Rickman-Story
"Asphalt-Bastard"
Die Rickman-Brothers
nannten sie "Street-Métisse".
Sie war aber alles andere als
ein räudiger Straßen-Köter.
Greyhound oder Café-Racer hätte viel
besser gepasst.
Schließlich hatte die "Métisse" ein
glänzendes Chassis,
war superleicht, blitzschnell und obendrein
weltweit
das erste Bike mit Scheibenbremsen.
Text: Winni Scheibe
Fotos: Rickman-Club, Scheibe |

BSA-Métisse: Café-Racer von 1972
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Mitte
der Sechziger ging's auf dem englischen Motorradmarkt noch richtig hoch
her. Schließlich baute man weltweit die stärksten, schnellsten und
meisten Maschinen. Und damit auch wirklich jeder erfuhr, was in der
nächsten Saison los war, gab es im Herbst die "Earls Court
Motorcycles Show" in London. Auch die Fachpresse mischte eifrig
mit. "Motorcycle News" drehte kräftig am Glücksrad und
verloste alljährlich eine Traum-Maschine. Mal war es eine BSA Lightning,
dann eine Norton Atlas oder eine Velocette Venom Thruxton. Für 1966
hatte sich "MCN"-Chefredakteur Peter Howdle etwas ganz
Besonderes ausgedacht. Dieses Mal spendierte man von der Edelschmiede
Rickman die erste "Street-Métisse". Einer von den zig-tausend
Messebesuchern war der junge Chemiestudent Peter Brewis. Genau wie fast
alle anderen blieb auch der 500er BSA-Fahrer wie angewurzelt vor dem
Rickman-Pavillon stehen. Die Street-Métisse zog wie ein starker Magnet
jeden in ihren Bann.
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Auch
kein Wunder. Was da auf dem Podest stand, war keine
Nullachtfünfzehn-Serienmaschine, sondern ein hochkarätiges
Sportmotorrad. Aber auch das war noch untertrieben. Es war noch viel
mehr, nämlich eine zulassungsfähige Rennmaschine. Leicht, schnell und
stark, mit Stummellenker, langem Tank, Rennhöcker, hinten liegenden Fußrasten und schneeweißer Rennverkleidung. Wie direkt von der Piste
abgebogen, stand sie da. Kompromisslos, nur für eins gemacht: als erste
ins Ziel zu kommen. Und das hatte sie bereits bewiesen! Mit einer
Matchless-Métisse hatte Bill Ivy am 6. März 1966 das Straßenrennen in
Brands Hatch und wenig später auch den Lauf in Mallory Park gewonnen.
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Erste Street-Métisse von Rickman
(Foto: Rickman-Club) |
Für
die "Zulassungsfähigkeit" ihrer Street-Métisse mussten Donald und Derek Rickman, in Fachkreisen nur "The Brothers"
genannt, allerdings einige Zugeständnisse eingehen. Anstatt des
Matchless G50-Rennmotors hatten sie das 47 PS starke 650er Triebwerk von
der Triumph Bonneville eingebaut. Weitere Maßnahmen für die
angestrebte "Alltagstauglichkeit" waren der hinter einer
Plexiglaskuppel in der Rennverkleidung untergebrachte Scheinwerfer, das
Rücklicht, ein kleiner Rückspiegel und der Seitenständer. Der Rest
jedoch war und blieb Racing pur.
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BSA-Métisse mit 750er Rocket3-Motor
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Da
war zunächst einmal das Chassis aus hochwertigem 531er Reynolds-Rohr mit
32 mm Außendurchmesser und 1,5 mm Wandstärke. Die Rahmenrohre waren
jedoch nicht miteinander verschweißt, sondern erstklassig mit einem
spezial Bronzelot hartverlötet. Allein die Lotnähte waren, für sich
betrachtet, ein Kunstwerk und damit sie richtig zur Geltung kamen, wurde
der Doppelrohrrahmen nach allen erforderlichen Vorarbeiten mit einer
Nickelschicht überzogen. Das war für die Oberfläche nicht nur ein
nützlicher Korrosionsschutz, sondern gab dem Bauteil auch eine ganz
edle Optik. Ein weiterer Leckerbissen war der Verzicht auf den separaten
Öltank für die Trockensumpfschmierung. Das Rohrgebilde hatten die
Rickman-Brüder so ausgelegt, dass es als Öltank genutzt werden konnte.
Durch diese Maßnahme sparte man nicht nur Raum und Gewicht für den
Öltank, sondern konnte die Rahmenrohroberfläche auch gleichzeitig für
die Ölkühlung nutzen.
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Edel-Rad: Vernickelter Doppelrohrrahmen
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Die vernickelte
Hinterradschwinge verfügte ebenfalls über eine Besonderheiten: Das
Verstellprinzip für die Kettenspannung. Hierfür gab es zehn
auswechselbare Einstellscheiben mit um 0,8-mm-Abstand exzentrisch
gebohrten Löchern. Je nach Bedarf ließ sich hiermit die Schwingenachse
in den Langlöchern vom Rahmendreieck vor oder zurück fixieren. Mit
diesem Trick war gewährleistet, dass die Spur immer exakt fluchtete.
Für tadellose Vorderradführung sorgte die bei Rickman entwickelte und
gebaute hydraulisch gedämpfte Telegabel mit 41,3 mm
Standrohrdurchmesser. Die in Schrägrollenlagern gelagerte Gabel mit
Alu-Jochen und auf Hochglanz polierte Alu-Tauchrohre war aber nicht nur
extrem verdrehsteif, sonder auch dank der dünnwandigen Bauweise
superleicht. Konsequenter Leichtbau war ebenfalls bei Tank, Rennhöcker,
Rennverkleidung, Batteriekasten und vorderer Radabdeckung angesagt. |

(Foto: Archiv Rickman-Club)
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Alle
Teile waren aus Glasfaser verstärktem Kunststoff, kurz GFK, gefertigt.
Doch damit nicht genug. Der eigentliche Clou waren die Stopper.
Erstmalig bei einer Straßenmaschine sorgten vorne und hinten je eine
hydraulisch betätigte Scheibenbremse für die Verzögerung. In
Zusammenarbeit mit Colin Lyster vom AP-Lockheed-Konzern war es den
Brothers gelungen, diese moderne Bremsanlage in ihrer Métisse
serienreif zu machen. Der Café-Racer war auf der Earls Court Show nicht
nur die Sensation schlechthin, es war eigentlich auch eine Weltpremiere.
Honda brachte ja erst drei Jahre später die CB750 Four mit der
Scheibenbremse am Vorderrad auf den Markt.
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Rahmen-Kit: Métisse-Chassis
(Foto:
Archiv Rickman-Club)
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Sensation 1966:
Métisse-Rahmen mit Scheibenbremse
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Perfekt:
Exzenterscheiben zum Kette
spannen |
Und vor diesem
Supermotorrad stand nun Peter Brewis. Staunte und träumte davon, sich
irgendwann einmal so eine Métisse leisten zu können. Zum Glück
brauchte er nicht lange warten. Bereits zwei Tage später klingelte der
Postbote und übergab ihm ein Telegramm von Motorcycle News: Er hatte
die Métisse gewonnen! Doch bis er seinen Street-Racer tatsächlich in
Empfang nehmen konnte, musste er sich noch gut ein halbes Jahr gedulden.
Die Rickmans waren mit der Bremsleistung letztendlich doch noch nicht
zufrieden. Aus diesem Grund bauten sie anstelle der neuen
Scheibenbremsanlage lieber eine erprobte Fontana-Trommelbremse ins
Hinterrad ein. Die Scheibenbremse, mit 250 mm Durchmesser und
Zweikolben-Festsattel am Vorderrad, blieb dagegen erhalten.
Was nun folgte, wurde zur "Dauerbeziehung". Seit 30 Jahren besitzt Peter Brewis seine
Street-Métisse, trennen wollte und will er sich nicht von ihr. Auch
nicht, als er 1970 heiratete. Da schenkten ihm nämlich die Brothers
einen kurzen Tank und eine Doppelsitzbank...
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Triumph-Métisse
650er T120 Bonneville-Motor

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Bei uns erfuhren Mitte
1968 die Motorradfans erstmalig ausführlich von der Street-Métisse.
Cheftester Ernst "Klacks" Leverkus von "Das Motorrad"
durfte die Bonneville-Métisse vom Schweizer Triumph Importeur Otto von
Arx testen. Der rührige Eidgenosse aus Trimbach bei Olten hatte den
Renner für den eigenen Hausgebrauch aufgebaut. Entgegen dem möglichen
Lieferprogramm für das Rahmen-Kit, verzichtete Otto von Arx auf die
Rickman-Gabel, die Speichenräder mit Alu-Hochschulterfelgen und die
inzwischen verfügbare Scheibenbremse fürs Hinterrad. In seine Métisse
montierte er die original Triumph-Gabel sowie Triumph-Laufräder mit den
serienmäßigen Trommelbremsen. Das schmälerte das Fahrerlebnis jedoch
kaum. Klacks war überwältigt und hielt mit seiner Begeisterung für
den nur 143 kg schweren und über 180 km/h schnellen Straßenflitzer
kaum hinter dem Berg. Denn genau hierfür wäre die Métisse ja gemacht,
schrieb der "Motorrad-Papst" damals in seinem Bericht: " ...
etwas für kurvenreiche Gebirgsstraßen, etwas zum Herumtoben nur aus
Freude am schnellen Fahren..." Allerdings mit einer Einschränkung
füge er hinzu: "...so 100 und 150 km herum flitzen, dann Pause und
ausatmen - dann noch mal 100 km oder auch nur 50 mit Dampf und Spaß und
Hallo, mit ungeheurer Beschleunigung und bestechender Kurvenlage durchs
Land. Fertig für heute - aber bereichert durch ein besonderes
Erlebnis..." Soweit Klacks in Das Motorrad 13/1968.
Dieses Erlebnis war
jedoch nur ganz wenigen vergönnt. Wer bei uns von einer
Bonneville-Métisse träumte und eine wollte, musste rund 8.000 Mark
locker machen - fast das Doppelte, wie für ein britisches Big-Bike.
Auch gab es in Deutschland niemanden, der sich richtig um den Import
kümmerte. Über Detlev Louis hätte man zwar eine bekommen können,
doch der clevere Hanseat verlangte zunächst die Hälfte des Kaufpreises
als Anzahlung, die Lieferzeit hätte dann rund acht Wochen gedauert. Es
muss nicht extra erwähnt werden, dass die Métisse auch aus diesem
Grund in ihrer Exklusivität kaum noch zu überbieten war. Schließlich
gab es noch kein anderes Motorrad auf dem Markt, womit der Edelrenner zu
vergleichen war. Dabei war die Street-Métisse eigentlich nur ein "Abfallprodukt".
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Berühmt geworden waren "The Brothers"
mit ihrer Cross-Métisse
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(Foto: Archiv Rickman-Club)
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In den fünfziger Jahren
zählte Donald "Don" Rickman zu den erfolgreichsten Moto
Crossern Englands. Doch das war ihm nicht genug. Gemeinsam mit seinem
Bruder Derek baute er sich eine eigene Wettbewerbsmaschine zusammen. Das
Schema war denkbar einfach, die besten Bauteile von verfügbaren
Maschinen sollten in einem Motorrad vereint werden. Und so entstand eine
Mixtur aus BSA Goldstar-Rahmen, frisierter 500er Triumph T 100
Zweizylinder-Motor und Norton Roadholder-Telegabel. Was die beiden sonst
noch so brauchten, wurde selbst gemacht. Tank, Radabdeckungen, und
Sitzbankunterbau entstanden aus superleichtem, glasfaserverstärktem
Kunststoff. Auch den Name für ihren Mischling wollten sie sich
natürlich selbst ausdenken. Bastard hätte zwar gut gepasst, doch diese
Bezeichnung klang ihnen viel zu negativ. Im französischen Wörterbuch
fanden sie für Mischling oder Bastard den Ausdruck "métisse".
Das war´s!
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Moto Cross: 500er BSA-Métisse
(Foto:
Archiv Rickman-Club)
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Die Kombination Don
Rickman und seine Eigenbau-Métisse wurden unschlagbar. Fünfzig erste
Plätze in Serie, einschließlich der GP-Siege 1959 in Belgien und 1960
in Frankreich bewiesen die Einmaligkeit des Renners. Erfolg verpflichtet
allerdings auch. Und so konnten sich die beiden Hobby-Konstrukteure bald
kaum noch vor Anfragen retten. Das halbe Fahrerlager wollte von der
siegreichen Métisse Replikas haben. Da sich aber kaum so viele einzelne
BSA-Rahmen, Triumph-Motoren und Norton-Gabeln für eine Kleinserie
auftreiben ließen, kamen die cleveren Brothers auf eine geniale Idee.
Sie beschlossen ein komplettes Fahrwerks-Kit zu bauen, welches
Antriebsaggregat letztendlich aber der Käufer einbauen wollte, sollte
jeder für sich selbst entscheiden. Und so entstand ein piekfeines
Doppelschleifen-Fahrgestell. Das Konzept, auch das gehörte zu ihrer
Idee, an einen der großen britischen Motorradhersteller zu verkaufen,
schlug allerdings vollkommen fehl. Weder BSA, noch Triumph, noch Norton
wollten sich von Privatleuten vorschreiben lassen, welches Motorrad sie
bauen sollten.
Für Don und Derek bedeutete das aber noch lange nicht
der Weltuntergang. Sie waren von ihrer Métisse so überzeugt, dass sie
schließlich die Fertigung selbst in die Hand nahmen. Und das mit
Erfolg. Ihr Métisse-Kit fand reißenden Absatz. Neben englischen
Einzylinder- und Zweizylinder-Motoren ließen sich in die Rahmen auch
Zweitakt-Triebwerke von Bultaco, Montesa und Zündapp einbauen. Die
Geländehüpfer gab es als reine Wettbewerbsfahrzeuge oder als
straßentaugliche Scrambler-Modelle. Ein ganz erheblicher Anteil der
Produktion ging in die USA. Zu den prominentesten Kunden zählten Clint
Eastwood und Steve McQueen. |

Don und Derek Rickman
(Foto: Archiv Rickman-Club) |
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Off-Road: Triumph-Métisse
(Foto:
Archiv Rickman-Club)
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Off-Road: Triumph-Métisse
(Foto:
Archiv Rickman-Club)
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Im Laufe der Jahre
mauserte sich des Rickman-Familienunternehmen in New Milton zu einer
stattlichen Motorradfabrik. Zwischen 1970 und 1974 baute die
Edelschmiede über 12.000 Moto Crosser. In dieser Zeit war Rickman
Englands größter Motorradhersteller! Als Dank für die Leistung
bekamen sie 1974 den "Queen´s Award to Industry" verliehen, die
höchste Anerkennung, die eine britische Firma bekommen kann.
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Racing-Bike: Triumph-Métisse
(Foto:
Archiv Rickman-Club)
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Doch zurück in die
Sechziger. Was sich im knüppelharten Cross-Geschäft so gut bewährte,
war sich das Erfolgs-Duo sicher, müsste auch für den Straßenrennsport
was taugen. Und so entstand im Winterhalbjahr von 1965 auf 1966 die
Matchless-Métisse für Bill Ivy. Bei diesem Road-Racer und der
Street-Métisse, die Peter Brewis Ende 1966 auf der "Earls Court"
gewonnen hatte, sollte es natürlich nicht bleiben. Nach dem gleichen
Konzept wie für die Off-Roads, konstruierten und bauten die Rickmänner
die Road-Métisse. Gegenüber dem Gelände-Chassis war der
Straßenrahmen allerdings deutlich länger. Das hatte man deswegen
gemacht, um möglichst viele unterschiedliche Motortypen einbauen zu
können. Das Fahrwerks-Kit war somit ein perfektes Baukastensystem. Es
beinhaltete das hochglanzvernickelte Chassis mit dem 3,55 Liter
fassenden "oil-in-frame"-System, die Rickman-Gabel mit 41,3 mm
Standrohrdurchmesser, Stummellenker, Hinterradschwinge mit
Girling-Federbeinen, Fußrastenanlage samt Schalt- und Bremsgestänge,
18-Zoll-Speichenräder mit Aluminium- oder Magnesium-Naben,
Borrani-Hochschulterfelgen sowie für vorne und hinten je eine
Lockheed-Scheibenbremse. Des Weiteren befanden sich im Kit die
Einstellscheiben für die Kettenspannung sowie vordere Radabdeckung,
Tank, Batteriekasten, Sitzbank und Verkleidung aus GFK und natürlich
ein dickes Handbuch mit detaillierter Bauanleitung. Drei Farben standen
zur Auswahl: U.S.-Racing-Red, Racing-Blue oder British-Racing-Green.
Für die vorgesehenen Triebwerke, entweder von BSA, Triumph und Norton,
lagen die entsprechenden Motor-Halterungen bei, auch eine Auspuffanlage
für den jeweiligen Motortyp wurde mitgeliefert.
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Rickman-Standard:
GFK-Verkleidung in British-Racing-Green und
polierter Alu-Tank
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Eine wunderschöne Angelegenheit für die langen Wintermonate. Im
Prinzip konnte jeder, der etwas handwerkliches Geschick besaß, sich
sein eigenes Traum-Motorrad auf die Räder stellen. So etwas hatte es
bisher noch nicht gegeben und eröffnete ein fast unerschöpfliches
Betätigungsfeld für die Bastler-Szene. Dabei war es egal, ob es eine
Racing-Métisse oder ein Café-Racer werden sollte. Längst hielten sich
nicht alle "Heimwerker" an die von Rickman vorgegebene
Motorenauswahl. Bald tauchten Métisses mit Triebwerken von Matchless,
Velocette, AJS und Aermacchi auf. Später wurden sogar "Nickel-Bikes"
mit dem Motor von der Honda CB450 oder Yamaha XS650 gesichtet.
Unterstützt und natürlich gern gesehen wurde dieses Tun von den
Brothers. Geschäftsmännisch hatten sie die Szene schon seit einiger
Zeit als potentiellen Markt geortet. Es gab kleine und große Tanks aus
GFK oder Alu, Ein- und Zwei-Personen-Sitzbänke, Halb- und
Vollverkleidungen, Motor-Tuningteile, Auspuffanlagen und wer weiß, was
sonst noch alles. Die Métisse verkauften sie in der Regel aber nur als
Rahmen-Kit. Auf Kundenwunsch war es allerdings auch möglich, die
Street-Métisse als fertiges Motorrad in New Milton zu bestellen.
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Vier-Ventil-Kopf für den
Bonneville-Motor
(Foto: Archiv Rickman-Club) |
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Eine der beliebtesten
Kombinationen war die 650er Bonneville-Métisse. Speziell hierfür
entwickelten die Brothers mit dem genialen Motoren-Konstrukteur Harry
Weslake einen 700er Tuning-Kit. Der neue Alu-Zylinderblock mit 73 mm
dicken Kolben erhöhte den Hubraum auf exakt 688 ccm, die Verdichtung
betrug 11:1. Für englische Verhältnisse eine echte Sensation war der
Leichtmetallzylinderkopf mit vier Ventilen pro Brennraum. Die
Betätigung übernahmen gegabelte Kipphebel, die allerdings weiterhin
via Stößelstangen und den beiden untenliegenden Nockenwellen aktiviert
wurden. Trotzdem, das Werk konnte sich sehen lassen. Von ursprünglich
47 PS bei 6700/min stieg die Leistung auf beachtliche 65 PS bei
6800/min. Und da war noch lange nicht Schluss. Locker drehte der Motor
über 7000/min. Jedoch sehr zum Leidwesen der serienmäßigen
Triumph-Kurbelwelle. So bärenstark und quicklebendig der
Acht-Ventil-Motor auch war, wer den Spaß in einer Bonneville-Métisse
oder normalen Bonneville genießen wollte, durfte keine großartige
Lebensdauer erwarten. Das sprach sich rasch herum, und von den erhofften
einigen tausend Umrüstsätzen konnte Rickman weltweit gerade mal knapp
600 verkaufen.
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Rickman-Prospektfoto
(Foto:
Archiv Rickman-Club)
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Eine Massenproduktion der
Street-Métisse gab es bei Rickman eigentlich nie. Das hatte natürlich
den Vorteil, dass man rasch und umgehend auf individuelle Kundenwünsche
reagieren konnte. Der hessische Kfz-Meister Friedel Münch hatte da so
einen. Für seinen getunten Horex-Imperator-Motor suchte er ein
attraktives Fahrgestell. Für die Brothers kein Problem. Entgegen des
üblichen "oil-in-frame"-Systems löteten sie einen "trockenen"
Rahmen zusammen. Da der Horex-Twin über eine Nasssumpfschmierung
verfügte, brauchte er ja kein separates Ölreservat. Auch eine
Scheibenbremse am Hinterrad erschien Friedel Münch zuviel des Guten.
Für die rund 50 PS starke Sportmaschine würde eine Trommelbremse
vollauf genügen, so sein Wunsch. |

Horex-Métisse:
Friedel Münch und Don Rickman
(Foto: Archiv Rickman-Club)
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Rocket3-Métisse
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Im März 1969 holte er persönlich die
bildschöne Horex-Métisse bei Rickman in New Milton ab. Außer diesem
Prototyp, er wurde in die USA verkauft, bestellte Friedel Münch noch
zwei weitere Rahmen-Kits. Diese beiden Bausätze gingen 1970 nach
Hannover, wo man die Horex-Triebwerke einbaute und anschließend mit den
englisch/deutschen Bastarden die Gegend unsicher machte. Allerdings nur
ein Jahr lang. Dann wanderten die Bad Homburger-Twins ins Regal, und man
hievte 750er Dreizylinder-BSA-Motoren ins Nickel-Chassis. Beide
Rocket-Métisse laufen noch heute in der niedersächsischen
Landeshauptstadt.
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Für Friedel Münch war
der Kontakt zu den Rickman-Brüdern aber auch noch in einer anderen
Angelegenheit sehr nützlich. Der pfiffige Konstrukteur der legendären
Mammut war von der Rickman-Gabel so beeindruckt, dass er das edle
Bauteil in fast allen seiner Maschinen verwendete. |

Münch-Mammut mit Rickman-Gabel |

Enfield-Métisse "Sport"
(Foto:
Archiv Rickman-Club)
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Ein interessanter Deal ergab sich Anfang 1970 mit "Elite Motors"
aus London. Der Motorradgrossist hatte eine größere Menge 750er
Interceptor-Motoren von Royal Enfield an Land gezogen, die nur darauf
warteten, in ein Fahrwerk implantiert zu werden. Für dieses Geschäft
fertigten die Brothers nach bewährtem Baumuster die benötigten
Chassis. Da der Interceptor-Twin aber eine Nasssumpfschmierung hatte,
konnten sich die Fahrwerksspezialsten das aufwendige "oil-in-frame"-System
sparen. Entgegen der üblichen Gepflogenheit, nur Rahmen-Kits zu
liefern, erfolgte die Komplettierung aller "Britain´s Most Exclusive
Superbikes", so der Werbeslogan für den damals 550 Pfund teuren
Sport-Brummer von Elite Motors, bei Rickman. Ebenfalls neu für die auf
Speed und Power eingeschworene Edelschmiede war die Zielrichtung der
Enfield-Métisse. Sie war kein fetziger Café-Racer, sondern ein
Sport-Tourer. Entsprechend fiel das Styling für die unverkleidete
Maschine aus: Hoher Tourenlenker, bauchiger Tank und
Zwei-Personen-Sitzbank. Klar, dass an dieses Motorrad keine hinten
liegenden Fußrasten gehörten. Aber wohin damit? Die
Auspuffkrümmer liefen haarscharf an den Rahmenrohren vorbei. Und so
entschied man sich für die gleiche Lösung, wie man es bereits bei der
Zwei-Personen-Bonneville-Métisse praktizierte, die Fußrastenhalterung
wurde einfach auf die Auspuffrohre geschweißt.
Die Fachpresse war geteilter Meinung über das neue Superbike.
Einerseits lobte man das gute Handling der nur 167 kg schweren Maschine,
schwärmte vom bulligen 52 PS starken Motor und der tadellosen
Scheibenbremsanlage. Anderseits ächzten die Tester über die
Sitzposition. Nur ein "motorradverrückter Schimpanse" könnte
damit Spaß haben. Typisch englischer Humor. Schließlich wusste jeder,
dass das Superbike für den US-Markt konzipiert war. Leider gab es im
gelobten Land aber nicht so viele Motorrad fahrende Schimpansen und so
brachte Elite Motors von April 1970 bis Januar 1972 lediglich nur 137
Enfield-Métisse an den Mann.
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Münch-URS-Métisse
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Abgesehen von diesen
Enfield-Métisse blieb Rickman seinen Ambitionen aber treu. Man baute
weiterhin hochwertige und erfolgreiche Racing-Chassis. Wollte man alle
Erfolge aufzählen, würde es ein Buch füllen. Drei Beispiele sollen
trotzdem erwähnt werden. Kel Carruthers wurde 1968 mit der
Aermacchi-Métisse in der 350er Klasse Vize-Weltmeister. Auch Helmut
Fath vertraute seinem 80 PS starken 500er
DOHC-Vierzylinder-URS-Rennmotor den Métisse-Rahmen an. Pilotiert wurden
die beiden URS-Métisse von den unvergessenen Zweiradhelden Ferdinand
Kaczor und Karl Hoppe. Der "fliegende Bürgermeister aus Diekholzen",
Karl Hoppe, vollbrachte 1969 beim Großen Preis von Deutschland in
Hockenheim eine Sensation. Hinter Giacomo Agostini auf der Werks-MV, platzierte
sich der Draufgänger auf dem zweiten Platz. Im gleichen Jahr
wurde Karl Hoppe in der 500er Klasse Deutscher Meister. Bei der TT 1969
auf der Isle of Man fuhr Alan Barnett auf der 500er Matchless-Métisse
mit über 100 Meilen pro Stunde Durchschnittsgeschwindigkeit die absolut
schnellste Runde.
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Road-Racing: Triumph-Métisse für die
"Formel-750"
(Foto: Archiv Rickman-Club)
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Den nächsten "Großauftrag"
bekam Rickman 1971 von "R.G.M.". Der rührige Motorradhändler
aus Luton/Bedfordshire wollte für die damals in England so
außerordentlich populäre "Formel-750" eine konkurrenzfähige
Rennmaschine anbieten. Als Antriebseinheit sollte das neue 750er
Dreizylinder-Triebwerk von der Triumph T150 Trident dienen. Gegenüber
den bisher gebauten Métisse-Rahmen brauchten die Brothers das Chassis
für den Triple nur im unteren Bereich etwas breiter zu machen.
Ansonsten passte der Drilling anstandslos ins Rohrgeflecht, das
natürlich das Rickmantypische "oil-in-frame"-System hatte. Von
Haus aus leistete der Trident-Motor 60 PS, nach diversen
R.G.M.-Tuningarbeiten, kletterte die Power bis auf 80 PS. Genügend
Horsepower um die nur 175 kg schwere Trident-Métisse auf über 230
Sachen zu beschleunigen.
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Café-Racer

Triumph-Métisse mit 750er T150-Motor
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BSA-Métisse mit 750er Rocket3-Motor
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Nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis es
von dieser Racing-Métisse auch eine Street-Métisse geben würde. Das
Schema war ja geläufig: Scheinwerfer, Rücklicht und Seitenständer
dran, und ab ging's auf die Gass. Zwei dieser "R.G.M."
Street-Métisse kamen um 1974 nach Deutschland. Pro Maschine waren für den
Spaß 17.500 Mark fällig. Im Vergleich hierzu kostete damals die Münch
TTS 1200 "Mammut" knapp 13.000 DM, die dicke Harley und die MV Agusta 750S standen mit je
14.000 DM in der Liste. Exklusivität hatte eben ihren Preis. In der
Métisse-Baureihe gilt die R.G.M. Trident-Métisse als die Krönung. Nur
30 dieser Formel-750 Fahrwerke wurden überhaupt gefertigt. Heute gilt eine
Trident-Métisse als kostbares Sammlerobjekt. Noch seltener ist eine
BSA-Métisse mit dem baugleichen BSA Rocket-3 Motor.
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CR-Baureihe

Rickman-Honda mit CB750 Four-Motor
(Foto: Archiv Rickman-Club)
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Als Mitte der siebziger
Jahre Triumph, inzwischen letzte englische Motorradfabrik, die Tore für
immer schloss, wurde auch die Produktion der Métisse-Rahmen
eingestellt. Von 1976 bis 1982 fertigten die Gebrüder Rickman dann die
"CR" (Competition-Replica) Fahrwerke für die
Vierzylinder-Motoren von Kawasaki und Honda. Doch das ist eine andere
Geschichte.
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Jahrestreffen der "Rickmänner"
(Foto: Archiv Rickman-Club)
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Heute haben sich "The
Brothers" vollkommen aus dem Motorradgeschäft zurückgezogen, den
Mythos-"Métisse" pflegen die Marken-Clubs. Bei uns ist es der
Rickman-Owners-Club, Herbert Streithoff. Und einmal im Jahr treffen sich die Bastarde, dann heult die
Meute, man gibt mit den auf Hochglanz polierten Nickel-Fahrwerken an und
schwört darauf, dass auch im Rahmen nichts rostet. Schließlich
dümpeln im Chassis rund 3,5 Liter kostbare Schmierflüssigkeit.
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