Neues Triumph-Werk in Hinckley
Firmenbesuch 29. Juni 1990
Back to the roots
Einst war die britische Motorradindustrie
Trendsetter und Weltmarktführer
Das war einmal. Aus und vorbei. So dachte man jedenfalls. Inzwischen
kommen gute Nachrichten von der gründen Insel, demnächst soll es
neue Triumph Motorräder geben. Firmenboss John Bloor schloss
für ausgewählte Journalisten das Tor zu seinem Werk auf.
Eine Reportage von Winni Scheibe
Fotos: Winni
Scheibe, Triumph
Neues Triumph-Werk 1990 in Hinckley
(Foto: Triumph)
Die Kölner IFMA im Herbst 1990 wird in vieler Hinsicht einiges an Überraschungen
präsentieren. Neben dem gewaltigen Modellangebot aus Fernost setzt BMW,
aber auch namhafte italienische Hersteller, verstärkt auf Umweltbewusstsein.
Einige von den neuen Maschinen sind mit Einspritzanlagen und
Kat-Auspuffsystemen ausgestattet. Doch die echten IFMA-Knüller werden die
neuen Drei- und Vierzylinder "Roadster" und "Sport Tourer" von Triumph
sein. Abgesehen von dem Namenszug haben die neuen Bikes aus England aber
kaum noch etwas mit den legendären Triumph Twin-Modellen oder der
extravaganten Dreizylinder Trident gemeinsam. Eingefleischte
Engländerfans, die eine Fortsetzung der alten Tradition erwartet haben,
werden bitterlich enttäuscht sein, denn die neuen Triumphs sind
hochmoderne Konstruktionen, die mit der bekannten britischen
Motorradbauweise überhaupt nicht mehr zu vergleichen sind.
Klassiker: 650er Triumph T120 Bonneville
von 1968
Drilling: 750er Triumph T150V Trident
von 1973
Mit Hightech zu neuen Ufern
Brandneuer Dreizylindermotor
(Foto: Triumph)
Verantwortlich für diese Wende ist John Bloor, ein wohlbetuchter
englischer Unternehmer, der bereits 1983 alle Rechte von Triumph erwarb.
Mit zeitgemäßem Management und dem Einsatz von modernster Technologie
wurde ein Konzept erarbeitet, mit dem die Maschinen einerseits den
Wünschen der heutigen Motorradfahrer- generation gerecht werden, aber auch
auf dem internationalen Motorradmarkt im Preisgefüge konkurrenzfähig sein
sollen. Ein ausgetüfteltes Baukastensystem ermöglicht es, die
flüssigkeitsgekühlten Drei-und Vierzylinder-Viertakt-Motoren in ein
Basis-Fahrgestell einzubauen und somit interessante Modellvarianten
zuschaffen. Die Antriebs- aggregate und das Chassis sind englische
Konstruktionen und werden im Triumphwerk gefertigt, alle weiteren Bauteile
kommen zum Großteil von Zulieferfirmen aus Japan oder der restlichen Welt.
John Bloor
Für die Weltpräsentation auf der IFMA 1990
sind drei Modellreihen geplant
Die Trident Roadster-Baureihe mit 750er und 900er
Dreizylinder-Triebwerk
90 PS starke Triumph Trident 750
100 PS starke Triumph Trident 900
(Foto: Triumph)
Die Daytona Sporttourer-Modelle mit 750er und
1000er Dreizylinder-Motor
90 PS starke Daytona 750
(Foto: Triumph)
100 PS starke Daytona 1000
(Foto: Triumph)
Die Trophy Tourer-Generation mit 900er und 1200er Vierzylinder-Triebwerk
100 PS starke Triumph Trophy 900
(Foto: Triumph)
100 PS starke Triumph Trophy 1200
(Foto: Triumph)
Im
September 1990 beginnt die Produktion
Triumph-Werk in Hickley im Juni 1990
(Foto: Triumph)
Eine
gute halbe Autostunde von Birmingham stehen in Hinckley die neuerrichteten
Triumph-Fabrikationshallen, in die bis heute über 100 Millionen Mark
investiert wurden. Bis Ende September 1990 soll das Werk endgültig eingerichtet
sein, und 200 Beschäftigte sorgen dann in drei Schichten dafür, dass die
neue Triumphgeneration vom Band rollen kann. Ohne Rücksicht auf englischen
Nationalstolz sind etwa 45 Prozent der CNC-Bearbeitungsmaschinen
japanischer Herkunft und noch einmal 45 Prozent des Maschinenparks kommt
aus Deutschland. Die restlichen Produktionseinrichtungen stammen vor allem
aus England oder wurden von anderen Märkten geordert. Im Vergleich zu
japanischen Motorradwerken braucht sich Triumph bestimmt nicht zu
verstecken, die Produktionsanlagen entsprechen dem neuesten Stand der
Technik und gewährleisten so absolute Fertigungsgenauigkeit und höchste
Qualität.
Die Produktionseinrichtungen waren im Juni
1990 noch im Aufbau
Triumph-Dreizylindermotor
Die nach
dem gleichen Konstruktionsprinzip aufgebauten Drei- und Vierzylinder
Motoren sind vollkommen eigenständige Triumphentwicklungen, die dem
japanischem Standard in nichts nachstehen. In dem horizontal geteilten
Motorgehäuse dreht sich die Kurbelwelle in Gleitlagern, und damit die
lästigen Motorvibrationen vermieden werden, hat der Dreizylindermotor eine
Ausgleichswelle, die vor der Kurbelwelle untergebracht ist und mit
gleicher Drehzahl läuft. In dem Vierzylindermotor sorgen gleich zwei
Ausgleichswellen, die unter der Kurbelwelle platziert sind und mit
doppelter Drehzahl rotieren, für den Massenausgleich. Eine Zahnkette
treibt die beiden obenliegenden Nockenwellen an, die via Tassenstößel vier
Ventile pro Zylinder betätigen. Damit die Motorbreite möglichst schmal
bleibt, ist die Lichtmaschine hinter dem Zylinderblock angeordnet.
Zylinderkopfbearbeitung und Motoren montage
Die
hydraulisch betätigte Kupplung und das Sechsganggetriebe sind bei beiden
Aggregaten identisch, und den Endantrieb übernimmt eine O-Ring-Kette.
Bevor jedes Triebwerk eingebaut wird, muss es es sich einem "Kaltlauftest"
unterziehen. In diesem, vom Computer überwachten Testlauf werden die
Funktionen von Wasser- und Ölpumpe sowie Lichtmaschine, Anlasser und
Zündanlage geprüft, Kompressionsdrücke gemessen, der Motor auf Dichtigkeit
gecheckt, zusätzlich die Bedienbarkeit der Kupplung sowie
des Getriebes
überprüft.
Alu-Hinterradschwingen
Baukastensystem
In das Einheitschassis passen die Drei- und Vierzylindermotoren
(Foto: Triumph)
Auch das
Fahrgestell ist "made in England" und besteht lediglich aus einem
Rückgrat-Stahlrohrrahmen, in das der Motor als tragendes Element eingebaut
wird. Damit bei der Herstellung des Rahmens höchste Präzision
gewährleistet ist, werden erst nach allen Schweißarbeiten die Bohrungen
für Steuerkopf und Schwingenlagerung durchgeführt. Anschließend wird das
Fahrgestell mit einer Spezialbehandlung gegen Korrosion geschützt und im
vollautomatischen Verfahren lackiert. Wie bereits erwähnt, stammen alle
weiteren Anbauteile von Zulieferfirmen. Auch hier hat sich John Bloor
keineswegs gescheut, bewährte Produkte aus dem fernen Osten und
europäischen Ländern zu ordern. Bauteile, die abertausendmal ihre Funktion
unter Beweis gestellt haben, werden auch in seinen Triumph Motorrädern
zuverlässig Dienst tun. Die Vergaseranlage kommt von Mikuni, Lichtmaschine
und Anlasser sind ebenfalls japanische Markenprodukte. Für den exakten
Zündfunken sorgt eine deutschen AFT Transistorzündanlage. Bei den
Fahrwerkselementen haben die Japaner auch die Nase vorn. Von Kayaba kommt
die Telegabel mit 43mm Standrohrdurchmessern und das Monofederbein. Die
Bremsanlage liefert Nissin und welche japanische oder deutsche Firma die
Leichtmetallfelgen liefern wird, ist noch nicht entschieden. Auf den von
uns fotografierten puristischen 750er Roadster und Vollverkleidete 900er
Sporttourer waren Metzeler Pneus vorn 120/70 VB 17 ME 1 MBS und hinten
160/60VB 18 ME 1 MBS montiert.
Werksbesuch im Juni 1990
Winni Scheibe im Gespräch mit Klaus Schrader, Geschäftsführer Triumph
Deutschland
Bei dem
Werksbesuch im Juni 1990 war es leider nicht möglich, mit einer der beiden
Prototypen eine Testfahrt durchzuführen, geschweige denn den Motor laufen
zu hören. Aus diesem Grund müssen wir uns an dieser Stelle nur auf einen
optischen Eindruck der beiden Bikes beschränken: Da sich bekanntlich über
den Geschmack lange streiten lässt, tendiert die Sympathie des Autors
eindeutig zu der "Roadster". Das unverkleidete Bike ist
dunkelgrün-metallic lackiert, eine Farbe, die stark an das traditionelle
"British Racing Green" erinnert. Aber nicht nur die Lackierung hebt sie
von vergleichbaren Maschinen aus Japan oder sonstwo ab. Eine Augenweide
ist zweifellos das Dreizylinder-Triebwerk. Hier liegt ein weiteres Stück
Tradition verborgen, mit der sich die Triumph von den Mitbewerbern abhebt.
Mit dieser Maschine ist es den Triumph-Leuten tatsächlich gelungen, ein
neues Motorrad auf die Räder zu stellen, das in jeder Hinsicht auch erst
einmal ohne Probefahrt begeistern kann. Dagegen erscheint der "Sporttourer"
auf den ersten Blick eher etwas nach japanischer oder italienischer
Machart und ob dieses Modell so den Geschmack der "British-Bike-Kunden"
trift, wird sich zeigen.
Trident und Daytona 1990 noch als Prototypen
Bei aller
Euphorie für die neuen Triumph stellen sich aber bereits nach dem ersten
Beschnuppern schon einige Fragen. Jetzt haben die Engländer, mit allem
Respekt für das Engagement, diese Fabrik mit den modernsten
Produktionseinrichtungen hochgezogen, haben ein Modellkonzept auf die
Räder gestellt, das bestimmt bis in das Jahr 2000 Überlebenschancen hat,
doch das i-Pünktchen bei den neuen Triumph Motorrädern fehlt. Weder ein
serienmäßiges ABS, noch eine spritsparende Einspritzanlage, geschweige
denn ein KAT, zeichnet diese neuen Bikes aus. Dabei stehen die Zeichen der
Zeit ganz deutlich in dieser Richtung. Über kurz oder lang werden auch die
Motorradhersteller um diese Sicherheits- und umwelttechnischen
Einrichtungen nicht mehr herumkommen. Wenn also schon soviel Geld und Zeit
in diese Neuentwicklungen gesteckt wird, warum werden dann nicht gleich
Nägel mit Köpfen gemacht?
Aber
vielleicht werden wir auf der IFMA 1990 doch noch ganz große Augen bekommen,
wenn nicht nur Moto Guzzi Einspritzmodelle mit KAT präsentiert, sondern
auch Triumph einige weitere Asse aus dem Ärmel zieht.