Portrait


Münch-URS

"David gegen Goliath"

Helmut Faths URS-Gespann ging 1968 in die WM-Geschichte ein.
Etwas im Schatten stand die Solo-Rennmaschine. Aber auch die
Münch-URS hatte das Zeug, um in der 500er WM ganz vorne
mitmischen zu können. Aber leider nur "hatte". Lediglich zwei
Jahre lang existierte der Münch-URS-Rennstall.
Ende 1971 wurde er dichtgemacht und das Material
verschwand für gut 30 Jahre in der "Versenkung".

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Frohnmeyer, Archiv-Münch, Heuser



Münch-URS 500er GP-Rennmaschine nach Restauration von Helmut Sing


GP-Salzburg 1970:
Meister Fath mit den URS-Solo-Rennfahrern
Karl Hoppe und Ferdi Kaczor
(Foto: Archiv-Münch)


Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre teilte sich die Motorradwelt noch in zwei Lager. Die eine Fraktion schwor Stein und Bein auf Zweitakter, für den anderen Flügel gab es dagegen nur Viertakter. Diese Einstellung galt fürs Motorradfahren im Alltag, aber auch im Rennsport. Die Vollgasliga in der Straßenweltmeisterschaft unterteilte sich damals in fünf Solo-Klassen und in die Gespann-Klasse. In der 50er, 125er und 250er Kategorie vertrauten Werke und Privatiers auf Zweitakt-Rennmaschinen, in der 350er und 500er Klasse sorgten kernige Viertakter für Ohrenschmaus. Allen vorweg die italienische Nobelmarke MV Agusta mit ihrem Ausnahmetalent Giacomo Agostini. Seit sich Honda Ende 1967 aus dem GP-Sport zurückgezogen hatte, brauchten die Italiener keinen Gegner mehr zu fürchten. Die Kombination MV und "Ago Nazionale" war im Prinzip unschlagbar. Kaum woanders traf das Zitat: "Kam, sah und siegte" treffender zu. Das war schön für das MV Agusta-Werk, toll für den GP-Star Giacomo Agostini und Balsam für den italienischen Nationalstolz. Für die Konkurrenz dagegen war es frustrierend. Und sogar viele Rennfans, selbst treue MV und Ago-Anhänger, wünschten sich nichts sehnlicher, als endlich einen Fahrer, der Ago und MV Paroli bieten konnte.
Einer von den eingeschworenen MV-Fans war Helmut Sing: "Höhepunkt in unserer damaligen Motorradsaison war die Fahrt zum Großen Preis von Deutschland. Ich kann mich noch sehr gut an den WM-Lauf am 11. Mai 1969 in Hockenheim erinnern. Der Sound der ungedämpften Rennmaschinen klingt mir noch heute in den Ohren, es herrschte eine einzigartige Atmosphäre."
Und das zu Recht. Über 100.000 Zuschauer feuerten begeistert die Deutschen GP-Fahrer an. In der 50-ccm-Klasse landete Winfried Reinhard auf dem vierten Platz, bei den 125ern erreichte Dieter Braun den zweiten Platz und drehte auch noch die schnellste Runde, in der Viertelliter-Klasse kam Lothar John auf den zweiten und Klaus Huber auf den dritten Platz. Ein Ergebnis, von dem man heute nur träumen kann. Zur Sensation wurde jedoch das Rennen in der Königsklasse. Hinter dem ständigen "Start-Ziel-Sieger" Giacomo Agostini auf seiner schier unschlagbaren MV kam der 46-jährige Haudegen Karl Hoppe mit der URS-Métisse als zweiter ins Ziel.

Es dauerte dann auch nicht lange, bis Fachleute und Experten von einem neuen Zeitalter in der 500er Klasse sprachen. Der URS-Motor, mit dem Helmut Fath 1968 Gespann-Weltmeister geworden war, hatte sichtlich das Potenzial, um die MV Agusta schlagen zu können. Es wurde diskutiert und spekuliert, die 500er-Königsklasse war endlich wieder spannend geworden.
"Für uns damals junge Rennsportfans war die MV Agusta ein Traummotorrad", verrät Helmut Sing. "Doch als ich die URS-Métisse beim WM-Lauf in Hockenheim miterlebte, aber vor allem gehört hatte, wusste ich, dass es noch eine Steigerung gibt. Was haben wir damals von diesem Motorrad geschwärmt, alles was wir von der URS-Métisse in Erfahrung bringen konnten, haben wir regelrecht verschlungen."


Der URS-Motor lag als "Schrott" auf einem offenen Anhänger.
"Nur ein völliger Idiot oder vernarrter Optimist hätte für diesen Schrott auch nur eine müde Mark ausgegeben,"
beschreibt Helmut Sing die damalige Situation. 



Münch-URS von Karl Hoppe 1970 in Assen
(Foto: Horst Heuser)


Nun sollte es bei der Träumerei aber nicht bleiben. 1972 kaufte Helmut Sing die brandneue MV Agusta 750 S. Dieses italienische Supersportmotorrad, das sich immer noch im absoluten Originalzustand befindet, besitzt er noch heute. Das Unvorstellbare passierte jedoch im Sommer 1992. Aus dem Kreis der Oldtimer-Szene erfuhr er, dass John Blanchard, der ehemalige Münch-URS Rennleiter, einen URS-Motor zum Verkauf anbot. Was sich zunächst wie ein modernes Märchen anhörte, entpuppte sich bei der Begutachtung vor Ort tatsächlich als der legendäre DOHC-Rennmotor. Doch von einem kompletten Triebwerk konnte längst keine Rede sein. Aber noch viel schlimmer. Der Motor lag "in tausend Teile" zerlegt in Kistchen und Kästen verstreut auf einem offenen Anhänger. Das Motorgehäuse aus Elektron-Guss war stark oxidiert, alle Stahl-Teile waren verrostet, zwei Brennräume durch abgerissene Ventile total demoliert und von den vier Keihin-Rennvergasern und der Auspuffanlage war weit und breit nichts zu sehen, es war das reinste Chaos.
"Nur ein völliger Idiot oder vernarrter Optimist hätte für diesen Schrott auch nur eine müde Mark ausgegeben," beschreibt Helmut Sing die damalige Situation. Er musste über den üppigen Kaufpreis zunächst auch erst zweimal schlucken, packte die Sachen aber dann guten Mutes doch zusammen und nahm sie mit nach Hause. Ebenfalls von John Blanchard erfuhr der Niedersachse, wo der Métisse-Rahmen, mit dem Karl Hoppe in der Deutschen Meisterschaft und in der WM gefahren war, stand. Ohne lange zu überlegen wurde das ebenfalls stark lädierte Fahrgestell an Land gezogen. Denn nur mit dem original Rickman-Métisse-Chassis machte die geplante Restauration der Solo-URS überhaupt einen Sinn.






                Gut 10 Jahre restaurierte Helmut Sing die Münch-URS

Nach dem Säubern und Glasperlstrahlen der Motor-Teile offenbarte sich für den neuen URS-Eigner eine weitere Ernüchterung: "Eigentlich gab es kein Teil, das sich, so wie es nun auf der Werkbank in meiner Werkstatt lag, verwenden ließ."
Nur eins der sündhaft teuren Titan-Pleuel war als Rohling mit dabei, es diente als Muster für die Nachfertigung von vier neuen Pleueln. Da an die damals von URS-Konstrukteur Peter Kuhn verwendeten Spezial-Nadellager für die Pleuellagerung nicht mehr heranzukommen war, musste Helmut Sing auf Normlager mit 24 mm Innendurchmesser zurückgreifen. Das bedeutete aber gleichzeitig, dass die Kurbelwellenhubzapfen auf das neue Maß geändert werden mussten. Da aber die beiden Kurbelwellen sowieso nach einer kompletten Überholung verlangten, wurde diese Änderung in einem Aufwasch gleich miterledigt. Voraussetzung für die Kurbelwellen-Instandsetzung war es jedoch, dass hierfür zunächst Fertigungsvorrichtungen gebaut werden mussten. Auch mit den Nockenwellen war in ihrem Zustand nichts mehr anzufangen. Im Spezial-Betrieb von Günther Knuppertz wurden die Wellen plasma-nitriert und mit Hilfe selbst gefertigter Meisternocken neu geschliffen. Großes handwerkliches Geschick verlangte die Wiederherstellung des zertrümmerten Zylinderkopfes. Nach erfolgreicher Schweißarbeit ließen sich die Brennräume auf einem CNC-Bearbeitungszentrum neu ausfahren.
Schon kurz nach Beginn der Restauration hatte der URS-Fan mit Helmut Fath und Horst Owesle Kontakt aufgenommen. Ohne die Tipps der damaligen URS-Bauer wäre das Projekt nie und nimmer in die Gänge gekommen. Die Hilfestellungen ließen sich leider nur noch kurz nutzen. Am 19. Juni 1993 verstarb Helmut Fath und am 5. August 1994 Horst Owesle. Auf die Idee, Prof. Dr.-Ing. Peter Kuhn, der immer noch alle Konstruktionszeichnungen besitzt sowie sämtliche technischen Daten wie früher im Kopf hat, zu fragen, war Helmut Sing einfach nicht gekommen. Für den weiteren Aufbau der URS-Métisse stützte sich Sing auf die Informationen von John Blanchard, sowie den wenigen Veröffentlichungen in damaligen Motorradzeitungen und der Schnittzeichnung des URS-Motors.



(Fotos: Archiv-Münch)


Gewerkelt wurde vorrangig in der topp-ausgestatteten Werkstatt vom Oldtimer-Spezialisten Jürgen Wiehage. Es gab kaum etwas, was die beiden Freunde hier nicht selbst überarbeiten oder gar neu herstellen konnten. Allein zum Nachbau der Auspuffanlage baute Jürgen Wiehage eine Fertigungsvorrichtung zum Biegen der unbedingt gleich langen Rohre. Ein Spaß, der nicht Stunden, sonder tagelange Arbeit in Anspruch nahm.
Immer wieder stand man vor neuen Problemen. Beim Einbau der Kurbelwellen stellte sich zum Beispiel heraus, dass die Lagerträger nicht in einer Flucht lagen, sie differierten um einige 1/100 mm. Für die Perfektionisten ein nicht hinnehmbarer Zustand. Das Magnesium-Motorgehäuse wurde auf einem Bohrwerk mit Übermaß neu ausgespindelt. "Zu jeder Schraube, jedem Zahnrad oder jedem Ventil und Kolben könnte ich eine Geschichte erzählen oder ein Fachbuch schreiben," verrät der versierte Restaurator Sing mit einem verschmitzten Grinsen.
Auch beim Herrichten des Fahrwerkes war es mit einfach abschleifen und neu lackieren nicht getan. Die fehlende Magnesium-Vorderradnabe mit Aufnahmen für die beiden Scheibenbremsen ließ sich mit viel Glück in England auftreiben. Tank, Verkleidung und viele Kleinteile mussten nachgebaut werden. Ähnlich wie beim Motor wurde es auch hier zum geduldigen Puzzlespiel alle fehlenden Teile aus England oder aus Deutschland herbeizuschaffen.













Sommer 2002: Roll-Out in Oschersleben
(Foto: Frohnmeyer)

 

Gut 10 Jahre zog sich die Arbeit hin. Anfang 2002 lief der Motor zum ersten Mal für Vergaser-Einstellarbeiten auf dem Prüfstand der Firma Topham. Im Sommer erfolgte das Roll-Out in Oschersleben und beim Schottenring Classic-Grand-Prix am 17.-18. August ließ Helmut Sing den damaligen Münch-URS-Team Manager und Ex-Rennfahrer John Blanchard das inzwischen top-restaurierte Motorrad in der Parade historischer Rennmaschinen fahren. Es war fast wie früher. Jim Redman und Dieter Braun saßen auf 500er MV Agusta Rennmaschinen, dazwischen John Blanchard mit der einzigartigen Vierzylinder-URS. Die einstigen GP-Stars ließen es richtig krachen, dazu der Sound aus den offenen Megaphon-Auspuffrohren. Wer das Spektakel in Schotten miterleben durfte, erinnerte sich an die Heldentage von Giacomo Agostini und Karl Hoppe. Wer diese Zeit nicht kennt, bekam dafür eine Vorstellung geboten, wie es damals abging.
Für Helmut Sing war mit diesem Auftritt ein Traum in Erfüllung gegangen. Alle Mühen waren vergessen, seine URS lief wie ein Uhrwerk. Eine der außergewöhnlichsten GP-Motoren war auf die Rennstrecke zurück gekehrt. Die Legende lebt!


Schottenring Classic-Grand-Prix am 17.-18. August 2002:
John Blanchard auf der Münch-URS

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