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Fahrbericht Kawasaki ZRX1200R
Modelljahr 2005

"Lime Green"

Anfang der 80er Jahre dominierte Kawasaki in
der amerikanischen Superbike-Meisterschaft.
Starfahrer waren die Asphalt-Cowboys Eddie Lawson
und Wayne Rainey. Irgendwie erinnert die aktuelle
Kawasaki ZRX1200R an die ruhmreiche Zeit von damals.
Steckt dahinter vielleicht eine Absicht?

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Werk, Schermer




Es gibt Erlebnisse, die gehen einem so schnell nicht aus dem Kopf. An die Weltpremiere der neuen Kawasaki GPZ900R Ende 1983 erinnere ich mich noch so, als sei es gestern gewesen. Auch kein Wunder. Zur Vorstellung des neuen Wetzhobels jetteten Journalisten von Rang und Namen ins sonnige Kalifornien. Nirgendswoanders als auf der berühmten Rennstrecke "Laguna Seca" durften wir dem neuen Superbike gehörig auf den Zahn fühlen.



Vorstellung der neuen Kawasaki GPZ900R in Laguna Seca

Tief beeindruckt von der Landschaft im "Carmel-Valley", der neuen Kawa und dem anspruchsvollen Raceway, werde ich den Abend, an dem ich Wayne Rainey kennengelernt habe, nicht vergessen. Von meinen Speedway Besuchen Anfang der 80er Jahre in Daytona Beach war mir der Name Rainey bereits ein Begriff. Er gehörte schon damals zu den amerikanischen Top-Piloten, persönlich war ich mit ihm jedoch noch nicht in Kontakt gekommen. Jetzt saßen wir in der Hotelbar zusammen, tranken Budweiser Bier und unterhielten uns über Motorräder, Rennsport und den Rest der Welt.

Der sympathische Kalifornier war 1983 mit Kawasaki in der prestigeträchtigen AMA-Superbike-Serie Champion geworden. Mit sieben ersten Plätzen hatte Wayne eine Siegesserie auf den Asphalt gebrannt, die vor ihm noch keinem anderen in der Meisterschaft gelungen war. Längst zählte der Schräglagekünstler in den Staaten zu den Superstars, bei uns in Europa kannten ihn dagegen nur Insider und das wenn überhaupt. Vom Champion erfuhr ich, dass die Superbike-Rennen in den letzten Jahren in Nordamerika zur Nummer eins geworden waren.


Laguna Seca 1983:
Wayne Rainey und Winni Scheibe
(Foto: Schermer)



Kawasaki AMA-Superbike-Team 1983:
Wayne Rainey und Wes Cooley
(Foto: Werk)


Schräglagekünstler Wayne Rainey 1983 in Daytona Beach überholt David Aldana



Eddie Lawson 1982 in Daytona Beach


Für die Hersteller bedeutete eine Beteiligung einen gewaltigen Image-Gewinn, der Werbeeffekt war gewaltig, und wer den Titel holen konnte, verkaufte in der folgenden Saison gleich viel mehr Maschinen. Vor Wayne hatte 1981 und 1982 Kawa-Werksfahrer Eddie Lawson die AMA-Superbike-Serie für sich entschieden. Es wurde ein langer Abend mit dem amtierenden Champion und irgendwann fragte er mich noch über Europa und die Straßenweltmeisterschaft aus. Sein größter Traum sei es, verriet er mir, in der 500er GP-Klasse Weltmeister zu werden. Das war im Dezember 1983.


Vom AMA-Champion zum Weltmeister


Vierfacher 500er Weltmeister Eddie Lawson
(Foto: Werk)


Für alle, die die Namen Eddie Lawson und Wayne Rainey noch nie in ihrem Leben gehört haben, sei an dieser Stelle der Hinweis gestattet, dass besagter Lawson 1984, 1986 und 1988 auf Yamaha die 500er Weltmeisterschaft gewann und 1989 nach seinem sensationellen Wechsel ins Honda-Team auf Anhieb noch einmal 500er Champion werden konnte.


"Rainey-Years"

Dreifacher 500er Weltmeister Wayne Rainey
(Foto: Werk)


1990, 1991 und 1992 kamen dann aber die "Rainey-Years". Der Kawasaki-Champion von 1983 war inzwischen auf Yamaha in das Kenny-Roberts-Team umgestiegen und hatte drei Mal in Folge die 500er Weltmeisterschaft gewonnen. Auch im nächsten Jahr sah es nach einem Titelgewinn für den schnellen Kalifornier aus. Doch das Schicksal wollte es mit Wayne Rainey anders. Am 5. September 1993 um 13:29 Uhr beim WM-Lauf in Misano stürzte der lebenslustige GP-Racer schwer, damit war die Karriere eines der erfolgreichsten GP-Piloten schlagartig zu Ende.



Kawasaki Z1000R "Eddie Lawson Replica" von 1983

Doch zurück in die 80er Jahre. Parallel zum Siegeszug in der AMA-Superbike-Meisterschaft gab es damals die Kawasaki Z1000R. Die "Eddie Lawson Replica" leistete 98 PS und brachte es auf gut 225 Sachen.




Kawasaki Z1-R von 1977
(2 Fotos: Werk)


Aber schon 1977 war den Japanern mit der Z1-R ein Volltreffen gelungen. Lange bevor überhaupt von "Superbikes" die Rede war, hatte Kawa eine außergewöhnliche Sportmaschine auf die Räder gestellt. Das 90 PS starke Bike war serienmäßig mit einer Halbverkleidung und 4-in-1-Auspuffanlage ausgestattet. Mit diesem Muster hatte man den Vorläufer der späteren Superbikes geschaffen. Die Szene war von der Z1-R so begeistert, dass die Leser des Fachblattes "MOTORRAD" die Maschine 1977 zum "Motorrad des Jahres" wählten.


Sprung in die Neuzeit

So, und was hat das nun alles mit der aktuellen Kawasaki ZRX1200R zu tun? Viel, sehr viel sogar. Kawasaki erinnert sich nämlich gerne an diese ruhmreiche Vergangenheit. Und weil der Sprung in die Zeit "von damals" technisch recht einfach ist, hat man die ZRX1200R auf die Räder gestellt. Anders als bei den bekannten Superbikes mit Upside-down-Gabel, federleichten Alu-Rahmen, schnittiger Rennverkleidung, ausgeklügeltem Hinterradfedersystem, rassigem Triebwerk mit mindestens 170 PS und einem Topspeed von gut 300 km/h, zeigt sich die ZRX1200R im klassischen Motorradbau. Fast schon so, als sei die Zeit hier Mitte der 80er Jahre stehen geblieben. Aber genau das hat Kawasaki mit Absicht so gewollt.



ZRX1200R Galerie



Kawasaki Superbike-Werksrenner 1982
(Foto: Werk)


Die Telegabel sieht aus, wie eine Gabel auszusehen hat, der Doppelrohrrahmen ist aus solidem Stahl, das Vierzylinder-Triebwerk mit "nur" 122 PS surrt wie ein Uhrwerk und hat Kraft ohne Ende, so dass fünf Gänge locker ausreichen. Aber dann kommen doch einige Spezialitäten. Zum Beispiel die 4-in-1-Auspuffanlage, so etwas war in den 80ern "mega-in". Noch besser ist die Alu-Schwinge. Diese Ausführung könnte direkt von Wayne Raineys Werksmaschine von 1982 stammen. Und weil eben alles so wie früher ist, haben die Kawa-Techniker dem Kult-Bike natürlich zwei Federbeine spendiert. Auch beim Outfit ist man beim "Gestern" geblieben. Ein kleine Lenkerverkleidung, ein "gemütlicher" Superbike-Lenker, ein Tank mit 19 Liter Fassungsvermögen und eine echte Zwei-Personen-Sitzbank. Und dann die Farbgebung, die ZRX1200R gibt es nur in "Lime Green" mit weiß-blauen Racing-Streifen. Typisch Kawasaki kommt einem da über die Lippen.





On the road again


Fahrfertig bringt die 1200er locker 240 kg auf die Waage. Wer das Bike vor oder zurück schiebt, merkt das Gewicht deutlich. Dank des breiten Lenkers fällt diese Übung jedoch relativ einfach aus. Die Sitzhöhe von 790 mm ist erträglich, so dass auch weniger groß Gewachsene beim Stopp mit den Fußspitzen auf die Fahrbahn kommen. So weit zur Trockenübung. Im Fahrbetrieb überzeugt die ZRX1200R ab dem ersten Meter. Sofort hat man das Gefühl mit einer alten Bekannten unterwegs zu sein. Nichts ist gewöhnungsbedürftig, alles passt. Man sitzt kommod auf dem Bike, die Lenkstange liegt lässig in den Händen. Früher nannten es gestandene Tester "aufrecht sitzend, mit der Nase im Wind, dem Ziel entgegen". Vergessen ist das Gewicht, fast könnte man glauben, man kutschiert mit einer 600er durch die Weltgeschichte. Handling, Spurstabilität und Geradeauslauf erhalten Bestnoten. Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht ein dickes "M", "M" für Motor. Mit exakt 1164 ccm Hubraum kann sich das Vierzylinder-Triebwerk auch sehen lassen und schon kommt einem die alte Bikerweisheit "Hubraum ist durch nichts zu ersetzen" in den Sinn. Ohne Zicken schiebt der Motor im fünften Gang schon bei Stadtgeschwindigkeit von 50 km/h die Fuhre kräftig vorwärts. Bei diesem gesetzeskonformen Tempo zeigt der Drehzahlmesser gerademal 1500 Umdrehungen pro Minute an. Nach dem Ortsschild dreht man den Gashahn einfach ein wenig weiter auf und schwups steht die Tachonadel auf 100 km/h, analog zeigt der Drehzahlmesser 3500 Touren an. Hektisches Herunterschalten und nervige Drehzahlorgien sind für die ZRX1200R Fremdworte. Diese Motorcharakteristik überträgt sich auf den Akteur, die Fahrdynamik bestimmt nicht Kupplungshand und Schaltfuß, sonder nur die Gashand. Das macht Spaß und gibt gleichzeitig ein gutes Gefühl im Bauch. Souverän durcheilt oder wandert man, gerade so wie man Lust und Laune hat, Raum und Zeit. Back to the roads.


Nicht dass man mit der ZRX1200R das Motorradfahren neu entdeckt, doch es erinnert an früher. Jedenfalls die, die schon "damals" am Quirl gedreht haben. An die 80er Jahre als Motorradfahren noch anders war als heute. Als die Hand zum Gruß noch mit Überzeugung gehoben wurde, in Benzingesprächen Tipps und Tricks verraten wurden und das zügige Fahren noch Herausforderung bedeutete. Fahrwerk, Reifen und Bremsen hatten damals noch ihre Grenzen. Wer sich nicht auf diese Eigenheiten einschoss, hatte mit seinem Big-Bike wenig Freude. Rund 25 Jahre später bringt Kawasaki die ZRX1200R, sie könnte, auf den ersten Blick jedenfalls, von 1981 sein. Doch die Technik ist zum Glück nicht stehen geblieben. Moderne Radialreifen, top Bremsen, ein stabiles Fahrwerk und Federelemente, die sich individuell auf die Bedürfnisse der Fahrer abstimmen lassen, machen das klassische Superbike zu einer zeitgemäßen Fahrmaschine, einem Motorrad mit Technik zum Durchgucken.
Längst ist es der Fahrer, der bestimmt, wo es langgeht und wieweit er gehen darf. Die Messlatte, im öffentlichen Straßenverkehr mit einer Maschine dieses Kalibers den Grenzbereich auszuloten, liegt hoch, sehr hoch.




Doch dann passiert etwas, im Geiste versteht sich, was man überhaupt nicht gewollt hat. Alle guten Vorsätze werden über Bord geschmissen. Wie im Motorrad-Schlaraffenland breitet sich vor einem ein kurviger Streckenabschnitt aus, dass man denken könnte, man ist auf der Nordschleife des Nürburgrings oder gar in Laguna Seca. Bikerherz, was willst du noch mehr. Doch die Idylle ist getrübt. Eben noch wurde man nämlich von zwei Heißspornen auf Supersportlern überholt. Respektlos und mit viel zu hoher Geschwindigkeit waren sie an einem vorbeigepfiffen. Will, nein darf man sich so etwas bieten lassen? Natürlich nicht! Ähnlich wie Eddie Lawson und Wayne Rainey, als sie auf ihren PS-strotzenden Superbike-Monstern Anfang der 80er den damaligen Rennkollegen Wes Cooley, Freddie Spencer, Mike Baldwin, David Aldana, Fred Merkel oder wie sie alle hießen, gezeigt haben, wo der Hammer hing, wird die Verfolgung aufgenommen. Man könnte auch sagen, der Schalter wird auf "Road-Racing pur" umgelegt. Auf die technische Performance der Kawa kann man sich verlassen, was jetzt zählt, ist einzig und alleine fahrerisches Können. Und da kann man auf einen jahrelangen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Der Sprung von "gestern" in die Gegenwart sind zwei Mal zurückschalten, Gas geben und schon befindet man sich in einer anderen Welt. Von der Landschaft sieht man nichts mehr, Bremspunkte werden neu bestimmt, Kurvenlinien optimal angepeilt, aus den Ecken früh Gas gegeben. In einigen Straßenbiegungen glaubt man zu spüren, dass sich das Fahrwerk "verwindet", man bleibt trotzdem am Gas. Der Abstand zu den Heizern wird immer kleiner, in einer langgezogenen Rechtskurve geht man außen an den beiden vorbei. Damit haben sie bestimmt nicht gerechnet. Es folgen noch ein paar engere Kurven, im Rückspiegel ist bald "vom Gegner" nichts mehr zu sehen. Das war's, ein schöner Traum, oder war's doch so? Egal, schön war's trotzdem.

Ein Wegweiser befördert einen ins Jetzt und Heute zurück: "Nürburgring 34 km". Das ist mein Ziel. Doch es hetzt niemand, in einem kleinen Straßencafé wird erst mal ein Cappuccino getrunken. Die ZRX1200R parkt auf dem Seitenständer, der Motor knistert etwas vor sich hin. Tolles Bike!


Technische Daten

Kawasaki ZRX1200R
Modelljahr 2005


Motor:
Flüssigkeitsgekühlter Vierylinder-Viertakt-Reihenmotor, vier Ventile pro Zylinder, zwei obenliegende Nockenwellen, Leistung 90 kW (122 PS) bei 8500/min (Lieferbar auch in 34 PS-Ausführung), max. Drehmoment 112 Nm bei 7000/min.
Bohrung x Hub 79 x 59,4 mm, Hubraum 1165 ccm, Verdichtung 10,1:1, digitales Motormanagement, vier Keihin-Gleichdruckvergaser Ø 36 mm, Abgasreinigung KLEEN (Katalysator/KCA-System) Euro2, Batterie 12V/14Ah, E-Starter, Fünfganggetriebe, Endantrieb über O-Ring-Kette

Fahrwerk:
Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen. Telegabel mit Ø 43 mm Standrohren, Cartridge-System, voll einstellbar, Federweg 120 mm. Zweiarmschwinge mit zwei Federbeinen, voll einstellbar, Federweg 123 mm. Bereifung vorn 120/70ZR17 (58W) TL, hinten 180/55ZR17 (73W) TL. 
Vorne Doppelbremsscheibe Ø 320 mm, hinten Scheibenbremse Ø 250 mm. 
Nachlauf 106 mm, Nachlaufwinkel 25 Grad, Radstand 1465 mm, Sitzhöhe 790 mm. Tankinhalt 19 Liter. Gewicht vollgetankt 240 kg, zulässiges Gesamtgewicht 430 kg


Höchstgeschwindigkeit: 244 km/h

Preis: 8150,00 Euro


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