Motorrad-Marken


Fahrbericht Kawasaki ZZR1400
Modelljahr 2006

No Limits oder 299 km/h ist genug

Der Ruf von Kawasaki ist längst Legende.
Stärker und schneller als die anderen. 
Das war vor fast 40 Jahren mit der berühmt/berüchtigten 
60 PS starken H1 500 Mach III schon so, die aktuelle
Kawasaki ZZR1400 setzt dieses Image standesgemäß fort. Hubschrauberpilot Wolfgang Fromm meint: 
Nur fliegen ist noch schöner...

Text: Wolfgang Fromm
Fotos: Fromm, Kawasaki



Unverkennbar Kawasaki ZZR1400
(Foto: Kawasaki)


Wieder mal: ich stehe vor dem stärksten Serienmotorrad der Welt. Schmunzelnd fällt mir die alte Story ein, zu einer Zeit, als Friedel Münch mit seiner einzigartigen Mammut für Furore sorgte. Da soll es einen verwegenen Motorradfahrer an der Ampel erwischt haben. Zu viel Gas, heute nennt man sie Wheelie-Künstler, und das Big-Bike begrub den Fahrer unter sich. Nie habe ich erfahren, ob es Fabel oder Wirklichkeit war. Geblieben ist das elektrisierende Gefühl, wenn man im Laufe der vielen Jahre immer wieder vor der jeweils technischen Superlative auf zwei Reifen steht.



Maß der Dinge 2006: Kawasaki ZZR1400
(Foto: Kawasaki)


Waren es damals, so vor 30 Jahren, deutlich weniger als 100 PS, ist heute die Grenze an die 200 PS-Marke heran geschoben worden. Damals wie heute die gewollte Spannung auf das Erleben von Grenzbereichen. Meine 1,80 Meter-Figur lässt sich bequem zwischen Sattel, Fußrasten und Lenker falten. Angenehm fällt dabei auf, dass der Lenker eine sportliche Tourenhaltung zulässt, die Beine der Formgebung des Tanks und der Verkleidung folgend eher sportlich angewinkelt ihren Platz auf den Fußrasten finden. Mit dem Zündschlüssel wird das Lenkschloss entriegelt, mit der Zündung gleichzeitig das elektronische Prüfprogramm auf dem Micky-Maus Kino dargestellt. Schon die ersten Umdrehungen des Motors offenbaren einen seidenweichen Lauf. Die Kupplung lässt sich mit zwei Fingern bequem bedienen und mit leicht erhöhtem Standgas rollt die Fuhre sanft an. 



Landstraßensurfer: ZZR1400


Der zweite und dritte Gang folgen der Gashand. Obwohl der Drehzahlmesser bis 11.000 Umdrehungen eine Nutzung zulässt, gleite ich im vierten Gang mit nicht mal 2000 Umdrehungen des Triebwerks durch die Ortschaft. Ab Ortsschild dann zurück in den dritten und mit sanften Gasstößen der vierte und fünfte Gang eingelegt. Der sechste Gang folgt nur noch zum weiteren Rollen oder wie soll ich die gefühlte Geschwindigkeit bis 120 km/h sonst nennen? Zum Überholen des Verkehrs auf der Landstraße sind doch ein paar Gangwechsel nötig, will man die dynamische Fahrweise auskosten. Auffallend ist, dass beim Wiedereinscheren in den laufenden Verkehr die Kawasaki durch das Triebwerk nicht so stark abgebremst wird, wie ich erwartet habe. Sicherlich ein Zugeständnis der Entwicklungsingenieure, die sowohl die Beschleunigung aus niedrigen Drehzahlen, als auch die Verzögerung durch das Triebwerk deutlich geglättet haben. 



Power-Station ohne Turbolader und ohne Rückenwind: 190 PS
(Foto: Kawasaki)

Damit ist die ZZR1400 präzise durch den Verkehr zu zirkeln. Was auffällt, ist die absolut präzise Gassteuerung vom Drehgriff bis zum Hinterrad. Dazu kommt eine hervorragende Bremsanlage, die mit ihren zierlich gelochten Bremsscheiben nicht nur gut aussieht, sondern entsprechend der Motorleistung wenn nötig brachiale negative Beschleunigung auf den Asphalt bringt. Ohne viel Kraftaufwand sprechen die Bremsen gut dosiert an. 


ABS-Bremse

Dass die ZZR1400 im aktuellen Kawa-Programm nach der ER6-Modellreihe nun das zweite Modell mit ABS ist, verdient ein großes Lob.
An dieser Stelle wollen wir auf die große
ABS-Story in Motorrad-Bild verweisen. In
diesem Artikel wird ausführlich  die ABS-Thematik behandelt. Alle Anforderungen, die von diesem System erwartet werden, erfüllt die Kawasaki ZZR-Anlage. 
Die Bremsanlage ist einfach Spitze. 


Das Schwingen durch die Landschaft wird zum Genuss. Ausweichmanöver, plötzlich auftauchende Trecker, auf die Straße geschwemmter Kies und spielende Kinder auf der Dorfstraße fordern das hervorragende Fahrwerk der Kawasaki nicht, das ABS macht nicht leichtsinnig, es beruhigt. 
Obwohl ab und an mir meine durchgeknallte Bandscheibe manche Motorradfahrt vermiest hat, stellen sich heute selbst auf buckeligen Nebenstraßen diese Beschwerden nicht ein. Das relativ hohe Gewicht des Motorrades, die fein ansprechenden Federelemente und die sportliche Tourenhaltung meiner Wirbelsäule lassen die Kawasaki so zu einem idealen Gefährt auch für gebeutelte Motorradfahrer werden.



Fragen über Fragen. Wie schwer, wie teuer, wie schnell. Und - nur 280 Sachen, äh?
Bis es dem Tester zu bunt wurde und er 311 auf den Tacho pinselte...


Aber da gibt es noch die sportliche Seite der Medaille. Aus dem Stand kann die Beschleunigung mit einem Formel 1 Rennwagen konkurrieren und wer es nur mit Halbgas versucht, wird auf der Straße immer noch einsam dem drängelnden Verkehr davon ziehen. Kurvenlage und Stabilität auf schlechten Straßen lassen den Schluss zu, dass die Grenze des Machbaren heute vom Fahrer und nicht von der Technik bestimmt wird. So lässt die Kawasaki ZZR1400 einen mächtig weiten Spielraum zum Genießen auf einsamen Straßen.




schneller als ihr Schatten: ZZR1400



(2 Fotos: Kawasaki)


Soweit so gut, aber was wäre die ZZR1400 ohne Autobahn? Es ist ein Wochentag um die Mittagszeit, an dem die Kawasaki mal richtig an die Hörner gepackt werden soll. Leider ist die Autobahn Kassel - Dortmund wie immer stark befahren. Wir fädeln uns in den Verkehr ein und schon bald genügt der "böse Blick" von Verkleidung und Scheinwerfern im Rückspiegel der voranfahrenden Autofahrer, um Platz zu schaffen. Immer noch aufrecht sitzend pendelt der Tacho zwischen 180 und 200 km/h. Hinter mir schiebt sich ein Mercedes heran, er kann es nicht lassen mir seine Lichthupe in die Rückspiegel zu knallen. Das ersehnte freie Stückchen Autobahn tut sich vor uns auf, trocken einen Gang zurück geschaltet und der Mercedes löst sich förmlich im Rückspiegel auf. Zugegeben, ab 260 km/h zwingt der Winddruck in die Verkleidung, die Bahn wird schmal und etwaige Hindernisse werden wachsam mit scharfen Augen am Horizont gesucht. 
Eigentlich spielt es aber auch keine Rolle wie weit die Tachonadel wirklich steigen kann oder könntet, die Elektronik beendet den Vorschub so bei Tempo 299. Man munkelt, es sei eigentlich noch viel mehr drin. Aber genau wie einst das freiwillige 100-PS-Limit, haben sich die Hersteller auf eine maximale Höchstgeschwindigkeit von 299 km/h geeinigt. Genug, meinen wir.
Die Abfahrt nach Paderborn Richtung Bielefeld bringt die ersehnte Entlastung. Zügig, sehr zügig kommt man voran. Zugegeben, große Betrachtungen des Drehzahlmessers und des Tachos sind nicht mehr drin, das suchende Auge bleibt bevorzugt auf der Bahn und den Verkehr gerichtet. Die so gefürchteten Autobahnspuren der LKW, der abgesetzte Mittelstreifen, nichts bringt das Fahrwerk ins Pendeln oder Schwingen. Mit der Abhebegeschwindigkeit eines Tornados pflügt man durch die Landschaft. Natürlich quittiert das Triebwerk die forsche Gangart, auf dem Display verschiebt sich der durchschnittliche Benzinverbrauch von 6,4 l in Richtung 7 l und etwas mehr...




Gegen Abend dann die Heimfahrt in genüsslicher Manier. Schön die Chance gehabt zu haben, ein fast perfektes Motorrad zu fahren. Wenig eilig und mit leichter Wehmut im Herzen über das sicherlich notwendige Ankommen zu Hause rolle ich entspannt im Verkehr mit. Der Gangwechsel so präzise, der Gasdrehgriff ohne Spiel und die Kraftübertragung auf das Hinterrad ohne lästige Schläge ins Kreuz auch bei konstanter Langsamkeit. Das bieten auch heute noch nicht alle Motorräder. Da schiebt sich von hinten ein eiliger Biker heran. Ich lasse ihn vorbei und beobachte das kampflustige Überholen. Auf dem Mittelstreifen zwischen den Autos durch, reinquetschen in die kleinste Lücke, pflügt er langsam aber stetig durch den Verkehr. Die Autofahrer bremsen für ihn, nicht alle machen Platz, einige geben verärgert Zeichen. In den größeren Verkehrslücken folge ich unauffällig. Soll ich ihn wieder überholen? Nein! Aufrecht sitzend, mit gutem Überblick, genügend Leistung allen Situationen gerecht zu werden, fühle ich mich frei. Eine Freiheit, die mir in den Zwängen des lästigen, immer dichter werdenden Verkehrs mit allen Regeln und Verboten doch noch nutzbaren Spielraum lässt, zumindest mit der Kawasaki ZZR1400. 



Ende einer Dienstreise...


Technische Daten
Kawasaki ZZR1400
Modelljahr 2006


... bei 299 km/h ist Schluss mit lustig...
(Foto: Kawasaki)


Motor:
Flüssigkeitsgekühlter DOHC-Reihen-Vierylindermotor, 16 Ventile, zwei Ausgleichswellen; Hubraum 1352 ccm, Bohrung x Hub 84,0 x 61,0 mm, Verdichtung 12,0:1;
Leistung 140 KW (190 PS) bei 9.500/min;  max. Drehmoment 154 Nm bei 7.500min; Gemischaufbereitung elektronische Kraftstoffeinspritzung,  Abgasreinigung G-Kat; digital-elektronisches Motormangement


Kraftübertragung:
Primärantrieb über Zahnräder; Mehrscheibenkupplung im Ölbad; Sechsganggetriebe; Sekundärantrieb über Kette

Fahrwerk:
Monocoque-Alu-Rahmen; voll einstellbare Upside-down-Gabel, 43 mm; Federweg 117 mm; Alu-Zweiarmschwinge, voll einstellbares Bottom-Link Uni-Trak Federbein, Federweg 122 mm; Bereifung vorn 120/70ZR17, Bereifung hinten 190/50ZR17; Bremse vorne Doppelscheibenbremse, 310 mm,  4-Kolben-Radial-Festsattel; Bremse hinten Scheibenbremse, 250 mm, 2-Kolben-Festsattel

Abmessungen:
Länge 2170 mm, Sitzhöhe 800 mm, Radstand 1460 mm, Nachlauf 94 mm, 
Gewicht 255 kg

Preis:
13.995.- € plus Nebenkosten



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