Portrait


MC Höringhausen
1. Internationales Choppertreffen 1981

"Die Nacht der langen Gabeln"

Der Motorradclub Höringhausen rief, und zum ersten Treffen
aller Chopperfahrer reisten 3500 Typen mit ihren Bikes an.

Text: Karin Storch
Fotos: Winni Scheibe, Wolfgang Fromm, Jochen Göbel/MC-Höringhausen Archiv



Als alles vorbei war, wälzten sie sich im Schlamm. Die Freiwillige Feuerwehr spritzte die Mitglieder des Motorradclubs Höringhausen ab. Die waren ausgelassen froh, weil ihr Fest problemlos über die Bühne gegangen war.
Es war das "I. Internationale Choppertreffen" in der Bundesrepublik. Über 3.500 Motorradfans, vom Stuttgarter BMW-Club bis zu den "Hell Drivers"-Rockern aus Künzelsau, hatten den Waldecker Ort in der Nähe von Kassel angesteuert. Der Fahrer mit der weitesten Anfahrt, aus England, entpuppte sich allerdings nachträglich als Urlauber vom Edersee. Doch da hatte er sich mit dem Pokal schon lange aus dem Staub gemacht.



Nabel der Welt:
1. Internationales Choppertreffen 1981 in Höringhausen


Der MC Lüdenscheid erhielt einen Pokal, weil er mit 56 Maschinen angebraust kam. Fünf Mitglieder von den "Blue Angels Kiel" kamen aus Kostengründen im Auto, und es war ihnen auch rich­tig peinlich.  Die Sanitäter hatten sich Tag und Nacht neben dem 850 Quadratmeter umfassen­den Festzelt mit der mächtig langen, stabilen Holztheke aufgehalten. Sie mussten nicht öfter zupacken als bei jeder Kirmes auch. "Nur Pappbecher ausgeben", lautete eines der Erfolgsrezepte der Höringhausener.



Voll "In": Kutten-Kult


"Wochenend-Rocker-Lady": Birgit S. aus Stuttgart


no Zoff, no Streit.
Die beiden Biker diskutieren lediglich über eine stilechte "Haarpracht"


An einem Abend spielte die Beatgruppe "Stoned". Am anderen rockte die Band "Meilenstein", bis einer dem Vergnügen durch Herausziehen des Hauptkabels schon um 23 Uhr ein unsportliches Ende bereitete.
Die Prämierung der schönsten Chopper nach Kubik und Sonderrahmen ging im Getümmel unter. Der Motorradclub von Höringhausen tönte dennoch: "Wir machen das alles nochmal". Der MC hält sich im 1300 Seelen­Ort schon seit zehn Jahren. Die 28 Mitglieder haben sich ehrgeizige Ziele gesteckt: "Was der ADAC für die Au­tofahrer ist, das möchten wir einmal für die Motorradfahrer sein", sagt Jupp Göbel, von Beruf Stukkateur und seit kurzem der erste Vorsitzende.



Sein Bruder Jochen, dessen Irokesen-Haarschnitt bisher noch vom Schmiss auf der Wange ablenkte, hatte rechtzeitig zum Choppertreffen die übrigen Schädelpartien aufgeforstet. Die ehrenwerten, stark auf die 30 zugehenden Herren haben ursprünglich als "Nachwuchsrocker" begonnen. Übrig geblieben aus den Sturm­ und Drangjahren sind außer den Motorrädern die ausgefransten Clubjacken mit den "Patches", den aufgenähten Souvenirs von Rallys, und die "Colors". Ihr Club-Emblem zeigte einen nackten Kerl, der stürmisch einen Motorradrahmen darstellt. "Wenn wir mit unseren Jacken nicht in eine Gaststätte gelassen werden", so Gespannfahrer Jupp treuherzig, "dann ziehen wir sie halt aus."
Dass die jungen Wilden am Anfang, wann immer sie in Gaststätten und Dicos auftauchten, auffielen und aneckten, gab den Ausschlag für den Wunsch nach einem eigenen Heim. Vier 250er BMW R26 und eine 350er Horex Regina war damals der ganze Stolz des Clubs. Ein ehemaliger Geräteschuppen wurde zur ersten Bleibe. Heute gehen manchem Motorrad-Enthusiasten die Augen über vor dem zweigiebeligen Prachtbau und angesichts der davor parkenden Trikes, Harley-Davidsons, Enduros, Beiwagen­Maschinen und Big Bikes.


Problemlöser: ein Feuer

MC Höringhausen um 1974
Erinnerungen an die alte Hütte um 1974
(Foto: Jochen Göbel)


Der Weg zum Wohlstand war kurvenreich. Norbert hatte seinen Vater überredet, dem Club für 20 Mark jährlich einen leeren Geräteschuppen zu überlassen. Das war Ende 1971, Nach wochenlanger Feierabend-Arbeit wurde daraus ein gemütliches Heim, in dem Grog und Glühwein anfangs Strom und Heizung ersetzten.
Nachdem die Wände isoliert, der Boden und die Decke erneuert, kurz alles wunderbar hergerichtet war, erstatteten Neider Anzeige bei der Baubehörde. Die befahl den Abriss. Die Hütte stand nicht im Baugebiet und es fehlte eine Baugenehmigung. Das Problem löste sich am 10. Dezember 1977 von selbst. Da brannte morgens um 2.30 Uhr "das Clubhaus aus nicht geklärter Ursache ab, wobei ein Sachschaden von 20.000 Mark entstand", so meldete es knapp die lokale Presse.
"Egal, wir haben uns nicht unterkriegen lassen", stellt Schmatzeck fest, jahrelang der Präsident des Clubs. Horst Willi Brand, wie er bürgerlich heißt: "Nach langem Suchen hat uns die Gemeinde ein Stück Land zur Verfügung gestellt, auf dem wir ein neues Clubhaus bauen konnten."



Das neue Clubheim im Rohbau um 1979
(Foto: Wolfgang Fromm)


Der Erbpachtvertrag gilt 33 Jahre für das Grundstück am Ortsausgang zwischen Friedhof und Festwiese. Von der Statik bis zur Bauausführung konnten die Clubmitglieder fast alles selber machen. Vor Baubeginn hatte jeder 200 Mark Kapital eingebracht und leistete wöchentlich drei Arbeitsstunden. Herbert, Trike- und Harley-Fahrer: "Wer sie versäumte, hatte pro Stunde zehn Mark in die Clubkasse zu zahlen."
Wer nun vor dem schmucken Haus mit dem vornehmen Türschild "Nur für Clubmitglieder" steht, dem fehlen, so scheint es auf den ersten Blick, eigentlich nur noch die Aufkleber großer Kreditkarten-Organisationen.



Choppertreffen Teilnehmer Lixi L., Wolfgang F., Birgit S.


Im Keller befindet sich die Motorrad-Werkstatt mit eigener Zufahrt. Der gemütliche Schankraum im Erdgeschoß mit dem offenen Kamin bietet mehreren Club- Generationen Platz. An der gekachelten Theke vor der gut sortierten Bar hat ein Weiser ein Festhalte-Tau angebracht. Dahinter: Die Durchreiche zur Küche, in der Motorrad-Bräute nicht originell, aber preiswert, panierte Schnitzel mit Pommes Frites zubereiten.
Auf dem schwarzen Brett im Flur kann jeder nachlesen, zu welchen Arbeiten er dienstverpflichtet ist: Da will die Toiletten-Anlage ebenso sauber gehalten werden wie der Billardraum. In ihm hat Jupp eine meisterverdächtige Stuck-Decke eingezogen, die zu den schweren moosgrünen Vorhängen passt. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Mitglieder während der Bauzeit noch zum Motorradfahren kamen. Die eigenen Veranstaltungen, Clubmeisterschaften, Geschicklichkeitsparcours mussten zurückstehen. In unheimlicher Maloche schuftete jeder im Schnitt 300 Arbeitsstunden.
Eine Wendeltreppe führt unters Dach: Zehn holzgerahmte Matratzen versprechen dem trunkenen Motorrad-Wanderer seelige Ruhe und ein Ausschlafen des Rausches. In abschließbaren Spinds lassen sich  vorher noch Zündschlüssel und Papiere verstauen.



Gitte und Bernd vom MC-Höringhausen







Dreirad-Rallye Organisatorin Elvi Plattner (Bild Mitte)


O
rtsvorsteher Eich Dreyer: "Wir haben alle unser Lob ausgesprochen, weil hier junge Leute etwas geschaffen haben, denen sonst viel Negatives nachgesagt wird." Der Lokalpolitiker machte sich auch für die behördlichen Genehmigungen des Choppertreffens stark. Schließlich fuhr er früher selber Motorrad.
Auf dem Kirmesplatz durfte das Festzelt errichtet werden. Wiesen wurden freigegeben zum Campen. Im Bürger-Gemeinschaftshaus konnte die Chopper-Ausstellung stattfinden. Rund 23.000 Mark hat der Club in die monatelangen Vorbereitungen gesteckt. Kassenwart Erich Schütz war es wochenlang flau im Magen. Doch schon am zweiten Tag kam das Geld wieder rein: Durch 3.500 verkaufte Eintrittskarten, Patches, eigenen Schnaps Marke "Rohrfrei", ein Spezialgebräu aus der Schnapsbrennerei Kirchner&Menge, Würstchen und hin und wieder Mal einen Becher Bier.


Kann ein Autostau je so schön sein?

 


Vom Sportplatz aus ging's los zur 30 Kilometer-Rundfahrt durch das Waldecker Land. 293 Motorradfahrer stellten sich auf. Der Landrat hatte verfügt: "Je 30 Maschinen sollten im Abstand von sechs Minuten starten". Doch das nahm selbst die Polizei nicht ernst. "Kann ein Autostau je so schön sein", kommentierte Gaby Wendt, Kindergärtnerin aus Wiesbaden, begeistert das Ergebnis. Sie war mit ihrer weißen Honda zum ersten Male zu einer Rally gefahren. 
Am darauffolgenden Wochenende konnte sie prompt einen Pokal für die zweitweiteste Anreise zum Mädchen-Motorradfahrerinnen-Treffen in Innsbruck mit nach Hause nehmen.


MC-Höringhausen

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