Motorrad-Marken
 

Kawasaki Zephyr-Reihe
1990 -1998


Retro-Kult(ur)


Kaum zu glauben: ist es bereits eine Zeit her, dass die legendäre
Zephyr-Reihe das Licht der Motorradwelt erblickte und wenig später
zum Verkaufshit von Kawasaki avancierte. Dabei prägten die
Zephyr-Modelle ab 1990 den Begriff des neoklassischen Naked Bikes.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Kawasaki



Kawasaki Z1000 von 1977 und Kawasaki Zephyr 1100 von1992


IFMA 1990, Köln. Damals schon die Motorrad-Leitmesse, heute heißt sie INTERMOT. Es erscheint mir gerade so, als ob es gestern war. Neben mir sitzt Shigeki Iwasaki. Mit dem Senior Manager, Marketing Divison Kawasaki Heavy Industries, LTD., diskutiere ich über zwei brandheiße Neuheiten, die Kawasaki mit zur Messe gebracht hat: die Zephyr 550 und die Zephyr 750, die zu den heimlichen Stars der IFMA werden. 
Iwasaki-san lächelt mich an und fragt mich nach meiner Meinung. "Tolle Bikes" gebe ich zu Protokoll, "umwerfend, klassisch schön, mit Technik zum Anfassen und", zaghaft hinzugefügt, "fast so schön wie Motorräder von früher." Meine letzte Bemerkung scheint Kawasakis Top-Manager näher zu interessieren. "Wie früher?", fragt er. "Ja, wie früher die Z1", entgegne ich. Für einen Augenblick herrscht Totenstille. Mir rutscht fast das  Herz in die Hose. Habe ich Iwasaki-san, Kawasaki und die japanische Nation mit diesem Vergleich etwa beleidigt?
Die Stimmung ändert sich jedoch schlagartig. Iwasaki-san lacht herzlich: "Ja, die Zephyr ist unsere neue Z1." Und gleich darauf verrät der Senior Manager auch, wie es zu den neuen Modellen gekommen ist.


Die Zephyr-Modelle wurden auf der IFMA 1990 zur Sensation



Kawasaki Zephyr 550 von 1991



Kawasaki Zephyr 750 von 1991


Mit der 900 Z1 hatte Kawasaki 1972 einen Meilenstein gesetzt. Damals gab es nichts Vergleichbares, die Z1 war die stärkste Maschine, die es zu kaufen gab. Noch dazu war der Motorrad-Boom voll im Gange. Bis dato hatten sich die japanischen Hersteller an ein "Gentlemen´s Agreement" gehalten, keine Maschinen über 750 Kubikzentimeter Hubraum zu bauen. Doch Kawasaki scherte aus dieser Vereinbarung aus, ganz nach dem Motto "Größer und stärker als alle anderen".
Ein Image, das die Motorräder aus Akashi geprägt hat. Die neue 900er-Vierzylinder-Maschine mit 79 DIN-PS und über 200 Sachen Spitze sollte ein völlig neues Kapitel in der Motorradgeschichte aufschlagen. In Fachmagazinen sprachen Tester ehrfurchtsvoll von "schierer Gewalt" und später von "Frankensteins Tochter". Die Motorradszene war ganz aus dem Häuschen.



Franz "FJS" Schermer auf der legendären Kawasaki Z900 "Z1" von 1973


Hommage an den Mythos

 

Die Z1 hat sich fest ins Gedächtnis der Motorradfahrer gebrannt", lässt mich Iwasaki-san wissen. "In Japan gibt es eine engagierte Club-Szene, und wir von Kawasaki wurden immer wieder mal gefragt, ob und wann wir eine neue Z1 bringen? Das ging über Jahre so, bis bei einem Manager-Meeting plötzlich die Frage an die Runde gestellt wurde: Wollen wir eine neue Z1 bauen?"
Was einige Manager zunächst als Spaß verstanden, wurde schon bald ernsthaft diskutiert. Die eine Fraktion favorisierte das Wiederaufleben der Ur-Z1 von 1972, als 100-prozentig authentischer Nachbau, mit den Produktionseinrichtungen von damals gefertigt. Die andere Gruppe war für die Entwicklung einer neuen Maschine, allerdings im klassischen Stil, sozusagen als Hommage an den Z1-Mythos. Die erste Variante musste schnell verworfen werden. Entsprechende Fertigungswerkzeuge waren verschlissen, unbrauchbar oder überhaupt nicht mehr vorhanden. Auch die Kostenanalyse sah hier eher düster aus. So fiel die Entscheidung zugunsten einer Neuentwicklung.

 

Shigeki Iwasaki:
"Wir waren fest vom Erfolg unserer Zephyr-Idee überzeugt. Alle im Team kannten den Stellenwert der legendären Z1, eigentlich konnten wir gar nichts
falsch machen!"

 


Shigeki Iwasaki


Entgegen dem Trend der Neunzigerjahre, moderne Maschinen mit Hightech-Komponenten wie Alurahmen, Monofederbein, schnittiger Vollverkleidung und wassergekühltem Triebwerk auszustatten, besannen sich die Kawasaki-Techniker aufs Wesentliche. Die Motoren der neuen Zephyr-Modelle basieren auf den bekannten luftgekühlten DOHCVierzylinder-Aggregaten von GPZ550 und Z650 mit bewährter Zweiventiltechnik. Auch das Fahrwerk präsentiert sich eher konservativ: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, Telegabel und zwei Federbeine. Die weiteren Zutaten wie verchromte Rundinstrumente, breiter Lenker, Tropfentank sowie bequeme Sitzbank mit unverwechselbarem Entenbürzel hätten glatt von der Z1 stammen können. "Hört sich mutig an und war es im Grunde genommen auch", betont Iwasaki-san, fügt jedoch gleich hinzu: "Aber wir waren fest vom Erfolg unserer Zephyr-Idee überzeugt. Alle im Team kannten den Stellenwert der legendären Z1, eigentlich konnten wir gar nichts falsch machen."


Zephyr, der "warme Westwind"


Kawasaki Zephyr 550 von 1991


Als die Zephyr 550 und Zephyr 750 auf der IFMA 1990 der Weltöffentlichkeit präsentiert werden, kann noch niemand den Verkaufserfolg wirklich voraussagen. Aber erahnen. Denn die Resonanz beim Messepublikum ist überwältigend. Und auch die Fachpresse zelebriert in Headlines wie "Back to the Roots", "Nur das Wesentliche zählt", "Mit der Nase im Wind" und "Motorrad fahren pur" die Reinkarnation des nackten, luftgekühlten Vierzylindermotorrads. Der Schachzug von Kawasaki, alte Ideale in die Gegenwart zu transferieren und in zwei Retrobikes zu packen, geht voll auf. Die knapp 200 Kilogramm schwere 550er gibt es wahlweise mit einsteigertauglichen 27 PS (ab 1994 mit 34 PS) oder mit der vollen Leistung von 50 PS. Für günstige 8.490 DM gibt es als Gegenwert ein ausgewachsenes Motorrad mit Allroundqualitäten. Fälschlicherweise wird die Zephyr 550 damit gleich in die Schublade der Anfänger-Bikes gesteckt. Völlig zu Unrecht. Hecht im Karpfenteich ist eine treffendere Bezeichnung. Spielerisches Handling in Kombination mit agiler Motorcharakteristik garantiert höchsten Fahrspaß - für Einsteiger wie für Routiniers.



Kawasaki Zephyr 750 von 1991


Die ähnlich aufgebaute Zephyr 750 begnügt sich mit bescheidenen 72 PS Spitzenleistung bei 215 Kilogramm Leergewicht. Bescheiden deshalb, weil anno 1990 in dieser Hubraumklasse 100 PS längst das Maß der Dinge sind. Doch Naked Bikes werden nicht mit Vollgas über die Autobahn geprügelt, da ist man sich im Kawasaki-Werk in Akashi sicher. Klassische, unverkleidete Maschinen sind etwas für Genießer. Für Motorradfahrer, die Dampf aus dem Drehzahlkeller bevorzugen und keine "Drehorgeln" wollen.
Die auf kurvigen Landstraßen ihre Philosophie vom Motorradfahren ausleben und sich bei einer anschließenden Kaffeepause am klassischen Zephyr-Styling erfreuen. Ein Bike fürs Herz, für die Seele. Und das zum überschaubaren Preis von 9.990 DM.



Kawasaki Zephyr 1100 von 1992


Das Zephyr-Rezept geht vollends auf, die beiden Motorräder verkaufen sich wie warme Semmeln. Doch Kawasaki wäre nicht Kawasaki, wenn man nicht noch eins draufsetzen könnte. Schon Ende 1991 rundet die gleichnamige 1100er die Zephyr-Familie nach oben ab. Das Triebwerk stammt von der – in Deutschland nicht erhältlichen – Voyager 1200 ab. Genau genommen ist dieses 262 Kilogramm schwere Big-Bike die legitime Nachfolgerin der legendären Z1. Die Zephyr 1100 prahlt zwar nicht (mehr) mit Synonymen wie "schiere Gewalt" oder "Frankensteins Tochter", doch überzeugt das neue Flaggschiff mit ausgewogenen Fahreigenschaften, spurstabilem Chassis, hervorragender Bremsanlage und einem kraftvollen 93-PS-Triebwerk. Ein Big-Bike par excellence, mit den Tugenden eines nackten luftgekühlten Reihenvierers ausgestattet. Für Leute, die sich selbst nichts mehr beweisen müssen. Durchzug und Spitzenleistung sind die wahren Werte, der Fahrspaß erschließt sich beim schaltfaulen Kurvensurfen. Die Zeitreise, zurück auf die Spuren der Z1, hat allerdings ihren Preis: 14.245 DM ist den Kawa-Managern dieses Erbe wert.



Kawasaki Z1000 von 1977 und Kawasaki Zephyr 1100 von 1992


Während die kleine Zephyr mit ihren Gussrädern weitgehend unverändert bis 1999 im Angebot bleibt, legt Kawasaki bei den beiden großen Schwestern fürs Modelljahr 1996 ein paar Brikett nach. Bei der 750er steigt die Leistung von 72 auf 76 PS. Der Neoklassiker rollt zudem nun stilecht auf Drahtspeichenrädern und betört durch eine eng an die Z1 angelehnte Zweifarblackierung. Auch die Zephyr 1100 rückt von nun an mit Drahtspeichenrädern und gar Dreifarbdekor aus. Beide Modelle bleiben bis Modelljahr 1998 im Programm.



Kawasaki Zephyr 750 von 1996
(Foto: Kawasaki)



Kawasaki Zephyr 1100 von 1996
(Foto: Kawasaki)


Wie im Falle der 900 Z1 hat sich rund um die Zephyr-Modelle längst ein großer Zubehör- und Tuning-Markt sowie eine rührige Fan- und Clubszene etabliert. Engagierte Websites und Interessengemeinschaften, Zephyr-Treffen, liebevoll gepflegte Originalmaschinen und phantasievolle Custom-Umbauten prägen das Bild. Das Zephyr-Trio ist mittlerweile zum Kult geworden, die Faszination liegt in ihren Genen: In jeder Zephyr steckt ein gutes Stück Kawasaki-Historie, ein Andenken an die Z1 von 1972. Gleichzeitig sind die Neoklassiker ein Beweis dafür, dass Mut belohnt wird. Der Mut, ab und an zu seinen Wurzeln zurückzukehren.


Fan-Sites im Internet:
www.IGZephyr.de
www.zephyr-treff-ruhr.de


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