Honda Gold Wing
"Nippon
Kult"
Maschinen von
Honda haben ab Mitte der sechziger Jahre
maßgeblich die Motorradwelt mit geprägt. Erst war es die
CB450,
danach die CB750 Four und dann die GL1000 Gold Wing. Aus
dem
japanischen "King of the Road" ist
inzwischen die GL1800 Gold Wing
geworden. Wir blättern im
Geschichtsbuch.
Text:
Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Honda
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Honda Gold Wing, ein
weiterer Meilenstein in der Motorradgeschichte
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Anfang der Siebziger dümpelte bei
uns der Motorradmarkt am Boden. Wer etwas vom Fach verstand, setzte
keinen Pfifferling aufs Zweirad. Bis zum Herbst 1972. Musste im Vorjahr
der Handel noch eine Minusbilanz verbuchen, ging es plötzlich steil
bergauf. Alle, die das Motorradgeschäft bis dato für tot erklärt
hatten, wurden spätestens bei der IFMA 1972 in Köln Lügen gestraft.
"Größer, stärker und schneller"- keine Aussage hätte die
gebotene Show besser treffen können. Aussteller aus der ganzen Welt
waren gekommen, die Zuschauerzahlen überboten alles bisher Dagewesene.
Die englischen Hersteller trumpften noch einmal mächtig auf. Mit ihren
750er Topmodellen BSA Rocket3, Triumph Trident und Norton Commando
versuchten sie zu retten, was noch zu retten war. Vergeblich, wie wir
heute wissen. Ganz anders die klangvollen Marken aus Italien. Von
Ducati, Moto Guzzi, Benelli, Laverda und MV Agusta kamen brandneue
Maschinen mit Zwei-, Drei- und sogar Vierzylinder-Viertakt-Motoren, die
bis zu 1000 ccm und gut 80 PS hatten. BMW in München setzte voll auf
die neue Strich-5 Modellgeneration, Friedel Münch fertigte mit frischem
Elan in exklusiver Kleinserie weiterhin die Münch-4 TTS 1200, und
Harley-Davidson war mit Abstand der teuerste Exote in der Branche. Mit
großem "Halali" bliesen die vier japanischen Firmen - Honda,
Yamaha, Suzuki und Kawasaki - zur Eroberung des europäischen Marktes.
Eine noch nie erlebte Modellvielfalt, bestückt mit Zwei- und
Viertakt-Triebwerken von 50 bis 900 ccm, wurde von den Asiaten feil
geboten. Fans und Fachleuten verschlug es beim Anblick der Highlights
schier den Atem. Von Yamaha gab es neben den pfeilschnellen 250er und
350er Zweizylinder-Zweitakt-Sportmaschinen die kernigen Viertakt-Twins
XS 650 und TX 750, Honda hatte zur erfolgreichen CB 750 die CB 500 Four
gestellt, Suzuki blieb mit der neuen GT 380, GT 550 und GT 750 weiterhin
dem Zweitaktprinzip treu. Auch Kawasaki ließ sich in diesem Metier
nicht lumpen. Hatte die 500 H1 "Mach III" bereits im Herbst 1968
für Aufregung gesorgt, umfasste die Dreizylinder-Zweitakt-Palette nun
die 250 S1 "Mach I", 350 S2 "Mach II", 500 H1B
"Mach
III" und 750 H2 "Mach VI". Doch längst nicht genug. |
Kawasaki "Z1" |
Ohne
Vorwarnung präsentierte das Werk die 900 Super 4, kurz "Z1". Ein
Motorrad der Superlative: DOHC-Vierzylinder-Motor, 903 ccm, 82 PS, 220
km/h Spitze - und das zum Preis von nur 7200 Mark.
Den Kawa-Verantwortlichen war die
Überraschung nachhaltig gelungen. Die ganze Motorradwelt schaute auf
die neue Supermaschine. Sehr zum Leidwesen von Soichiro Honda.
Schließlich war er es gewesen, der 1965 mit der CB 450 und vier Jahre
später mit der CB 750 Four einen Meilenstein in der Motorradgeschichte
gesetzt hatte. Rückblickend betrachtet löste die 750er Four den
Motorradboom Anfang der Siebziger aus. Der vom Erfolg verwöhnte
Firmenboss konnte und durfte sich die Schmach nicht gefallen lassen.
Nicht zu vergessen ist, dass damals ein beinharter Konkurrenzkampf unter
den vier japanischen Produzenten herrschte. Hondas Antwort war schnell
gefunden. Noch im Dezember 1972 stürzten sich Versuchsingenieure bei
R&D (Research & Development Center) auf die neue
Herausforderung. Gemäß dem Auftrag "machen, was machbar ist",
begab man sich an die Entwicklung eines sportlichen Super-Tourers. Es
sollte der "King of the Motorcycles" werden, der in jeglicher
Hinsicht die sportliche Kawasaki "Z1" übertraf, aber auch jenen
exzellenten Tourenkomfort besaß, den bisher nur eine BMW zu bieten
hatte. Kein Geringerer als der geniale Ingenieur Soichiro Irimajiri
übernahm die Leitung des Projektes mit dem internen Codenamen "M1". |
Erst Projekt "M1",
später "AOK"
(Foto:
Honda)
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Irimajiri San war der richtige Mann für diese Aufgabe, als 24jähriger
hatte er bereits 1964 die sensationelle Sechszylinder-Werksrennmaschine
RC 164 konstruiert. Und so wundert es nicht, dass der
Viertaktspezialist wieder ein Sechszylinder-Triebwerk entwarf. Diesmal
allerdings nicht als DOHC-Reihen-Motor, sondern als längsliegendes Flüssigkeits
gekühltes OHC-Sechszylinder-Boxer-Aggregat mit sage und
schreibe 1470 ccm Hubraum. Diese Ausführung war für Irimajiri eine
logische Schlussfolgerung, schließlich sollte das Triebwerk die
bisherige Norm sprengen und darüber hinaus automobilmässige Perfektion
besitzen. Das Aggregat wurde eine Wucht. Zwar lag die Motorleistung nur
bei kommoden 61 bhp bei 7500/min, dafür lief der Sechszylinder
seidenweich und verfügte über ein sehr breites Drehzahlband. Um den
Prototyp möglichst rasch auf die Räder zu stellen, bedienten sich die
japanischen Konstrukteure erprobten Bauteilen von BMW. Das
Vierganggetriebe samt Hinterradschwinge mit Kardanantrieb, Hinterrad,
Federbeinen, Sitzbank sowie den Endschalldämpfern "borgte" man
sich kurzerhand von einer R 75/5. Eingebaut wurde das "Joint
venture"-Triebwerk in einen stabilen Doppelrohrrahmen mit
abschraubbaren Unterzügen, die Vorderpartie nahm man aus dem
Ersatzteillager für die CB 750. Im Fahrbetrieb erfüllte das rund 220
kg schwere Bike seine Aufgabe glänzend. Niedertouriges Dahingleiten war
genauso wie sportliche Fahrweise möglich. Den Sprint über die
Viertelmeile bewältigte die "AOK", wie man den Prototyp
inzwischen bezeichnete, in nur 12,4 Sekunden. Einen Wert, den selbst die
CB 750 nicht erreichte. Um dem Anspruch "King of the Road"
gerecht zu werden, bekam der Super-Tourer als Sonderausstattung
Seitenkoffer. Trotz rundherum positiver Testergebnisse sollte die AOK
jedoch nie in Serie gehen, sie war ihrer Zeit einfach um Jahre voraus.
Soichiro Irimajiri hatte dieses Motorrad 16 Jahre zu früh konstruiert.
Die GL 1500 mit dem Flüssigkeits gekühlten Sechszylinder-Boxer-Motor
kam erst 1988 auf den Markt...
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Nun war das Projekt Super-Tourer
damit aber nicht gestorben. Ganz im Gegenteil. Honda war im Zugzwang und
musste schnellstmöglichst ein neues Motorrad auf den Markt bringen.
Doch an das Sechszylinderprojekt traute man sich offensichtlich noch
nicht so richtig heran. Und so fiel die Entscheidung zugunsten eines
Vierzylinderaggregates. Die Arbeit begann also wieder von vorne, etliche
Entwicklungserkenntnisse, wie zum Beispiel Wasserkühlung und
Kardanantrieb, ließen sich jedoch übernehmen. Es entstand ein
glattflächiger Flüssigkeits gekühlter Vierzylinder-Boxer-Motor mit 999
ccm Arbeitsvolumen, der mit bisher bekannten Motorradtriebwerken wenig
zu tun hatte. Nicht ohne Grund. Honda wollte ja nicht nur mit der
technischen Ausführung eines neuen Paradepferdes, mit dem Modellnamen
GL 1000 Gold Wing, einen weiteren Meilenstein setzen. Auch hinsichtlich
der Pflege, Wartung und Instandsetzung sollte das Triebwerk den alten
Zopf, vom ständig schlossernden und den an Öl verschmierten Händen
sofort erkennbaren Motorradfahrer, abschneiden. Denn das Werkeln an der
eigenen Maschine gehörte Anfang der siebziger Jahre immer noch zum
Alltag. Vielfach war es auch zwingend erforderlich. Wer sein Ziel sicher
erreichen wollte, musste sich um die Wartung zwangsläufig selbst
kümmern. Ganz gleich, ob es das Kettenschmieren oder Kettennachspannen,
der Öl- oder Zündkerzenwechsel oder sogar eine Fahrzeugreparatur
unterwegs war. Vielen Motorradfahrern gingen aber diese Basteleien
zunehmend auf den Keks. Sie wollten lieber fahren als dauernd schrauben. |
"Auto-Motor" für ein
Motorrad
(2 Fotos: Honda)
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Um ein perfektes Motorrad auf die
Räder zu stellen, wählten die Honda Techniker daher zum Teil
unkonventionelle Wege. Im vertikal getrennten Motorgehäuse aus
Leichtmetall-Guss drehte sich die geschmiedete Kurbelwelle in drei
Gleitlagern, als hinteres Führungslager diente ein Kugellager. Der
Hubzapfenversatz betrug 180 Grad, jedes Pleuel lief auf seinem eigenen
Hubzapfen. Den Zahnriemen-Antrieb für die oben liegende Nockenwelle pro
Zylinderreihe hatten die Ingenieure aus dem PKW-Bau abgekupfert. Die
Einlasskanäle zeigten nach oben, der Auslass nach unten. Für den
Gaswechsel waren pro Brennraum zwei Ventile zuständig, die via
Kipphebel in Schwung gebracht wurden. Vier Keihin-Gleichdruck-Vergaser
mit 32 mm Durchlass waren für die Gemischaufbereitung da, die
Entsorgung der Abgase passierte durch je einen, rechts und links am
Fahrzeugheck montierten, Schalldämpfer. Der Kurzhuber mit 72 mm Bohrung
und 61,4 mm Hub leistete stramme 82 PS bei 7500/min, das maximale
Drehmoment von 8,2 mkp erreichte der Motor bei 6500/min.
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Der
Tank sitzt unter der Sitzbank |
Tourentauglich: Kardanantrieb |
War das Boxer-Bauprinzip als
solches nichts Neues, verdiente der 106 kg schwere GL 1000 Motor dennoch
nähere Beachtung. Primärantrieb, Mehrscheibenkupplung, Getriebeeinheit
sowie Generator befanden sich gemeinsam in einem kompakten Motorblock.
Für diese Konstruktion hatte man etliche Zahnräder, Hilfswellen und
Antriebsketten vorgesehen, denn das Fünfganggetriebe befand sich
nicht wie üblich hinter dem Motor, sondern lag aus Platzgründen und um
den Schwerpunkt besser zu verteilen, unter der Kurbelwelle. Damit das
Triebwerk auch tatsächlich vibrationsarm lief und um das störende
Rückdrehmoment weitgehend zu eliminieren, war die Schwungmasse
aufgeteilt. Auf einer separaten Welle lief gegen die Drehrichtung des
Kurbeltriebes der gut 4,5 kg schwere Generator mit dem Anlasserfreilauf.
Den Antrieb des Generators übernahmen Zahnräder, der Kraftfluss vom
Anlasser zum Anlasserfreilauf wurde über eine Kette hergestellt. Als
Primärantrieb diente eine Endlos-Zahnkette, die Mehrscheibenkupplung
lief im Ölbad. Das Klauen geschaltete Fünfganggetriebe hatte, wie
bereits erwähnt, seinen Platz unter dem Kurbeltrieb bekommen, und der
Kardanantrieb war mittlerweile bei Honda selbst entwickelt worden.
Entgegen einer vielfach verbreiteten Information, die Gold Wing sei das
erste japanische Motorrad mit Wellenantrieb, möchte der Autor an dieser
Stelle auf die Maschinen von Lilac und Marusho verweisen, die bereits in
den 50er Jahren mit solch einem Hinterradantrieb gebaut wurden. Für
Honda war die Kardantechnik allerdings Neuland und somit eine riesige
Herausforderung. Ebenfalls neu war die Reifendemension des dicken 4.50 H
17 Hinterrades. Mit dieser Gummiwalze ließ sich das hohe
Fahrzeuggewicht von 295 kg plus einer Zuladung von 176 kg realisieren.
Dass es von den etablierten europäischen Reifenherstellern noch keinen
Pneu in diese Größe gab, störte die Honda Leute allerdings wenig.
Ebenfalls außergewöhnlich war die Lage des Kraftstofftanks im
Rahmendreieck unter der Sitzbank. Dieser Platz war zwingend notwendig,
da über dem Triebwerk, wo üblicherweise das Spritfass thront, kaum
noch Platz war. Rahmenrohre, Luftfilterkasten und ein Teil der
elektrischen Ausrüstung hatten sich hier bereits breitgemacht. Um aber
den Schein zu wahren, wurde kurzerhand eine Tankattrappe konstruiert.
Diese war so gut gelungen, dass, wer's nicht wusste, den Tank nie und
nimmer unter der Sitzbank vermutete.
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Damals "Maß der Dinge":
Doppelscheibenbremse
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Fortschrittlich war die
Bremsanlage. Am vorderen 3.50 H 19 Speichenrad mit Alu-Felge war eine
Doppelscheibenbremse mit 232 mm Durchmesser und hinten eine 250 mm
große Scheibenbremse montiert. Als weitere Besonderheiten mussten die
Benzinpumpe, sie war durch die tiefe Lage des Tanks erforderlich, und
die Tankuhr auf der Tankattrappe erwähnt werden. Die heute als "Naked-Bike"
gefeierte Maschine entsprach damals den Vorstellungen vom großen
Motorrad. Die Zeit der serienmäßigen Halbverschalungen und tourenmässigen Vollverkleidungen sollte erst noch kommen und bis es
soweit war, überließen die Fahrzeughersteller lieber das Geschäft
kleinen Zulieferfirmen. Eine Geschichte, auf die wir später noch
zurückkommen müssen. Natürlich hatte es einige Zeit gedauert, bis die
Gold Wing serienreif war, zunächst wurde mit verschiedenen Tank- und
Sitzbankformen sowie schmalen und breiten Radabdeckungen experimentiert,
auch gab es eine Studie mit lenkerfester Halbverkleidung, ein Prototyp
mit Gussfelgen und sogar einen mit verchromter 4-in-4 Auspuffanlage. Die
geheimen Testfahrten erfolgten in Japan, in den USA und auch auf
deutschen Straßen. Im Herbst 1974 waren alle Versuche abgeschlossen und
die endgültige Modellausführung für eine Fließbandproduktion
festgelegt. Jetzt fehlte nur noch ein geeigneter Anlass, den neuen,
sechs Zentner schweren Supersport-Tourer der Öffentlichkeit
vorzustellen.
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Für dieses Ereignis fiel die Wahl
auf die IFMA in Köln. Stand bei der Motorradshow 1972 die Kawasaki
"Z1"
im Rampenlicht, feierte hier zwei Jahre später die Honda GL 1000 Gold
Wing Weltpremiere. Hondas neues Flaggschiff wurde tatsächlich zur
Sensation. Doch an die Euphorien, die damals die "Z1" ausgelöst
hatte, kam der Super-Tourer nicht heran. Die Meinung der Fachleute sowie
der Motorradfans spaltete sich in zwei Lager. Der eine Teil lehnte das
neumoderne "Auto-Motorrad" von vornherein ab. Sie wetterten über
das Aussehen, die komplizierte Technik und das hohe Gewicht. Wer mit
dieser Maschine eine Panne hat, kann weder die Vergaser noch die
Zündung selbst einstellen. An diesem Motorrad, orakelten die „Windgesichter",
werden sich die Abschleppdienste und Werkstätten eine goldene Nase
verdienen. Geht mal was kaputt, wussten die Spezis sofort, muss man das
Motorrad gleich wegen jeder Kleinigkeit in die Vertragswerkstatt
bringen. Doch nicht alle dachten so. Endlich haben es die Japaner
fertiggebracht, frohlockten die Tourenfahrer und Weltenbummler, ein
leistungs- und hubraumstarkes Reisemotorrad mit Kardanantrieb auf den
Markt zu bringen. Und genau für diese Käuferschicht war die GL 1000
wie geschaffen, auch wenn Honda die Gold Wing zunächst als eine
Supersport-Tourer verkaufen wollte. Aber supersportlich war die Gold
Wing beileibe nicht. Doch bis sich das herumgesprochen hatte, sollte
noch einiges passieren. Gleich nach der Präsentation bei der IFMA
überschlug sich landauf, landab die Fachpresse. In ihren Artikeln
lobten die Redakteure Hondas Mut zum neuen Konzept und stellten alle
möglichen Spekulationen über die Fahreigenschaften des 82
PS-Super-Bikes auf.
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Bis die neue GL 1000 K0 Gold Wing
aber erstmals offiziell über deutsche Straßen rollte, sollte es Sommer
1975 werden. Mit den ersten Fahrberichten konnte Honda zufrieden sein.
Einstimmig schwärmten die Tester vom seidenweichen und vibrationsfreien
Motorlauf und dem kräftigen Durchzug. Noch nie hätte es ein Motorrad
gegeben, mit dem man so bequem und leise fahren könne. Die
Flüssigkeitskühlung stabilisierte nicht nur die Motortemperatur, der
Wassermantel dämpfte auch die mechanischen Geräusche. Zwar sei die
Gold Wing mit 295 kg nicht gerade ein Leichtgewicht, doch war der Koloss
erstmals am Rollen, ließ sich vom Gewicht nichts mehr spüren. Der
niedrige Schwerpunkt machte die Maschine tatsächlich erstaunlich
handlich. Großes Lob erntete die Maschine auch nach langen Touren über
die Autobahn. Im Vergleich zu den Kardan-Maschinen von BMW und Moto
Guzzi sammelte die GL jede Menge Pluspunkte. Doch die Tester und auch
etliche stolze Gold Wing Besitzer mussten ihren ersten Eindruck schnell
revidieren. Gab der Pilot der GL 1000 den Befehl die Flügel
auszustrecken und ließ er die Maschine mit vollem Karacho über den
Asphalt sausen, konnte ihm rasch Angst und Bange werden. Ob in
langgezogenen Autobahnkurven, oder über Quer-oder Längsrillen oder auf
schnellen Bundesstraßen, je nach Lust und Laune, begann das Fahrwerk
furchterregend. zu wackeln und je nach Situation konnte es durchaus
passieren, dass der Fahrer zum Abfangen der GL - wenn er Glück hatte -
die gesamte Straßenbeite benötigte. Schnelles Kurvenfahren und die
hiermit verbundene Schräglage möchte das Topmodell überhaupt nicht
ab. Schon bei "ziviler" Neigung setzten Schalldämpfer und
Fußraste Funken sprühend auf der Fahrbahn auf. Dass die GL 1000 nichts
für Heizer war, sprach sich in Windeseile herum. Doch es sollte noch
viel schlimmer kommen. Zwischen September 1977 und Juli 1978 ereigneten
sich mit der GL 1000 drei schwere Unfälle, einer davon mit tödlichem
Ausgang. Die spektakulären Motorrad-Unglücke lösten eine Reihe von
Prozessen aus, bei denen es letztendlich um die Produkthaftung von
Zubehörteilen ging. An allen drei GL-Maschinen waren nämlich
lenkerfeste Zusatzverkleidungen - mit TÜV-Gutachten versteht sich -
montiert. Die Geschädigten oder ihre Angehörigen verklagten Honda, es
wurden Gutachten und Gegengutachten erstellt und Dutzende von Zeugen
vernommen. Zunächst gelang es den verantwortlichen Firmenvertretern
den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Sie erbrachten den Nachweis, dass
nicht das Motorrad, sondern die Verkleidung an den Unfällen Schuld sei.
Dennoch, der ADAC warnte seine Leser vor dem Monster-Tourer und sogar
das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete über die
Vorfälle. Die Sache war für Honda allerdings längst nicht
durchgestanden. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe vertrat 1989 in
seinem Urteil die Ansicht, dass auch den Fahrzeughersteller eine Schuld
treffe. Auch TÜV-geprüfte Zubehörbauteile, die nachträglich an ein
Fahrzeug geschraubt werden, müssen vom Hersteller getestet und
freigegeben werden. Ein Urteil, das gravierende Auswirkungen auf die
gesamte Motorradbranche hatte.
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Gold Wing LTD von 1976
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Bis Ende 1980 blieb die 1000er
Gold Wing im Angebot, 3620 Käufer erwarben den Sechszentner-Boliden.
1975 war es die GL 1000 KO; 1976 die GL 1000 K1 und parallel dazu die GL
1000 LTD, 1977 die GL 1000 K2 und ab 1978 die GL 1000 K3 und zum Schluss
die K4. Optisch unterschieden sich die Modelle in ihrer Lackierung und
ab der K3 drehten sich ComStar-Felgen im Dickschiff, die Leistung sackte
1978 auf 78 PS. GL-Kenner werden jetzt aber gleich rufen, da waren doch
noch viel mehr Modifikationen. Recht haben sie. Doch alle aufgezählt,
würden sie den Rahmen dieses Berichtes sprengen. Aus diesem Grund
sollen hier nur die wichtigsten genannt werden. Von der K0 wollte Honda
60.000 Einheiten bauen, tatsächlich wurden es aber nur 5.000 Maschinen.
Bei uns kostete 1975 der Highway-Runner rund 9.300 Mark. Die wichtigste
Modellpflege zur K1 war 1976 eine neue Sitzbank und das
Schrägrollenlager im Steuerkopf, der Preis blieb bei 9.300 Mark.
Parallel zur GL 1000 K1 gab es in diesem Jahr das nur 3000 mal
produzierte Jubiläumsmodell "LTD".
Optisch mit reichlich Chrom,
Gold-eloxierten Felgen, Sonderlackierung und Edel-Bordwerkzeug
ausgestattet, war die LTD, ohne es selbst zu wissen, ein Vorreiter der
bald in Mode kommenden Softchopper-Welle. Für knapp 11.000 Mark wurden
rund 500 Maschinen bei uns verkauft. Ab 1977, der GL 1000 K2, gab es
eine frische Lackierung, das Bike kostet jetzt nur noch 8300 Mark. Auf
die K2 folgt logischerweise 1978 die K3 und 1979 kam die kaum geänderte
K4. Beide Maschinen, K3 und K4, sind an der von vorne bis hinten
verchromten Auspuffanlage, den ComStar-Felgen sowie den Instrumenten auf
der Tankattrappe zu erkennen. Ein besseres Fahrverhalten sollte der
verstärkte Rahmen bewirken. Vergaser mit 31mm statt 32 mm Durchlass,
geänderte Steuerzeiten sowie Zündanlage sorgten für mehr Dampf aus
dem Keller, ließen die Spitzenleistung allerdings von 82 PS auf 78 PS
sinken. 1978 gab es die K3 für 7250 Mark, 1979 für 8760 Mark, und 1980
fiel der Preis für das Auslaufmodell auf unter 7.000 Mark. Kein Wunder.
Die neue GL 1100 stand ab Mitte 1980 bei den Honda Händlern im
Schaufenster. Eine neues GL-Kapitel wurde aufgeschlagen.
Ab 1980
kam die GL1100 Gold Wing auf den Markt
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GL1100DX von 1982 |
GL1100-Triebwerk jetzt mit 83 PS |
Zweifellos hatte Mr. Soichiro
Honda mit der GL 1000 Gold Wing wieder einmal einen Meilenstein in der
Motorradgeschichte gesetzt. Dieser Meilenstein war allerdings nicht
makellos. Durch die Unfälle und die damit verbundenen Gerichtsverfahren
war das Motorrad mächtig in Verruf gekommen. Kein Mensch sprach mehr
vom sportlichen Supertourer, die Honda- Leute am allerwenigsten. Und so
wurde 1980 aus der "agilen" GL 1000 der Luxus-Tourer GL 1100 Gold
Wing. Für die deutsche Motorradkundschaft hatte man den Tourer als
"Softchopper"
oder, wie man inzwischen sagen würde, als "Naked-Bike"
konzipiert. Eine Maschine ohne Kunststoffverkleidung und sonstigem
Tourenzubehör. Der Motor war im Großen und Ganzen der alte Bekannte
aus der GL 1000. Für den Einsatz im neuen Flaggschiff wurde er aber
gründlich überarbeitet. Durch die Vergrößerung der Zylinderbohrung
von 72 auf 75 mm ergab sich ein Hubraum von exakt 1085 ccm. Geänderte
Steuerzeiten, eine kontaktlose elektronische CDI-Zündanlage, neue
Keihin-Gleichdruckvergaser mit 30 mm Querschnitt steigerten die
Motorleistung auf 83 PS bei 7500/min und verbesserten das maximale
Drehmoment auf 9,2 mkp bei 5500/min. Im gleichen Aufwasch verstärkte
man Kupplung, Getriebe und Kardanantrieb. Mit dieser Kur hatte man nicht
nur die Standfestigkeit des Triebwerkes verbessert, der Motor verfügte
nun über einen noch besseren Durchzug. Auch das Fahrwerk wurde
hinsichtlich des Leistungszuwachses überarbeitet und die
Rahmengeometrie gleich mit geändert. Der Radstand betrug anstatt 1560
mm nun 1605 mm, den Nachlauf hatte man von 120 mm auf 135 mm
verlängert. Für bessere Fahrstabilität sorgten darüber hinaus Felgen
aus der neuen ComStar-Generation, bei denen die Leichtmetallspeichen mit
den Schnittkanten nach außen zeigten. Auf die Laufräder waren
Niederquerschnittsreifen von Dunlop montiert, vorne ein 110/90 H 19 Pneu
und hinten eine 130/90 H 17 Gummiwalze.
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Für Fahrkomfort sorgten die Luft unterstützte Telegabel und die ebenfalls luftunterstützten
Federbeine. Individuell ließen sich die Federelemente auf die
Bedürfnisse der Passagiere abstimmen. Nachdem die Gold Wing nun ganz
klar als Touren-Motorrad verkauft wurde, regte sich niemand mehr über
zuwenig Schräglagenfreiheit oder das hohe Gewicht auf. Ein Tester
charakterisierte es wie folgt: "Gemütlich durch die Lande streifen,
genügend Reserve fürs Überholen - dafür ist die Gold Wing richtig.
Wer heizen will, darf sie nicht kaufen. Aus einem Omnibus lässt sich
nun mal kein Formel 1-Rennwagen machen."
Knieschleifer und Rennfans kauften
und interessierten sich sowieso nicht für das Dickschiff. Wer sich eine
GL 1100 anschaffte, wusste im Prinzip, auf was er sich einließ. Die
Fangemeinde wurde immer größer, und es sollte nicht mehr lange dauern,
und die Gold Wing hatte einen ähnlichen Kultstatus eingenommen, wie man
es nur von den Maschinen der amerikanischen Traditionsmarke
Harley-Davidson kannte. Im Laufe der Jahre entwickelte sie eine
regelrechte GL-Szene. Bald gab es unendlich viel Zubehör, Sinnvolles
wie Gimmicks. Das erste Marken gebundene Gold Wing-Treffen fand im Sommer
1978 statt, drei Jahre später formierte sich aus dem "Freundeskreis
der Gold Wing Fahrer" der Gold Wing Club Deutschland e.V. (GWCD).
Es wird eine eigene Club-Zeitung herausgegeben, und rund 1200 Leute sind
heute im GWCD Mitglied. Das sind immerhin etwa 15 Prozent aller
deutschen Gold Wing-Fahrer. Darüber hinaus gibt es regionale Gold
Wing-Stammtische und natürlich die GL-Clubs in den Nachbarländern, die
sich in der Gold Wing European Federation (GWEF) organisiert haben.
Dennoch waren Anfang der achtziger
Jahre die Gold Wing Fahrer hierzulande mit der neuen GL 1100
unzufrieden. Was ihnen fehlte, waren Verkleidung, Packtaschen und
Topcase - eine Tourenausstattung, die bei der GL1100 Gold Wing "Interstate"
in den USA zum Standard gehörte. Kein Wunder, der Luxusliner wurde
mittlerweile in der Hondafabrik in Marysville im US-Staat Ohio
produziert. Für das japanische Unternehmen war der US-Markt sehr
wichtig, auch wollte man die Gold Wing genau für die Bedürfnisse der
amerikanischen Biker bauen. Und so wurde sie im Laufe der nächsten
Jahre zu einem "Luxus-Appartement auf zwei Rädern", zu einem
Motorrad, das eigentlich noch viel zu jung ist, um in einem Oldtimer
Markt Artikel gewürdigt zu werden. Doch um das Kapitel hier nicht
einfach abzuschneiden, wollen wir noch einen Blick auf die weiteren
Modelle werfen. Bereits 1981 wagte es Honda, die Gold Wing auch in
Deutschland, nun als GL1100DB mit einer Vollverkleidung anzubieten.
Mit flacher Verkleidungsscheibe versteht sich, da der TÜV das hohe
Plexiglas nicht freigeben wollte. Auch gegen die Koffer und das Topcase
hatten die Sachverständigen vom technischen Prüfverein etwas. Wem das
US-Modell jedoch besser gefiel, brauchte nicht in die Röhre gucken.
Inzwischen hatten sich einige Grau-Händler auf den Import der "Interstate"
spezialisiert, und so kam es, dass man bald immer mehr Gold Wings mit
original Verkleidung, Seitenkoffern und dem geräumigen Topcase über
deutsche Highways gleiten sah. Und wer es bis dato immer noch nichts
gemerkt hatte, dem fiel es schließlich im Herbst 1981 wie Schuppen von
den Augen. Nämlich da, als Honda die GL1100 "Aspencade"
präsentierte. Der erste japanische Supersport-Tourer mit Wasser
gekühltem Vierzylinder-Motor und Kardanantrieb von Anno 1974
hatte sich zum luxuriösen, amerikanischen Straßenkreuzer entwickelt.
Die "Aspencade" war mit Technik und Zubehör nur so vollgestopft.
Serienmäßig gab es Bordkompressor, Radio/Kassettenrecorder, CB-Funk
und selbstverständlich den Schminkspiegel im Topcase. Was dem 317 kg
schweren Reisedampfer allerdings jetzt noch fehlte, war der
Rückwärtsgang. Doch den sollte es auch bald geben.
Bis es allerdings soweit war,
wurde die GL1100 für das Modelljahr 1983 noch einmal mächtig
aufgemöbelt - für die US-Ausführung versteht sich. Bei uns mußten
sich die GL-Kunden weiterhin mit der Sparversion Interstate abfinden.
Die "Aspencade" wurde für die echten Gold Wing-Fans aber zum
Muss. Sie verfügte nun über ein Integralbremssystem mit
innenbelüfteten Bremsscheiben, Guss-Felgen, Gabelstabilisator, einer
Telegabel mit dem Anti-Dive-System TRAC (Torque Reactive Anti-Dive
Control) und anstelle der konventionellen Instrumente zeigte ein
digitales Informationsbord, das sogenannte "Mäusekino", im
Cockpit dem Fahrer an, was Sache ist. Bei uns machten wieder die
Grau-Händler das dicke Geschäft mit dem Highway-Cruiser.
Mit der GL1200 wurde die Gold
Wing zum Reisemobil
|
Zehn Jahre nach der ersten GL
brachte Honda Amerika die GL 1200 auf den Markt. Nun mit 1182 ccm, 94
PS, wartungsfreiem, hydraulischen Ventilspielausgleich, einem noch
einmal verbesserten Fahrwerk mit 16 Zoll Vorderrad und 15 Zoll
Hinterradreifen. Vom 1200er Modell gab es die GL 1200, GL 1200
Interstate und als Highlight die GL 1200 Aspencade. In den nächsten
vier Jahren legten die amerikanisch/japanischen Gold Wing Konstrukteure
noch einige Briketts auf. 1985 wurde die GL 1200 Limited Edition und
1986 die GL 1200 Aspencade SE-i mit Computer gesteuerter
Benzineinspritzung ausgestattet. Jedoch nur zwei Jahre. Es gab
technische Probleme, Honda nahm die Einspritzversion wieder aus dem
Angebot. Der größte und letzte Evolutionsschritt in der GL-Baureihe
erfolgte 1988 mit der Vorstellung der GL 1500/6. Rund 14 Jahre nachdem
Soichiro Irimajiri seinen Sechszylinder-AOK gebaut hatte, rollte nun
tatsächlich die Gold Wing mit einem flüssigkeitsgekühltem
Sechszylinder-Viertakt-Motor in Marysville vom Montageband. Schwer und
mächtig war der Super-Tourer inzwischen geworden, mit allem
erdenklichen Zubehör ausgestattet, brachte er stolze 393 kg auf die
Waage Und da man solch ein Motorrad kaum noch zurückrangieren konnte,
besaß das rollende Wohnzimmer nun endlich einen Rückwärtsgang...
|
GL1500
Gold Wing mit 1500er Sechszylinder-Boxermotor und
Rückwärtsgang |
Eigentlich wäre die Reisemobil-Story hier zu Ende. 2001 hat Honda nun aber den
Gold Wing Überhammer mit 1800 ccm und 119 PS auf den Markt
gebracht, Motorrad-Urlauber was willst noch mehr...?.
(Fotos: Honda) |
Technische Daten:
Honda GL 1000 K0 Gold Wing
Modelljahr 1975
|
Motor:
Flüssigkeits gekühlter
Vierzylinder-Boxer-Motor; je eine Zahnriemen getriebene oben liegende
Nockenwelle; Kipphebel; zwei Ventile pro Zylinder; Stahlkurbelwelle, 3
Gleitlager und 1 Kugellager: Hubraum 999 cm³; Bohrung x
Hub 72 x 61,4 mm; Leistung 82 PS bei 7500/min; max.
Drehmoment bei 8,2 mkp bei 6500/min; Verdichtung: 9,2:1.
Vergaser vier
Keihin-CV-Unterdruckvergaser, Ø 32 mm. Naßsumpfschmierung
3,5 Liter 10W-40
Elektrik:
Kontakt gesteuerte
Batterie-Spulenzündung; 12 Volt /300 Watt Drehstromgenerator; 12V/20 Ah
Batterie
Getriebe:
Primärantrieb über
Endlos-Zahnkette; Mehrscheiben-Kupplung im Ölbad; Klauen geschaltetes
Fünfganggetriebe; Sekundärantrieb über Kardan; E.-Starter plus Not-
Kickstarter
Fahrwerk:
Doppelschleifenrohrrahmen;
Telegabel; Ø 37 mm; Federweg 120 mm; Hinterradschwinge; zwei fünffach
verstellbare Federbeine; Federweg 87 mm; vorne Doppelscheibenbremse; Ø
232 mm; hinten Scheibenbremse Ø 250 mm; Bereifung: vorn 3.50 H 19;
hinten 4.50 H 17; Tankinhalt 19,3 Liter; Gewicht mit Betriebsstoffen und
Bordwerkzeug 295 kg; Zulässiges Gesamtgewicht 471 kg
Spitze:
über 200 km/h
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