Motorrad-Marken


Vincent 500 Comet 
Baujahr 1950

"Power-Single"

Wer von einer Vincent spricht, meint entweder die 1000er Rapide
oder die legendäre Black Shadow. Aber auch die Singles sind
bemerkenswerte Modelle. Die 500er Comet war ihren damaligen
Klassenkameraden haushoch überlegen und gehört heute
zum begehrten Sammlerstück.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Werk


Anfang der fünfziger Jahre war bei uns das Motorrad Beförderungsmittel Nummer eins. Alle Welt knatterte auf Leichtmaschinen mit 98 oder 125 Kubik durch die Gegend. Schwere Maschinen von BMW oder Zündapp mit 500 oder gar 600 Kubik konnten sich nur wenige Leute leisten. Ganz und gar im Reich der Träume blieben die Motorräder aus England. Tauchte dennoch irgendwo eine BSA, Triumph, Norton, Royal Enfield, AJS, Matchless, Velocette oder gar Vincent auf, war die Aufregung groß. Einen ganz besonderen Ruf genossen die Maschinen von Philip C. Vincent aus Stevenage.
Als der Sohn eines wohlhabenden argentinischen Rinderfarmbesitzers die 500er Comet Serie A 1934 auf den Markt brachte, hatte er sich vorgenommen, genau wie der britische Automobilhersteller Sir Henry Royce, nur das Beste vom Besten für seine Motorräder zu verwenden. Gemäß diesem Anspruch waren seine Fahrzeuge ihrer Zeit weit voraus. Für Fahrkomfort und Fahrsicherheit sorgte vorne eine Trapezgabel mit je zwei Halbnaben-Trommelbremsen. Auch das Hinterrad war bereits gefedert. Diese Aufgabe erledigte eine Dreiecksschwinge mit zwei fast liegenden Federbeinen, die unterhalb der Sitzbank positioniert waren. Das ohv-Einzylinder-Triebwerk des Top-Modells Comet Spezial Serie A leistete beachtliche 28 PS bei 5600/min.


Um 1935: Philip C. Vincent, Phil E. Irving, Keith Horton 
(Foto: Werk)

Zwei Jahre später setzte das junge Motorradwerk 1936 noch eins oben drauf. Gemeinsam mit dem genialen Konstrukteur Phil E. Irving hatte Vincent zwei Einzylinder zu einem 1000er V-Motor zusammengekoppelt. Seinen Platz fand das mächtige 45 PS-Kraftpaket in dem nur wenig geänderten 500er Comet-Fahrwerk. Als erstes Serien-Motorrad der Welt übertraf die Rapide Serie A mit 110Meilen pro Stunde die magische "100mphGrenze". Im Fahrbetrieb verlangte das Geschoss seinem Fahrer allerdings großen Mut und Nervenstärke ab. Das für den 500er Single-Motor ausgelegte Chassis war mit der Motorleistung und Geschwindigkeit restlos überfordert. Diese Charakteristik führte dazu, dass sich bald viele abenteuerliche Geschichten um die sagenhaft schnelle Maschine bildeten. Den Ruf, die stärksten und schnellsten Maschinen zu bauen, sicherte sich das Werk auch nach dem Krieg. Mit vollkommen neu entwickelten 500er- und 1000er Modellen begann 1946 das zweite Kapitel der Vincent-Firmengeschichte. Top-Modell und mit keiner anderen damaligen Maschine vergleichbar war die 1000er Black Shadow. Kein Wunder. Der 55 PS V-Motor beschleunigte den "Schwarze Schatten" auf über 200 Stundenkilometer. Aber auch die etwas zahmere Rapide mit "nur" 45 PS versetzte die Fachwelt und Motorradfans in höchste Euphorie.


Etwas im Schatten der mächtigen 1000er Maschinen standen dagegen die 500er Einzylinder-Motorräder. Eigentlich zu Unrecht. War die 1000er für die agilen Sportfahrer konzipiert, wollte man mit dem Single den anspruchsvollen Tourenfahrer ansprechen. Die Qualitäten für Alltag und Fernreise hatte die 500er allemale. Entgegen der naheliegenden Annahme er ist ein halbierter 1000er V-Motor, wurde diese Antriebseinheit eigenständig entwickelt. Eine nahe Verwandtschaft zur großen Vincent läßt sich allerdings nicht leugnen. Und das hat seinen Grund. Bei der Konstruktion der Ein- und Zweizylinder-Modelle tüftelte Vincent ein ausgeklügeltes Baukastensystem aus. Das Seitenwagen taugliche Fahrgestell mit Trapezgabel und gefederter Dreiecksschwinge war für beide Motortypen ausgelegt. Von einem echten Rahmen zu sprechen, ist jedoch übertrieben. Hauptbestandteil des Chassis war ein stabiles Rückgrat aus Vierkantprofil, das gleichzeitig als Öltank diente. Beide Motortypen verfügten nämlich über eine Trockensumpfschmierung. Das Triebwerk selbst diente als mittragendes Teil, und die Lagerung der Hinterradschwinge war direkt am Motorgehäuse angeflanscht. Diese Konstruktion war nicht nur außerordentlich einfach, sondern bestach auch bei der Wartung der Maschine. Ohne Werkzeug ließ sich mit wenigen Handgriffen die Antriebskette spannen, der Kraftstofftank abnehmen und das Hinter- oder Vorderrad ausbauen. Kaum mehr Aufwand war nötig, um das gesamte Fahrzeugheck bestehend aus Hinterrad, Schwinge, Schutzblech und Sitzbank abzuschrauben.

Auch beim Motor legte Vincent großen Wert auf das Baukastensystem. Kolben, Zylinder, Zylinderköpfe und etliche weitere Bauteile ließen sich im Einzylinder sowie beim V-Motor verwenden. Mit dieser Modellpolitik konnten man die Teile kostengünstig herstellen, und die Ersatzteillagerung bei den Vertrags-Händlern blieb überschaubar.


D
er Aufbau des Singles war im Vergleich zum modernen V-Blockmotor aber immer noch "klassisch englisch". Der ohv-Einzylinder verfügte über ein eigenes Motorgehäuse mit einer, zahnradgetriebener, hochgelegten Nockenwelle, kurze Stoßstangen und Kipphebel, über die je ein Einlass- und ein Auslassventil betätigt wurden. Den Primärantrieb erledigte eine Simplexkette in einem separaten, ölgefüllten, Primärkasten. Entsprechend der damaligen Bauweise war das Burman-Vierganggetriebe in einem eigenen Gehäuse hinter dem Motorblock platziert. Eine Rollenkette erledigte den Endantrieb zum Hinterrad.

Das niedrige Gewicht von nur 178 kg machte sich positiv im Handling bemerkbar. Im hektischen Stadtverkehr und auf verwinkelten Landstraßen war die Comet in ihrem Element. Aber auch wenn es mal flott vorwärts gehen sollte, kam man schnell ans Ziel. Der Motor leistete 28PS bei 5800/min und beschleunigte die Maschine auf fast 100mph. Die Comet war aber nicht nur eine schnelle und zuverlässige Tourenmaschine, sie war auch entsprechend teuer. Anfang der fünfziger Jahre kostete sie 3160 Mark. Im Verglich musste ein BMW Kunde für das damalige Topmodell R51/2 lediglich 2750 Mark auf die adentheke blättern. Und so wundert es letztendlich nicht, dass offiziell nie eine Vincent Comet nach Deutschland importiert wurde.


A
uch heute ist eine Comet im "O-Zustand" bei uns recht selten. Das liegt zum einen daran, dass nur wenige Maschinen den Weg nach Deutschland fanden und zum anderen etliche Fahrzeuge für die Beschaffung von Ersatzteilen für die 1000er V-Maschinen kurzerhand zerlegt wurden. Ergattert man dennoch eine Comet SerieC, ist dies meist großer Zufall. Dieses Glück hatte Ende des vergangenen Jahres Axel Heitmann aus Bargteheide. Von einem guten Freund erfuhr der Engländerfan, das angeblich eine Comet beim englischen Besitzer im Wohnzimmer vor dem Kamin stehen sollte. Da an solchen Gerüchten meist immer ein Funken Wahrheit dran ist, machte sich Heitmann auf den Weg. Die Reise sollte sich lohnen. Nicht nur, dass die Comet tatsächlich vor der Feuerstelle stand, sie befand sich sogar im absolut originalen Zustand. Ron Banks, Jahrgang 1921, hatte den Single 1950 funkelnagelneu gekauft, war mit ihr bis 1954 lediglich nur 4900 Meilen gefahren und hatte sie dann ins Wohnzimmer geschoben. Seit dieser Zeit stand sie nun an dieser Stelle. Dass ein Fahrzeug in diesem Zustand seinen Preis hat, war dem Besitzer, aber auch Axel Heitmann sehr wohl bewusst. Nach einigem Handeln wurde man sich dann aber doch einig, und für eine fünfstellige Summe wechselte die Vincent ihren Eigner.


Volles Rohr: Axel Heitmann auf seiner Comet 

Dass der Single seine Fahrtüchtigkeit immer noch nicht verlernt hatte, brauchte man nicht lange zu probieren. Nachdem eine frische 6Volt Batterie angeklemmt und Sprit im Tank war, genügten einige Tritte auf den Kickstarter und schon lief das Triebwerk. Genau 40 Jahre war seit dem letzten Ausflug vergangen. Doch geändert hat sich eigentlich kaum etwas. Die Straßen sind kopfsteingepflastert und nur an wenigen Stellen geteert. Auch beim neuen Vincent-Owner ist ganz offensichtlich die Zeit stehen geblieben. Seine Bekleidung und sein Fahrstil dokumentieren es nachhaltig. Eine Schirmmütze genügt, damit die Frisur nicht durcheinander kommt, die Brille schützt vor lästigem Ungeziefer, Lederjacke und Knickerbockerhose halten mollig warm. Mit der "Nase im Wind" lässt Axel Heitmann, wenn er Lust hat, "so wie früher" die Comet über die Chaussen fliegen.


Technische Daten
Vincent Comet SerieC 
Baujahr 1950

Motor:
Fahrtwind gekühlter Einzylinder-Viertakt-Motor. Zwei Ventile, über eine untenliegende, Zahnrad getriebene Nockenwelle, kurze Stoßstangen und Kipphebel betätigt. Bohrung x Hub 84 x 90mm, Hubraum 499 ccm, Verdichtung 6,8:1, Leistung 28 PS bei 5800/min. Trockensumpfschmierung 3,25 Liter Castrol GTX Motoröl. Ein Amal-Monobloc-Vergaser, 28 mm (nachträglich Modifiziert), offener Ansaugtrichter. Magnetzündanlage mit Unterbrecherkontakt, 6 Volt Lichtmaschine

Getriebe:
Primärantrieb über Simplexkette im separaten Primärgehäuse, Mehrscheibenkupplung im Ölbad, Burman-Vierganggetriebe, Endantrieb über Rollenkette

Fahrwerk:
Rückgrat-Chassis aus Vierkantrohr, Rahmen dient gleichzeitig als Öltank, Motor mittragendes Teil. Hydraulisch gedämpfte Girdraulic-Trapezgabel, Lagerung für die Hinterrad-Dreiecksschwinge direkt an der Antriebseinheit angeschraubt, zwei unter der Sitzbank fast liegende Federbeine. Vorne und hinten zwei Halbnaben-Trommelbremsen, O178mm. Vorne und hinten Speichen-Räder mit Stahl-Felgen. Avon Speedmaster Bereifung, vorne und hinten 3.25-19

Abmessungen und Werte: 
Radstand 1425mm, Gewicht 178kg, Tankinhalt 16 Liter, Höchstgeschwindigkeit etwa 90mph (145km/h) 

 


Hinterrad-Dreiecksschwinge

Komfort: Zweipersonen-Sitzbank

Ursprung: HRD-Einzylindermotor 
(Foto: Werk)

Hydraulisch gedämpfte Girdraulic-Trapezgabel 
(Foto: Werk)


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