Motorrad-Marken


Moto Guzzi California III C
Modelljahr 1990

Dampfhammer für die Ewigkeit

Mit der California III C startet die oberitalienische Kradschmiede
 zwar in keine neue Motorradgeneration, dafür setzt Moto Guzzi
konsequent ihre traditionelle Bauweise fort.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Tina Bastian, Winni Scheibe



Das Leben eines Motorradtesters ist nicht immer einfach. Von ihm wird erwartet, dass er objektiv und aufgeschlossen an die Aufgabenstellung herangeht und zum Schluss ein faires Urteil über den Prüfling abgibt. Aus diesen Zeilen soll dann der Leser selbst folgern, ob das geprüfte und geschundene Motorrad seinen Erwartungen entspricht. Doch bis die Testerfahrungen aus dem Füllfederhalter fließen, muss die Maschine erst einmal ordentlich bewegt werden. Hierbei werden ganz unbewusst bereits gesammelte Erlebnisse zum Vergleich herangezogen. Und da liegt der Hase im Pfeffer, jedenfalls bei der (neuen) Moto Guzzi California III C. Das Neu steht in der Vorzeile deshalb in Klammern, weil sie ja eigentlich gar nicht neu ist, doch davon später.
Man mag noch so sehr grübeln, zur Guzzi findet sich höchstens eine Motorradmarke, wenn überhaupt, die zum Vergleich herangezogen werden kann. Aber auch hier ist zu Vorsicht geraten, denn die urigen Rösser mit dem dicken V2-Motor aus Milwaukee/USA sind gut 10.000 DM teurer und die Besitzer mögen es überhaupt nicht gern, wenn ihre Harleys mit irgendeiner anderen Marke im gleichen Namenszug genannt werden.
Um auf die Entwicklungsgeschichte der California einzugehen, sei kurz darauf verwiesen, dass bereits Anfang der 1970er Jahre aus der legendären V7 erst die US-Police-Version und später die California entstand. In den vergangenen Jahren hat sich nur wenig am Baukonzept der Cali geändert. Immer noch stabbelt ein gewaltiger Zweizylinder-Viertakt-V2-Motor mit seinem bekannten Ventilgeklappere im massiven Doppelrohrrahmen, immer noch ist eine Kardanwelle für den Endantrieb verantwortlich.


 

Moto Guzzi T3 California von 1975



Moto Guzzi California III von 1987


 

Im Grunde ist die "Neue" immer noch die California III, wie sie in
den letzten Jahren verkauft wurde Zwar fehlen ihr lenkerfeste Windschutzscheibe, Sturzbügel
und Seitenkoffer, doch diese
lassen sich je nach
Belieben nachträglich
anmontieren.


Die abgespeckte Cali III C, sie wiegt jetzt ganze 18 Kilogramm weniger, in die Gruppe der Chopper-Fraktion einzuordnen, würde nicht nur Peter Fonda, sondern alle echten Langgabelfetischisten auf die Palme treiben. Die California ist ein nostalgisch angehauchter Reisetourer, der auch überhaupt nicht in die Welt der modernen plastikverschalten Hyperbikes, die als "Super-Tourer" angeboten werden, passen will. Und genau das macht die Cali so sympathisch und interessant. Offenherzig zeigt sie alle technischen Details, und ihr klassisches Aussehen umgibt italienische Eleganz. Sie ist ein Motorrad für's  Auge und Herz.



Moto Guzzi California III C von 1990


Um mit diesem Reisedampfer ordentlich auf Tour zu gehen, haben wir einen Satz Packtaschen montiert und eine ausgiebige Testfahrt nach Rijeka in Jugoslawien unternommen. Zwar ist das Fahrzeuggewicht tatsächlich gegenüber der Vorgängerin um einige Kilogramm gesunken, doch von einem Leichtfüßler kann immer noch nicht die Rede sein. Vollgetankt wiegt die Guzzi stattliche 263 Kilogramm, was sich besonders beim Rangieren bemerkbar macht.
Unweigerlich erinnere ich mich an meine beiden Motorradfreunde Peter und Peter. Der erste ist Zahnarzt und für ihn beginnt ein Motorrad bei 1000 Kubik. Der andere Peter ist Reprofotograf und bei ihm endet ein Bike, wenn es sich nur noch mit größtem Krafteinsatz rangieren lässt. Anders ausgedrückt: Ein großvolumiges Motorrad braucht nicht, kann aber durchaus unhandlich sein. Zu den letzteren gehört leider die Moto Guzzi. Wehe, wenn für die Urlaubstour die Packtaschen vollgestopft sind, der Tankrucksack aufgeschnallt ist, und die vollbetankte Maschine ohne Motorkraft in irgendeine Richtung bugsiert werden soll.
Aufgrund der Sitzhöhe von 800 Millimetern können eigentlich nur Piloten mit ellenlangen Beinen auf dem Dampfer sitzen bleiben, kurzbeinigen Reitern hilft nur absteigen und die Fuhre solange herumwuchten, bis das Stahlross da steht, wo man es hin haben will. Da aber zum Glück Motorräder mehr gefahren als geschoben werden, ändert sich diese Störrigkeit schon nach den ersten Metern. Ist die Italienerin erst einmal am Rollen, kommen Wohlwollen und Behaglichkeit auf. Vergessen sind die eingangs beschriebenen Strapazen, und mit der Nase im Wind wird ein Ziel fern der Heimat angesteuert. War noch bei der California III ein mächtiges Windschild für den Schutz vor Wind und Wetter vorhanden, sitzt der Pilot heute wie einst, frisch, fröhlich und frei auf dem Reisetourer.


Entspanntes Touren macht viel Spass

Dank einer lockeren Sitzposition und dem durchzugstarken V2-Motor
lassen sich auch lange Tagesetappen stressfrei und entspannt genießen



Tolle Aussicht!

Da die Anfahrt in unser südliches Ziel genau in die Zeit der Fußballweltmeisterschaft 1990 fiel, eröffnete sich zu dem Fahrgenuß ein fast fremdgewordener Fahrspaß: Weder dahinschleichender Fernverkehr, noch Urlauber-Convoys bestimmten den Fahrrhythmus, allein die rechte Hand diktierte die Geschwindigkeit, und auf der freien Autobahn pendelte sich die Tachonadel bei 140 km/h ein. Bei diesem Tempo ist der Fahrtwind erträglich, aber auch die gut spürbaren Motorvibrationen sagen dem Fahrer: Hier kann man sich wohlfühlen. Das gleiche gilt für die Sozia. Ohne Zerren und Reißen des Windes am Helm hält die treue Seele den Fahrtstrom problemlos aus, und sie kann sich, ob nach rechts oder links, in aller Gemütlichkeit die Landschaft ansehen. Ein weiterer Vorteil des gleichmäßigen Rollens zeigte sich im Kraftstoffverbrauch. Im Schnitt konsumierte das Triebwerk nur 5,5 Liter Super Plus bleifrei pro 100 Kilometer. Aufgrund dieser Genügsamkeit und dem ordentlichen Tankvolumen von 26 Litern, legten wir nur alle 400 bis 450 Kilometer einen Tankstopp ein. Dass aber immer wieder mal eine Kaffeepause die Fahrt unterbrach, steht auf einem anderen Blatt.
Als Reiseroute wählten wir ab Kassel erst einmal die Autobahn bis Passau. Von hier ging es ausschließlich über Bundes- und Landstraßen durch das Salzkammergut, über den  Radstätter-Pass, bis zum Grenzübergang nach Jugoslawien via Wurzenpass. Die restlichen 200 Kilometer bis Rijeka wurden auf dem üblichen Weg, halb Landstraße, halb Autobahn, zurückgelegt. Von daheim bis Rijeka sind es rund 1100 Kilometer, für die wir lediglich 13 Stunden benötigten, inklusive aller Pausen, Mittagessen und beschaulichem Touren durch Österreich.



In einem Straßencafe genossen wir gleich zu Ankunft unseren ersten jugoslawischen "Cappuccino", für eine erfrischende Abkühlung im Mittelmeer blieb dagegen keine Zeit. Ich erinnerte mich an das letzte Jahr, als ich gleich dreimal in kurzen Abständen diese Strecke gefahren bin. Das erste Mal saß ich auf einer Suzuki GS500E, und es war eine Qual.
Für den zweiten Ausflug nach Rijeka wählte ich die Honda Transalp. Ein tolles Reisemotorrad, leider musste bei strammer Fahrweise alle 150 Kilometer der Tank gefüllt werden, denn bei dieser Gangart brauchte der Motor locker zehn Liter Kraftstoff. Um einen guten Fahrschnitt zu erzielen, blieb für Beschaulichkeit wenig Zeit. Die dritte Tour unternahm ich mit der Kawasaki GPX750. Ein superschnelles Motorrad, ohne wenn und aber. "Mit dem Kinn auf dem Tank", war ich mit der 750er nur knapp zwölf Stunden unterwegs, aber auch hier gab es für einen Blick neben die Fahrbahn kaum Zeit.

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Dagegen war die Tour mit der Moto Guzzi ein echtes Erlebnis voller Eindrücke ohne Hast und Eile. Die wirklich angenehmen Sitzpositionen für die Passagiere lassen tatsächlich solche langen Touren problemlos zu. Weder das werte Hinterteil noch der Rücken müssen leiden. Besonders die Fahrersitzkuhle erwies sich als sehr bequem. Sie gibt einerseits dem Piloten das Gefühl in dem Motorrad eingebettet zu sitzen, doch andererseits thront man bedingt durch die Sitzhöhe weit über dem Asphalt und kann so den Verkehr sicher überschauen. Je nach Lust oder Laune können die Füße mal gerade, mal quer auf die Trittbretter gestellt werden. Sogar für die Beifahrerfüße ist noch ein Plätzchen frei.


Der Motor macht die Musik
Einklang herrscht zwischen Fahrer und Maschine durch den Rhythmus,
den der Zweizylinder dirigiert. Er stimmt ein charaktervolles,
kräftiges, aber beruhigendes Lied an



Neben der kommoden Sitzposition ist aber zweifellos der Motor für die relaxte Fahrweise ausschlaggebend. Schon im Leerlauf strahlt das Triebwerk wie ein Relikt aus vergangener Zeit Ruhe und Gelassenheit aus. Gleichmäßig blubbert das kräftige V2-Triebwerk vor sich hin, und dreht man den Gashahn auf, erscheint es kaum vorstellbar, dass solch ein Motor, wenn er "frisiert" ist, in einem BoT-Renner Siegeschancen hat. Richtig gemütlich kommt das Aggregat auf Touren, und genauso fällt es in Standgasregionen zurück. Diese "Traktor-Charakteristik" wirkt sich auch beim Schalten aus, und der Guzzist muss sich bei Gangwechseln genügend Zeit lassen. Andernfalls "lässt das Getriebe schön grüßen". Hat es fünfmal hintereinander klack, klik, klik, klik, klik gemacht, kann im letzten Gang fast jedes Streckenprofil gemeistert werden. Egal ob Autobahn, Landstraße oder Ortsdurchfahrt, der fünfte Gang kann drin bleiben. Drehmomentstark zieht der Guzzi-Motor ab 2000/min kräftig vorwärts. Ebenfalls recht kräftig spürt der Fahrer beim Beschleunigen aber auch die Motorvibrationen, die unmißverständlich zeigen, dass unter ihm hart gearbeitet wird. Erst wenn sich die Drehzahlmessernadel bei drei-, vier-, oder fünftausend Touren eingependelt hat, schnurrt das Triebwerk gleichmütig, und die Vibrationen werden so gering, dass in den Rückspiegeln wieder etwas zu sehen ist.


Viel Chrom ist dankbar

Nichts freut den Chrom-Putzteufel mehr als frischgewienerte Flächen




Wer noch nie mit einer Moto Guzzi gefahren ist, muss sich erst einmal an das Integral-Bremssystem gewöhnen. Ähnlich wie beim Automobil wird über das große Fußbremspedal eine Scheibenbremse am Vorderrad und die Hinterradbremse gleichzeitig verzögert. Mit der Handbremse, sie wirkt auf die zweite Bremsscheibe am Vorderrad, kann zusätzlich oder auch alleine ganz ordentlich gebremst werden. Hat man sich auf das Integral-Bremssystem eingestellt, möchte man es nicht mehr missen.
Bereits auf unserer Rückfahrt habe ich mir vorgenommen, die Pirelli Phantom MT28 Reifen gegen einen Satz Metzeler Pneus zu tauschen. Der Grund hierfür war, dass das Motorrad auf Streckenabschnitten mit Spurrillen, aber besonders im Nassen beim Überfahren der weißen Mittelstreifen gehörig pendelte. Auch ließ sich die California recht ungenau durch die Kurven dirigieren. Immer wieder musste der eingeschlagene Kurvenradius nachkorrigiert werden. Zwar lässt sich das Fahrwerk individuell abstimmen, doch eine Änderung dieser Einstellmöglichkeiten wirkte sich überhaupt nicht auf dieses Fahrverhalten aus. Nachdem Metzeler Pneus (vorne ME33 Laser und hinten ME99A Perfect) montiert waren, zeigte sich die Guzzi von einer vollkommen neuen Seite. Weder Querrillen noch Fahrbahnabsätze brachten das Fahrwerk aus der Ruhe. Auch im Regen verbesserte sich die Straßenlage gehörig und ließ den Dampfhammer im nassen Element sicher über den Asphalt rollen.
Nüchtern und sachlich betrachtet gibt es einige Punkte an der Guzzi, die stören können. Sei es das hohe Gewicht, welches beim Herumschieben oder Aufbocken mühelos Schweißperlen aus den Poren treibt, oder die Vibrationen, die nicht nur Arme und Beine, sondern auch beide Rückspiegel kräftig durchschütteln. Doch wer sich mit dem Poltergeist richtig zusammengerauft hat, möchte auf die eigenwillige Charakteristik des urigen Langstreckentourers, mit liebenswerten Details wie Trittbrettern, Segelstangenlenker und Polstersessel, nie mehr verzichten. Die Ruhe und Gelassenheit, die von der Guzzi ausgeht, überträgt sich automatisch auf den Fahrer und lässt ihn entspannt das Reisen genießen. Und Putzen macht bei der California auch noch Spaß.


Moto Guzzi California III C
Modelljahr 1990

 


Motor
Fahrtwindgekühlter Zweizylinder-Viertakt-V2-Motor. 67 PS (50 kW) bei 6500/min; maximales Drehmoment 79 Nm (8,1 kpm) bei 3200/min.
Drosselbar auf 50 PS (37 kW). Zylinderwinkel 90 Grad. Zwei Ventile pro Zylinder, über eine untenliegende Nockenwelle, Stoßstangen und Kipphebel
mit Einstellschrauben betätigt. Bohrung x Hub 88 x 78 mm, Hubraum 949 ccm, Verdichtung 9,2. Zwei Dell'Orto-PHM-Rundschiebervergaser, 30 mm, Trockenluftfilter. Nasssumpf-Druckumlaufschmierung, Ölinhalt 3,0 Liter,
SAE 20W40. Elektrostarter. Kontaktlose Transistorzündanlage, Zündkerzen Champion N9DC. Drehstromgenerator 12 V/280 Watt. Batterie 12 V/25 Ah. Frontlicht H4

Getriebe
Seilzugbetätigte Zweischeiben-Trockenkupplung. Klauengeschaltetes Fünfganggetriebe, Gangstufen 2,00; 1,39; 1,05; 0,87; 0,75.
Vorgelegte 1,235. Endantrieb über Kardanwelle 4,714

Fahrwerk
Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen mit abschraubbaren Unterzügen.
Telegabel mit Bitubo-Dämpferelementen, Standrohre 40 mm,
Dämpferzugstufe stufenlos einstellbar, Federweg 140 mm.
Stufenlos einstellbarer Lenkungsdampfer. Stahlrohrschwinge mit zwei
Koni-Federbeinen. Federbasis dreifach und Dämpferzugstufe vierfach einstellbar, Federweg 75 rnm. Akront-Flachschulterfelgen-Drahtspeichenräder, vorne 2.15xl8, hinten 2.50x18. Im Test wurden Pneus von Pirelli, vorne 110/90 V 18 MT28 Phantom+1, hinten 120/90 V 18 MT28 Phantom +1, Metzelei Reifen, vorne 110/90-18 G1 H ME 33 Laser, hinten 120/9018 65 H Perfect ME 99 A1, gefahren. Auch Conti-Reifen TKH23/TKH24 sind freigegeben.
Vorne Doppelscheibenbremse, 300 mm, gelocht, Zweikolben-Festsättel. Hinten Scheibenbremse, 270 mm, gelocht, Zweikolben-Festsattel.
Moto Guzzi-Integral-Bremssystem mit Bremskraftverteiler

Abmessungen
Radstand 1560 mm, Nachlauf 98 mm, Nachlaufwinkel 62 Grad. Sitzhöhe 800 mm, Lenkerhöhe 1080 mm, Lenkerbreite 700 mm. Gewicht 263 kg vollgetankt, zulässiges Gesamtgewicht 460 kg, Zuladung 197 kg. Tankinhalt 26 Liter, ohne Reservebenzinhahn aber mit Warnleuchte im Cockpit bei 6 Liter Restinhalt

Ausstattung
Tacho mit Tageskilometerzähler, Drehzahlmesser, Kontrollleuchte für Motoröl, Treibstoff, Leerlauf, Batterie, Blinker rechts und links, Licht und Fernlicht.
Choke am Kupplungshebel, Warnblinkanlage, hydraulischer Lenkungsdämpfer. Windschutzscheibe, Koffersatz und Sturzbügel gegen Aufpreis

Wartung
Pflege und Inspektion alle 5000 km. Garantie: Fahrzeug sechs Monate; auf Motor, Getriebe und Kardanantrieb zwölf Monate ohne Kilometerbegrenzung

Preis
14.980 DM. Steuern im Jahr 144 DM; Haftpflichtversicherung 920,20 DM
im Jahr, Teilkasko mit 300 DM  Selbstbeteiligung 661,30 DM (Tarife HDI)

PS: Dieser Bericht stammt aus der Zeit, als 1990 die DM noch gängige Währung war


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