Harley-Davidson Modelle

Fahrbericht aus dem Jahr 2000

Harley-Davidson Softail Deuce FXSTD

Easy riding

Harley-Davidson ist Kult, Mythos und Legende in einem.
Harley-Davidson bedeutet aber auch Chopper. Und das hat die
"Motor Company" vornehmlich dem Kultfilm "Easy Rider" zu verdanken.
Ob die Softail Deuce wohl ein "Danke schön" an
Peter Fonda und Dennis Hopper ist?

Text&Fotos: Winni Scheibe




Eigentlich hätte Harley-Davidson einen Grund zum Feiern gehabt. Vor wenigen Monaten wurde der Kultfilm "Easy Rider" nämlich 30 Jahre alt. Und was in dieser Zeit alles passiert ist, hat die Biker-Welt grundlegend geändert, ja (!) bis auf den heutigen Tag sogar geprägt.



Mehr als nur eine Legende: HD-Chopper von "Captain America" aus Easy Rider


Aber was hat das bitte schön mit den eisenschweren Stahlrössern aus Milwaukee zu tun? Nun ganz einfach. Die beiden Titelhelden Wyatt, auch als Captain America bekannt, alias Peter Fonda und sein Kumpel Billy, mit bürgerlichem Namen Dennis Hopper, fuhren auf Choppern durch die Gegend. Genauer gesagt, von Los Angeles zum "Mardi Gras" in New Orleans. Ihre Bikes waren allerdings keine chromglitzernden Chopper aus der Harley-Davidson Vertretung gleich um die Ecke, sondern Spezialanfertigungen. Käufliche Chopper gab es damals nämlich noch gar nicht. Weder von der "Motor Company" aus Milwaukee und aus Japan schon ganz und gar nicht. Also half man sich selbst. Die ursprünglichen Panhead-Harleys wurden phantasievoll "gechoppt", was frei übersetzt "abhacken" bedeutet. Praktisch hieß das, alles, was überflüssig war und nicht gebraucht wurde, flog im hohen Bogen auf den Müll. Letztendlich übrig blieb ein dicker V-2-Motor mit wunderschönen, offenen Auspuffrohren, ein Starr-Rahmen, ellenlange Gabel mit spindeldünnem Vorderrad, mickriger Tropfen-Tank, eigenwillige Stufensitzbank, ein abgesägtes hinteres Schutzblech und darunter ein breiter Hinterradschlappen. Als Zugeständnis für Fahrten im Dunkeln gab es eine Notbeleuchtung. Nicht mehr und auch nicht weniger.
Erfunden haben Peter Fonda und Dennis Hopper die Chopper allerdings nicht. Diese skurrilen Vehikel gab es im "Wilden-Westen" der USA bereits seit etlichen Jahren. Was Harley-Davidson und die Biker-Szene den beiden Filmhelden jedoch zu verdanken hat, das ist die Tatsache, dass erst durch ihren Film Easy Rider die Chopper weltweit bekannt und gleichzeitig zum Vorbild einer vollkommen neuen Motorradfahrergeneration wurden.




Was weniger bekannt oder vergessen wurde, das war die extrem gewöhnungsbedürftige Fahrbarkeit der knüppelharten Ur-Chopper. Beide Bikes hatten nämlich keine Hinterradfederung, die Gabelfederung war mies, bei Captain Americas Bike fehlten die Vorderradbremse und das vordere Schutzblech. Von guter Straßenlage oder gar Fahrkomfort konnte also keine Rede sein, die Easy Rider-Chopper waren 100 Pozent individuelle Bikes, nichts für Jedermann und für eine Großserie kaum geeignet!
Die Zeiten, dass sich die Biker-Gemeinde mit Hammer, Säge und Meißel ihre eigenen Chopper hinbiegen muss, sind längst vorbei. Custom-Bikes, wie sie auch genannt werden, gibt es ab Werk. Und weil sich bei den Leuten inzwischen die Meinung um 180-Grad gedreht hat, werden diese Langgabel-Bikes von Frauen und Männern gekauft und gefahren. Aber Vorsicht bitte (!), unter dem Helm könnte ihr Hausarzt, der Rechtsanwalt aus dem Nachbarhaus oder die nette Lehrerin ihrer Kinder zum Vorschein kommen. Das Klischee "Chopper werden nur von Rockern oder Drogen-Dealern gefahren" ist überholt, bitte dieses Vorurteil ganz schnell vergessen.




Das hat Harley-Davidson natürlich auch erkannt und lässt munter verschiedene Chopper-Modelle in York/Pennsylvania vom Fließband rollen. York deswegen, weil die Harleys nicht in Milwaukee, sondern am "Fuß der blauen Berge" gebaut werden. Das ist ähnlich wie bei BMW. Alle reden immer vom typisch bayrischen Motorrad aus München, in Wirklichkeit werden die Maschinen aber in Berlin produziert.




Topmodell in der Harley-Davidson Chopper-Modellreihe ist in diesem Jahr die knapp 35.000 Mark teure Softail Deuce FXSTD. Eigentlich ist an diesem Bike alles neu, nur eins nicht, und das ist selbstverständlich das Harley-typische Outfit. Bei Harley ist das nämlich ganz wichtig. Das Auge fährt schließlich mit und der aufmerksame Betrachter soll auf den ersten Blick erkennen: "da, eine Harley-Davidson". 




Und wie es sich für das US-Bike gehört, sorgt natürlich weiterhin ein gewaltiges V-2-Triebwerk, das in einen, optisch jedenfalls, Starrrahmen eingebaut ist, für den Vorschub. Das ist bei der Harley Softail so und so kennt man die Evo-Softail fast schon seit 20 Jahren. Und genau an dieser Stelle muss zu diesem Thema etwas gesagt werden. Ganz gleich, ob in Testberichten, am Stammtisch oder bei den legendären "Benzingesprächen" abends am Lagerfeuer, der Softail wurden ständig ein stark vibrierender Motor und schlechte Bremsen nachgesagt. Damit soll nun endlich Schluss sein, oder "Deuce". "Deuce" heißt nämlich soviel wie "Einstand" und damit will uns Harley-Davidson unmissverständlich sagen, dass ab sofort eine neue Softail-Modellreihe beginnt.




Leicht hat man es sich damit weiß Gott nicht gemacht. Ohne einen Deut vom Erscheinungsbild abzurücken, wurde der Motor und einiges drumherum komplett neu konstruiert. Der V-2-Twin hat nun fast 1500 Kubik, leistet stramme 63 PS, und damit die Vibrationen die Zahnplomben im Gebiss lassen, haben die Techniker dem Triebwerk zwei Ausgleichswellen spendiert. Ebenfalls neu sind die zwei untenliegenden Nockenwellen, das direkt hinter dem Motorblock platzierte Fünfganggetriebe und die vielen kleinen und großen Modifikationen, die das Kuppeln und Schalten bedeutend leichter machen. Das Fahrwerk hat man sehr komfortabel abgestimmt, von beinhart kann keine Rede sein. Der Oberknaller aber sind zweifellos die Bremsen. Vorne und hinten nehmen Vierkolbenzangen die 292 mm großen Scheiben in die Mache. Überhaupt nicht gespart hat das Werk bei den optischen Detailausführungen. Von der Gabel bis zum Heck blinkt und blitzt die Softail Deuce. Gabel, Gabelbrücken, Lampe, Lenkerhalter, Lenker, Öltank, Ölleitungen und vieles mehr ist bereits ab Werk verchromt.




Wer nachträglich diese Sachen in einer Verchromerei auf Hochglanz bringen lässt, wird ein Vermögen los. 
Die Deuce ist ein absolut gelungenes Bike, oh pardon natürlich ein Chopper. Der US-Highway-Gleiter ist glattflächig, aufgeräumt, ohne Firlefanz, so wie man sich eben heutzutage einen Chopper wünscht. Und was das Fahren anbetrifft, passt dieser Chopper perfekt in unsere Welt. Der Motor läuft ruhig, der Auspuffsound ist weder laut, noch aufdringlich. Weder Omas noch Kleinkinder jagt man mit diesem Chopper einen Schrecken ein. Bei niemandem braucht man sich zu entschuldigen. Und das ist wichtiger denn je. Die Deuce hat sogar einen ungeregelten Katalysator, auch das muss gelobt werden. Zugestopft oder gar "gedrosselt" wirkt der Motor dadurch nicht. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Noch nie hing ein serienmäßiger Harley-Motor so am Gas. Der neue Twin Cam 88 B-Motor ist einfach eine Wucht. In jeder Lebenslage schiebt die Deuce richtig vorwärts.




Das Fahrwerk ist komfortabel abgestimmt, vielleicht sogar schon einen Tick zu weich. Beim Bremsen geht die Vordergabel nämlich auf Block, sie taucht voll ein. Das liegt allerdings auch an der guten Bremswirkung des Vorderradstoppers. Nichts geändert hat sich an der Sitzposition. Die Stiefel stehen auf vorverlegten Fußrasten, man sitzt bequem in der Sattel ähnlichen Sitzbank, der breite Lenker liegt lässig in den Händen.
Und weil dieses "Platznehmen" überhaupt nichts mit Schnellfahren zu tun hat, ist dem Deuce-Rider auch vollkommen schnuppe, dass das Bike, wenn man wollte, 175 Sachen schnell ist. Schließlich ist der Weg das Ziel, und mit der Deuce sogar ganz seriös.




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