes sind Motorräder im ursprünglichen Sinn mit "Technik zum Durchgucken". Genau so, wie man sich ein Motorrad vorstellt, ohne Verkleidung, Plastikabdeckungen oder sonst irgend welchem Klimbim.

 


Oldtimer:
Harley-Davidson XLCH 883 Sportster


Cruiser:
Kawasaki VN900 Custom


Hannes lacht: "Mit dieser Ursprünglichkeit muss man sich als Fahrer allerdings arrangieren.  Zwar bekommt man für den Oldtimer noch Ersatzteile, aber ohne eigene Schrauberfähigkeiten verliert man schnell den Spaß an der XLCH. Es gibt nur wenige Fachwerkstätten, die sich mit der Technik auskennen. Auch die Bedienung hat seine Eigenheiten. Zum Laufen bringt man den Motor nur über den Kickstarter, Anlasser Fehlanzeige. Der Schalthebel für das Vierganggetriebe sitzt rechts, der Fußbremshebel links. Dafür ist der Motor ein wahres Kraftpaket, er hat ordentlich Dampf aus dem Keller. Ist der vierte Gang einmal eingelegt, reguliert man das  Tempo eigentlich nur noch mit dem Gasgriff. Vor Kurven wird der Hahn zugedreht, die Motorbremse verzögert fast wie eine Doppelscheibenbremse, nach dem Knick zieht man wieder am Kabel.   Eine Sportmaschine mit Vollgaseigenschaften ist die Sportster allerdings nicht. Je höher die Motordrehzahl steigt, um so stärker werden die Vibrationen, und die können mit der Zeit ganz schön nerven. Nach heutigen Gesichtspunkten käme die XLCH in die Schublade der  Cruiser. Als kerniges Power-Bike für den Viertelmeilen-Sprint und danach im relaxten Tempo mit 100 Sachen über den Highway."



Wird liebevoll „Ironhead“ genannt: Sportster-Motor von 1957
(Foto: Archiv Harley-Davidson)



... zum "Rasen" ist die fast 50 Jahre alte Harley-Davidson XLCH 883 Sportster viel zu schade ...


... und die Kawasaki VN900 Custom ist zum Cruisen auf die Welt gekommen


Ein Platztausch und schon sitzt Hannes in der Gegenwart. So ähnlich die Bikes aussehen und es von ihrer Art auch irgendwie sind, so unterschiedlich fühlen sie sich an. Hannes hält nicht hinter dem Berg und schwärmt: "Mit der VN900 würde ich sofort zu meinen Freunden aus der Studentenzeit nach Flensburg fahren. Schön gemütlich, nicht unbedingt über die Autobahn, mit genügend Zeit zum unterwegs Anhalten, um sich etwas anzuschauen. Volles Vertrauen genießt das Triebwerk. Im Vergleich zum Harley-Motor schnurrt das Kawa-Aggregat wie ein Kätzchen."



Optik wie ein traditionelles luftgekühltes Triebwerk.
Hinter den Kühlrippen verbirgt sich jedoch eine Wasserkühlung.



Hannes Testurteil: "cooles Cruising"


Wie kaum anders lassen sich für Hannes bei seiner Zeitreise die vergangenen Jahrzehnte in der Motorradentwicklung im wahrsten Sinne des Wortes erfahren. Freimütig urteilt er: "Auf meiner Harley spürt man Meter für Meter deutlich die Ursprünglichkeit des Motorradfahrens. Das Fahrwerk ist hart aber direkt, die Bremsleistung verlangt vorausschauende Fahrweise und der Motor vermittelt ungefiltert jeden Arbeitstakt an den Fahrer. Zur VN900 fällt mir sofort die Bezeichnung perfekt ein. Was die Optik verspricht, hält das Bike. Das Chopper-Feeling kommt voll rüber, vor allen Dingen aber, man setzt sich drauf und fühlt sich sofort wohl. Die Motorcharakteristik lässt keinen Stress aufkommen, neudeutsch würde man sagen cooles Cruising."

Sprachs, kickte mit einem verschmitzten Grinsen seine Sportster an und war schon wieder um die Ecke verschwunden ...



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