Motorrad-Marken


Yamaha XS 750 & 850

"Wellen - Reiter"

Die Dreizylinder Yamaha XS 750 war 1976, nach der Honda GL 1000,
die bereits 1974 präsentiert wurde, das zweite japanische Bike
der "Neuzeit" mit Kardanantrieb. Der 750er Yamaha Sporttourer
sollte den europäischen Kardan-Tourern von BMW
und Moto Guzzi Paroli bieten.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Werk



Yamaha XS 750

Im Vergleich zur Genesis-Generation mit Fünfventil-Technik steckte die Viertakterfahrung der Yamaha-Ingenieure Anfang der siebziger Jahre noch in den Kinderschuhen. Yamaha, zweitgrößter japanischer Motorradhersteller, war damals Spezialist im Bau von Zweitaktmotoren. Neben den agilen Alltagsbikes mit Zweitakt-Triebwerken gewannen Yamaha-Zweitakt-Rennmaschinen auf dem Asphalt und Off-Road alles, was an nationalen, internationalen und Weltmeisterschaftsläufen zu gewinnen war.
Der erste Versuch, ein Motorrad mit Viertakttechnik auf die Räder zu stellen, spiegelte sich 1970 in der XS1 650 wieder, die im Outfit stark an die klassischen englischen Bikes erinnerte. Ihr folgten die XS 500, die erstmalig mit einem Zweizylinder-Vierventil-Aggregat ausgerüstet war, der eigenwillige XT 750-Twin, mit der weder Yamaha noch ihre Besitzer je richtig glücklich wurden, die Mittelklasse-Bikes XS 250 und XS 360 und der legendäre Einzylinderdampfhammer XT 500.



Yamahas erster Viertakt-Twin: XS1 von 1970
(Foto: Yamaha)


Mitte der Siebziger Jahre reagierte Yamaha auf die Kundenwünsche der amerikanischen und europäischen Motorradfahrer und konstruierte die Dreizylinder XS 750 mit Kardanantrieb. War bis dato die Kardanwelle nur bei Motorrädern mit längs im Rahmen eingebautem Motor üblich (mit Ausnahme der MV Agusta), beschritt Yamaha auf diesem Gebiet Neuland. Da das Aggregat quer in dem Rahmen platziert werden sollte, war für diese Antriebsart eine doppelte Umlenkung erforderlich. Entgegen den damaligen Berichten in der Fachpresse wurde das Triebwerk und Endantrieb nicht bei Porsche in Weissach entwickelt, sondern der Motor eigenständig von den japanischen Ingenieuren geplant und gebaut. Nur bei der Konstruktion des Kardanantriebes bedienten sie sich des Know-hows der Getriebefirma Getrag in Ludwigsburg.

Getriebespezialist Getrag erwies sich als der richtige Partner für die japanischen Motorradkonstrukteure, und gemeinsam wurde der Endantrieb entwickelt. Gemäß deutscher Gründlichkeit verbauten die Techniker bei Getrag anstelle eines einfachen Kreuzgelenkes ein teures homokinetisches Gelenk zwischen den Winkeltrieb, der an das Fünfganggetriebe angeflanscht war, und die Kardanwelle. Die Fertigung erledigte ebenfalls die deutsche Firma. 


Anschließend wurden die Teile nach Japan verschifft. Doch bis es so weit war, musste sich der Wellenantrieb bei einer ausführlichen praktischen Erprobung in der Versuchsabteilung bei Porsche bewähren. Interessant ist die Tatsache, dass die Porscheingenieure großen Gefallen an dem japanischen Dreizylinder-Triebwerk fanden. Zu Studienzwecken konstruierten sie neue Nockenwellen mit "scharfen Steuerzeiten" und vergrößerten den Hubraum auf 900 Kubikzentimeter. Der "Porsche-Versuchsmotor" war eine Wucht, doch leider blieb das Ergebnis dieser Weiterentwicklung in den geheiligten Räumen der Versuchswerkstatt.


Nachdem 1976 die Serienfertigung in Japan angelaufen war, erhielt zuerst der amerikanische Markt die neuen XS 750. Der luftgekühlte Dreizylinder-Viertakt-Motor mit zwei obenliegenden Nockenwellen entwickelte bereits im unteren Drehzahlbereich mächtig Dampf und vermittelte dem Biker ein charakteristisches Fahrgefühl, das an die legendären Triples von BSA und Triumph erinnerte. Dazu kam der wartungsfreundliche Wellenantrieb und die perfekte japanische Technik. Optisch war die US-XS 750 eine Mixtur aus Sport- und Tourenbike. Bewährte Speichenräder, eine Scheibenbremse am Vorderrad, drei-in-eins Auspuffanlage, der Hochlenker und ein winziger Tank trafen genau den Geschmack des US-Bikers. Das Bike wurde sofort ein Verkaufserfolg.


Reise-Tourer: Yamaha XS 750


Erst ein Jahr später kamen die Motorradfahrer bei uns in den Genuss der 7.250 Mark teuren Dreizylinder Yamaha. Gegenüber der US-Ausführung war das Bike für den europäischen Markt stark modifiziert. Eine andere drei-in-zwei Anlage und der neu abgestimmte Motor steigerten die Leistung von 60 SAE-PS auf 63,7 DIN PS bei 7.200 /min. Gegenüber der US- Anlage ermöglichten die neuen Endrohre bedeutend mehr Schräglage. Die Motorcharakteristik, bedingt durch die 120 Grad versetzten Hubzapfen auf der gleitgelagerten Kurbelwelle, war rauh aber herzlich, und wenn das Aggregat schon nicht von Porsche entwickelt wurde, erinnerte doch der Auspuffsound an einen 911er Sportwagen aus der schwäbischen Edelschmiede. Für gute Bremswirkung sorgte jetzt eine Doppelscheibenbremsanlage mit 265 mm Durchmesser am Vorderrad, und der flache Lenker sollte die Heizerei auf der Autobahn erleichtern. Anstelle von Speichenrädern verbauten die japanischen Techniker nun Gussfelgen aus Leichtmetall. Im Vergleich zu den etablierten Kardanmaschinen von BMW und Moto Guzzi schnitt die Yamaha deutlich besser ab. Der Motor war drehfreudiger, und der Kardanantrieb zeigte nur geringe Lastwechselreaktion. Das Bike zeigte ein ähnliches Fahrverhalten, wie man es von Motorrädern mit Kettenantrieb gewohnt war.




In den Detailausführungen entsprach sie dem damaligen japanischen Standard. Die jeweils zwei Ventile pro Zylinder wurden über Tassenstößel direkt betätigt. Drei Mikuni Gleichdruckvergaser sorgten für optimale Gemischaufbereitung. Per Kick- oder Elektrostarter konnte der Motor angelassen werden. Gleichmäßig entwickelte das Triebwerk über das gesamte Drehzahlband seine Leistung. Für die Betätigung des Kupplungshebels war nur wenig Handkraft erforderlich, und das Fünfganggetriebe ließ sich exakt schalten. Die Anordnung der Lichtschalter war so ausgelegt, dass sie auch mit dicken Handschuhen tadellos bedient werden konnten. Nach Betätigung des Blinkschalters schnappte er in die Mittelstellung zurück und das Blinklicht wurde durch leichtes Aufdrücken wieder abgestellt. Genügend Platz für zwei Personen bot die 660 mm lange Sitzbank. Die als Zubehör angebotenen Kofferträger und Packtaschen ließen sich problemlos montieren und fertig war das Reisebike. 
Für wenig Begeisterung sorgte der kleine nur 17 Liter fassende Kraftstofftank. Je nach Fahrweise verbrauchte das Triebwerk zwischen 6 und 11 Liter Normalbenzin. Im Schnitt pendelte sich der Kraftstoffkonsum auf 8 Liter pro 100 Kilometer ein. Wer bei maximalem Topspeed von 185 Stundenkilometern über die Autobahn heizte, musste bereits nach 150 Kilometern nach einer Zapfsäule Ausschau halten. Beim Rangieren im Schritttempo machte sich das Gewicht von 257 Kilogramm deutlich bemerkbar, und die hohe Sitzposition von 835 Millimeter ließ das Gefährt recht unhandlich wirken. War die Fuhre aber einmal in Fahrt, gab es an dem Handling nichts mehr auszusetzen, nur in langgezogenen Kurven neigte sie allerdings zu leichten Pendelbewegungen. Doch das war eindeutig die Ursache der japanischen Standardbereifung von Bridgestone. Auch im Regen waren die fernöstlichen Gummisohlen mit Vorsicht zu genießen. Abhilfe schaffte die Umbereifung auf Metzeler Pneus, vorn Rille 12 und hinten C 66. Mit dieser Paarung verbesserte sich die Straßenlage eindeutig und auch im Nassen ließ sie sich sicher fahren.

Besonderes Augenmerk musste dem Motorölstand geschenkt werden. Ein überdurchschnittlich hoher Verbrauch konnte dazu führen, dass sehr schnell in der Ölwanne die Minimalmenge erreicht wurde und aufgrund von Ölmangel Lagerschäden entstanden. Auch die Primärkette war offensichtlich der harten Fahrweise bei uns nicht gewachsen. Die Zahnkette litt unter frühzeitigem Verschleiß, längte sich und schlug im Primärgehäuse an. Im Rahmen einer kostenlosen Umrüstaktion vom Yamaha Importeur wurden die Zahnkette, Kolben und Kolbenringe ausgewechselt. Eine größere Ölwanne, die die Füllmenge von 3,5 auf 4,5 Liter vergrößert, sorgte für mehr Ölhaushalt. Die verstärkte Primärkette und die modifizierten Kolbenringe flossen sofort in die Serienherstellung in Japan ein. Entgegen der oft vertretenen Meinung, dass diese Umrüstaktion für die `77er Modelle bis heute Gültigkeit hat, bezog sich die Tauschaktion nur auf dieses Jahr. Wer heute eine `77er XS 750 kauft, kann an der großen Ölwanne sofort erkennen, ob die Umrüstaktion durchgeführt worden ist.


Nach intensiver Modellpflege folgte 1978 die XS 750 E

Bereits ein Jahr später musste sie sich bedeutender Modellpflege unterziehen und erhielt hinter das XS 750 ein E. Geändert wurden Zylinderkopf, Schalldämpfer, Luftfilterkasten, Steuerzeiten und neue Kolben samt Kolbenringen, wodurch sich die Motorleistung von 64 auf 74 PS bei 8350/min steigerte. Für einen korrekten Zündfunken sorgte nun eine kontaktlose Hitachi-Zündanlage. Eine stärkere Ölpumpe erhöhte den Durchsatz von 3,7 l/min auf 5,4 l/min, was wiederum der Motorinnenkühlung zugute kam. Ein geändertes Choke-System, der Bedienungshebel ließ sich nun in zwei Stellungen positionieren, verbesserte die Warmlaufphase. Das Fahrwerk der XS 750 E wurde insgesamt straffer ausgelegt, und die Vordergabel mit deutlich besserem Ansprechverhalten ließ sich zusätzlich per Federvorspannung dreifach einstellen. Äußerlich blieb sie unverändert.




Im Fahrbetrieb machte sich die Modellpflege sehr positiv bemerkbar. Das Bike lag jetzt satter auf der Fahrbahn und ließ sich solo oder auch vollbeladen recht sportlich bewegen. Deutlich macht sich der Leistungszuwachs von 10 PS bemerkbar. Das Triebwerk dreht spielend über die Nenndrehzahl von 8350/min bis in den roten Bereich von 9000/min. Mit knapp 200 Stundenkilometer Spitze war sie nun Klassenschnellste. Ohne spürbaren Leitungsabfall zog das Aggregat die Fuhre auch im großen Gang und mit zwei Personen besetzt die Berge hoch. Der Spritverbrauch senkte sich von durchschnittlich 8 auf 7 Liter pro 100 Kilometer. Doch durch die Anhebung der Verdichtung von 8,5 auf 9,1 : 1 musste ab nun Superbenzin getankt werden. Insgesamt war die XS 750 E jetzt der ausgewogene Tourensportler, der sie bereits vor einem Jahr sein sollte. Der Preis betrug in diesem Jahr 7540 Mark für das Kardanbike.
Mit nur wenig, aber gezielter Verbesserung ging die XS 750 E in das Modelljahr `79. Endlich bekam sie einen 24 Liter fassenden Kraftstofftank spendiert, was problemlos Etappen von über 340 Kilometer ohne Tankstopp zuließ. Das Leergewicht kletterte durch den größeren Tank von 257 auf 260 Kilogramm. Noch einmal wurden die Kolbenringe modifiziert und die Kurbelwelle mit weniger Lagerspiel eingebaut. Auf den Kickstarter wurde ab diesem Jahr verzichtet. Der Verkaufspreis stieg von 7540 auf 7665 Mark.


Ab 1980 gab es die Yamaha XS 850


Yamaha XS 850

Damit der Dreizylinder den Anschluss an die vergleichbaren Mitbewerber mit Kardanantrieb, BMW R 80/7, Moto Guzzi 850 T3 und Suzuki GS 850, nicht verliert, war für 1980 eine intensive Modellpflege angesagt. Herausragendste Maßnahme war die Erweiterung des Hubraumes. Bei gleichem Hub vergrößerten die Yamahatechniker die Bohrung von 68 mm auf 71,5 mm, was einen Hubraum von exakt 826 Kubikzentimetern ergab. Entsprechend änderte sich die Modellbezeichnung auf XS 850. Neue 32er Unterdruckvergaser von Hitachi verbesserten die Abgaswerte, und gemeinsam mit der neuen Motorabstimmung steigerte sich die Leistung auf 79 PS bei 8.500 /min. Eine vergrößerte Ölwanne mit 3,7 Liter Inhalt und ein zusätzlicher Ölkühler sorgte nun für noch bessere Motorölkühlung. Ab dieser Modellreihe fertigten die Yamahaleute den Endantrieb selber. Anstelle des teuren homokinetischen Gelenks setzten sie ein preisgünstigeres aber ebenso wirkungvolles Kreuzgelenk zwischen den Winkeltrieb am Getriebeausgang und die Kadanwelle. Die Auspuffanlage lief jetzt leicht nach oben abgeknickt, was dem Motorrad nicht nur optisch gut stand, sondern auch mehr Schräglage ermöglichte. Auch die Fahrwerksabstimmung wurde nochmals eine Spur härter ausgelegt. Die Telegabel konnte per Luftdruck individuell eingestellt werden, und die hinteren Federbeine stammten aus der großen Schwester XS 1100.






Gegenüber der XS 750 war die 850er nun ein rundherum ausgewogener Sporttourer. Die Drehfreudigkeit des Dreizylinder-Triebwerks hatte sich noch einmal verbessert, und ab 7000 Umdrehungen legte das Aggregat richtig zu. In punkto Sicherheit war jetzt ein großer 200 Millimeter Scheinwerfer mit H 4 Licht montiert. Der Preis für die XS 850 betrug in diesem Jahr 7915 Mark.


Sondermodell

Soft-Chopper XS 750 SE



Neben dem Sporttourer XS 850 gab es 1980 das Sondermodell XS 750 SE. Sie basierte auf der bereits bekannten XS 750 und war durch einige technische und optische Tricks auf die damalige Soft-Chopper Modeerscheinung zugeschnitten. Die XS 750 SE Spezial oder auch "U.S. Custom" sollte jene Käuferschicht ansprechen, die weder ein Sport- noch Tourenbike wollten. Gemäß dem Motto "aufrecht sitzend die Nase im Wind" war der Chopper mit einem Hochlenker ausgestattet. Weitere Eckdaten für das Chopper Outfit waren: Stufensitzbank, 19 Liter Tropfentank, geänderte Telegabel mit vorversetzter Achse, kurze Endschalldämpfer, neu gestylte Seitendeckel und verchromte Instrumenten-, Scheinwerfer- und Luftfiltergehäuse. Aufgrund der neuen Auspuffanlage und dem geänderten Luftfilterkasten verringerte sich die Motorleistung von ursprünglich 74 auf 69 PS. Doch das ist noch immer genug Leistung um das Bike auf über 170 Stundenkilometer zu beschleunigen. Unterstrichen wurde das Chopperfeeling durch den eigenwilligen Motorlauf des Dreizylindertriebwerkes und dem satten Ton aus den beiden Endrohren.




Der Chopper kostete 8195 Mark und blieb technisch und preislich bis 1981 unverändert im Yamaha Programm.

 


XS 850 bis `82 im Yamaha Programm



Unter den Tourenfahrern hat sich die XS 850 inzwischen fest etabliert. Ohne technische und preisliche Änderungen bleibt sie `81 und `82 im Yamaha Programm. Nachdem die anfänglichen Schwachstellen bei den XS 750 ausgemerzt waren, hat das Kardanbike einen ausgesprochen zuverlässigen Ruf erworben. Sie hat zwar nie irgendwelche Weltrekorde oder Langstreckenrennen gewonnen, dafür aber ihre Besitzer bis an das Ende der Welt getragen. Laufleistung von weit über 100.000 Kilometern waren mit der XS keine Seltenheit. Unauffällig, ohne Pseudosportlichkeit oder Machoimage, ist die XS 750/ 850 ein puristisches Motorrad, das auch heute noch viel Fahrspaß bereiten kann. Alle gängigen Ersatzteile sind erhältlich. Gebrauchte XS 750/XS 750 SE kosten zwischen 1.5000 und 3.500 Euro, die XS 850 steht mit 1.500 bis 4.000 Euro etwas höher im Wiederverkaufswert. Wer sorgfältig sucht, kann recht preiswert ein solides gebrauchtes Motorrad erwerben.

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