Praxis


"Der siebte Sinn"


Motoren brummen, der Asphalt glüht. Außenstehende
glauben an Wunder, Schutzengel schieben Überstunden. 
Auf der Gass´ ist die Hölle los. Bike-Time ist angesagt!

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, BMW




Motorradfahren ist gefährlich. Keine Frage. Spätestens jetzt, wo die Saison wieder losgeht, erfährt es jeder. Oma, Opa, Onkel, Tante, Freund und Freundin. Boulevardblätter und Nachrichten sind voll damit. Sie berichten über Stürze, Unfälle, Verletzte und Tote. Jedes Frühjahr die gleichen Schlagzeilen im Blätterwald. Dass vielfach aber ein Autofahrer den Biker übersehen hat und es daher gekracht hat, steht meist kleingedruckt ganz hinten. Doch das stört niemanden. Nur die Sensation zählt!

Dabei sind andere Dinge auch gefährlich. Zum Beispiel Brötchen holen, Fahrradfahren, Fußballspielen, Bergsteigen, Drachenfliegen, Hausarbeit und natürlich Rauchen. Und weil gerade dieses Vergnügen so gefährlich ist, muss es auf jeder Packung draufstehen. Verkauft wird dadurch keine Schachtel weniger und als reißerische Schlagzeile zieht diese Nummer schon lange nicht mehr.

Das Motorradgeschäft boomt. Trotz oder gerade wegen der großen Gefahr? Sind die Biker denn tatsächlich alle lebensmüde? Wohl kaum. Motorradfahren macht nämlich riesigen Spaß, hält fit und vermittelt Lebensqualität. Richtig gemacht ist es eine wunderschöne Sportart. "Alte Hasen" wissen das längst. Durchs Hobby sind sie jung geblieben, haben unvergessene Stunden erlebt, haben aller Herren Länder gesehen, viele Freundschaften geschlossen, sind toleranter und weltoffener geworden. Bis es jedoch so weit war, hat man vieles ausprobiert, sammelte Erfahrungen und bezahlte natürlich auch sein Lehrgeld. Das ist überall so und beim Hobby Motorrad nicht anders.

Neu-Aufsteiger haben alles noch vor sich. Sie können mit Ratschlägen und Tipps gut was anfangen. Für sie sind diese sieben Regeln zusammengepackt worden.


1. "Der Check"

Das Studieren der Betriebsanleitung sollte eigentlich zur Pflichtlektion gehören. Wie was und wo funktioniert, kann im entscheidenden Moment enorm wichtig sein. Hierzu gehört aber nicht nur zu wissen, wie sich der Benzinhahn auf „Reserve" drehen lässt, aus der Lektüre erfährt man, wie viel bar in die Reifen gehören und dass der Luftdruck regelmäßig kontrolliert werden sollte. Das Gleiche gilt fürs Reifenprofil. Abgefahrene Gummiwalzen gefährden Betriebs- und Fahrsicherheit. Wer mit arschglatten Sohlen von der Polizei erwischt wird, bezahlt außerdem ein saftiges Bußgeld und erhält Punkte in Flensburg. Geld sparen lässt sich dagegen mit regelmäßiger Kettenpflege. Ist das Gliederwerk immer gut geschmiert und richtig gespannt, kann die Antriebskette 12000 km halten. Wichtig für die Sicherheit ist eine intakte Beleuchtungsanlage. Ist eine Glühlampe kaputt, muss sie umgehend erneuert werden. Für das Wohlbefinden des Triebwerkes sorgt frisches und genügend Motoröl und inzwischen bei vielen Modellen ausreichend Kühlwasser.

Natürlich sind längst nicht alle Biker gleichzeitig Kfz-Mechaniker, etliche Handgriffe lassen sich jedoch per "do it yourself" aneignen. Selbst schrauben spart Geld, beim Werkeln lernt man sein Bike viel besser kennen. Bei Unregelmäßigkeiten an der Bremsanlage muss man dagegen sofort eine Fachwerkstatt aufsuchen. An die Stopper dürfen nämlich nur Experten!


2. "Das Equipment"


Wer die Wahl hat, hat die Qual. Noch nie war das Bekleidungssortiment so groß. Doch ganz gleich, ob ein- oder zweiteilige Lederkombi oder Textilfahreranzug, wichtig ist, man fühlt sich wohl. Sachen, die zu eng sitzen oder kneifen, können schnell das Motorradfahren verleiden. Etwas "Luft" unter der Kombi kann nie schaden. Schließlich gibt es bei uns genügend kalte Tage und dann ist man froh, wenn sich etwas Wärmendes unterziehen lässt. Ist der Anzug nicht wasserdicht, braucht man natürlich auch noch eine Regenkombi und die sollte selbstverständlich auch nicht zu eng sein. "Windgesichter" wissen sofort, was gemeint ist, eine enge „Wurstpelle" bekommt man nämlich ganz schlecht übergezogen. Regenüberziehhandschuhe  und -stiefel gehören eigentlich bei jeder Fahrt mit ins Gepäck und für längere Touren sollte man ein Paar Ersatz-Handschuhe mitnehmen.
Und wofür das Alles? Ganz einfach, damit man sicher aufgehoben ist und sich natürlich pudelwohl fühlt. Bei großer Hitze sollte man nicht unnötig schwitzen, bei Kälte nicht frieren und wenn es regnet, nicht nass werden. Steifgefrorene Hände und triefnasse Füße vermindern das Reaktionsvermögen, bibbert man am ganzen Körper, sind Unfälle oft bereits vorprogrammiert.

Und dann braucht man noch den richtigen Durchblick. Verschrammte Visiere gehören in den Sondermüll, verschmutzte Visiere müssen sorgfältig gesäubert werden. Erst mit Spülmittel einweichen und dann behutsam mit einem Schwamm abwaschen. Wer barsch zur Sache geht, verkratzt die Oberfläche.

    


3. "Aerobic"

Motorradfahren ist Sport. Für manche mehr, für andere weniger. Wer die Sache ernst nimmt, bereitet sich entsprechend vor. Waldläufe, Fahrradfahren, Gymnastik und Schwimmen sind ideale Fitnesskuren fürs Biken.


4. "Training"

Übung macht den Meister. Da aber bekanntlich noch kein Champion vom Himmel gefallen ist, kann Üben eigentlich nie schaden. Und weil die meisten Biker Saison-Aktivisten sind, sollte der Start ins Frühjahr mit den sogenannten Grundfahrübungen losgehen. Am besten auf einer großen, leeren Parkfläche oder auf einem Verkehrsübungsplatz.
Zuerst werden Kurven geübt, es werden "Achten" und "Slalom" gefahren. Dabei sind zwei Dinge ganz wichtig. Zunächst die richtige Blickführung trainieren: "Fahrtrichtung gleich Blickrichtung"! Oder anders ausgedrückt, man darf nie direkt vors Vorderrad schauen, sondern immer weit voraus gucken, dahin, wohin man eigentlich hinfahren will.


Übung macht den Meister
(Foto: BMW)

Blickführung


Soll das Motorrad eine Kurve fahren, muss man den Lenker entgegengesetzt drücken. "Lenkimpulsgebung" heißt das und bedeutet: Rechts fahren, am rechten Lenkerende drücken - links fahren, am linken Lenkerende drücken. Schon nach relativ kurzer Fahrpraxis geht diese Eigenart in "Fleisch und Blut" über. Trotzdem, man muss diese Technik beherrschen und zwar immer dann, wenn plötzlich ein Hindernis auftaucht und es umfahren werden muss. Das kann ein Kind sein, das unverhofft auf die Straße rennt, ein Autofahrer, der rückwärts aus einer Einfahrt herauskommt oder ein Gegenstand, der auf der Fahrbahn liegt. Mit dieser Lenkimpulsgebung lässt sich das Ausweichen trainieren, problemlos Slalomfahren, aber auch bewusst das Ansteuern von Kurven üben.
Danach wird Bremsen geübt. Abgesehen von Maschinen mit ABS oder Integralbremssystem, übernimmt bei allen anderen Maschinen die Vorderradbremse die Hauptaufgabe. Und darum sollte man das Bremsen ausschließlich mit dem Vorderstopper üben.


Warum, ist schnell erklärt. Bei einer Gefahrenbremsung ist es unmöglich, gleichzeitig Vorder- und Hinterradbremse so zu dosieren, dass beide Räder optimal bremsen, also nicht blockieren. Das Gegenteil ist der Fall. In Panik tritt man hinten voll drauf, das Hinterrad blockiert und als Folge bricht das Fahrzeugheck aus. Zum Gegenlenken muss man die Vorradbremse lösen, der lebenswichtige Bremsweg wird so verschenkt.
Also wird sich von vornherein auf die Handbremse konzentriert. Hat man sich aus Tempo 50 bis 60 km/h an die Blockiergrenze herangetastet, muss immer wieder das Lösen der Bremse geübt werden. Dieser Reflex muss so weit perfektioniert werden, dass er ganz automatisch erfolgt. Ein blockierendes Vorderrad führt nämlich fast immer zum Sturz. Die Kunst einer effektiven Bremsung ist es, das Vorderrad zum "Wimmern" zu bekommen, dabei aber nie die Blockiergrenze zu erreichen und das schafft man eben nur mit Üben und nochmal Üben.
Wer Blickführung, Lenkimpulsgebung, Ausweichen, Slalomfahren und Bremsen trainiert hat, startet mit Garantie sicherer und lockerer in die neue Saison.


5. "On the Road again"

Motorradfahrer müssen immer für andere mitdenken. Denn sehen und gesehen werden, ist längst nicht das Gleiche. Den PKW, der gerade aus der Einfahrt lugt oder vor der Kreuzung steht, sieht man als Biker schon von Weitem. Hat der Autofahrer einen aber auch gesehen?, wirklich "wahrgenommen"? Wer mit der Unachtsamkeit anderer rechnet, wird nicht überrascht und kann rechtzeitig reagieren.

Auch das Hinterherfahren ist so eine Sache. Wer als Motorradfahrer sich im "Toten Winkel" eines Autos, Busses oder LKWs "versteckt", braucht sich nicht zu wundern, wenn er vom Fahrer übersehen wird. Beim Hinterherfahren sollte man immer darauf achten, dass man im Innen- oder Außenrückspiegel gesehen wird.

Freie Fahrt, für freie Bürger" ist auch so ein Fall. Wer ohne Rücksicht auf Verluste, auf offener Strecke volles Rohr über Bergkuppen, durch unübersichtliche Kurven, über Kreuzungen, an Parkplatz-Ausfahrten und Einmündungen vorbeidonnert, ist nicht nur mutig, er hofft innig auf seinen Schutzengel. Meist vergeblich. Andere Verkehrsteilnehmer können das Tempo kaum richtig einschätzen. Allein die Tatsache, dass man bei "lächerlichen" 100 Sachen rund 130 Meter bis zum Stillstand braucht, sollte zum Nachdenken anregen. Viel eindrucksvoller ist es aber, man stellt sein Motorrad ab und geht diese 130 Meter zu Fuß, eine verdammt weite Strecke.

Sehen und reagieren gehört für Biker zur Pflichtübung. Sehen heißt "Fahrbahnlesen" und reagieren heißt Wahrgenommenes sofort in angepasste Fahrweise umsetzen. Denn die Straße ist längst nicht immer 100prozentig griffig. Sie kann nass, glatt, schmierig, löchrig, mit Rollsplitt übersät, kopfsteinpflastrig, frisch geteert, mit Bitumen geflickt und wer weiß was sonst noch sein. Wer hier langsam und vorsichtig fährt, ist noch lange nicht feige, ein Sturz ist dafür eine Schande!


6. "Team-Work"

Manche fahren gern alleine, andere zu zweit oder in Gruppe. Gehen zwei Biker auf Tour, sollten sie nie im "Gänsemarsch" fahren. Der Hintermann folgt seitlich versetzt, so dass er selbst den Streckenverlauf überblicken kann, der Vordermann sieht ihn im Rückspiegel.
Bei Gruppenfahrt wird im "Formationsflug", seitlich versetzt, über Gasse getourt. Die Spitze übernimmt ein Biker mit Motorraderfahrung. Das Tempo wird so vorgelegt, dass alle sicher folgen können. Am Schluss sollte wieder jemand mit Praxis fahren, um nämlich den Anschluss zu halten, muss hin und wieder ordentlich Gas gegeben werden.


7. "The End"

Kein Mensch kommt als perfekter Motorradfahrer auf die Welt, diese Fähigkeit muss man erst erlernen. Das erreicht man zum einen mit den gefahrenen Kilometern und zum anderen durch die Teilnahme an einem Sicherheitslehrgang. In diesen Kursen vermitteln erfahrene Instruktoren die hohe Kunst des Motorradfahrens. Neben den praktischen Übungen wird allerhand Theorie vermittelt. Ein gewaltiger Stoff und genau darüber hat Prof. Dr. Bernt Spiegel das Buch "Die obere Hälfte des Motorrads" geschrieben. Der Autor, selbst engagierter Motorradfahrer, hat es vortrefflich verstanden, Information, Wissenschaft, Spannung und Unterhaltung miteinander zu verknüpfen. Ein Standardwerk, dass das Prädikat "Wertvoll" verdient und Pflichtlektüre für jeden Biker sein sollte. Das Buch kostet 22 Euro und ist unter ISBN 3-574-27316-9 im Buchhandel erhältlich.



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