Touristik


BMW-Kult in Japan
Boxer-Rally 2000

"In der Höhle des Löwen"


(Foto: BMW-Boxer-Club Japan)

Japanische Produkte sind bei uns längst selbstverständlich.
Was allerdings im "Land der aufgehenden Sonne" in der
Motorrad-Szene abgeht, ist kaum bekannt. Im Sommer 2000
war ich mit einer BMW F650GS im Inselreich unterwegs
und besuchte die Boxer-Rally in der Präfektur Aichi.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Schermer, BMW-Boxer-Club Japan


Das muss man sich erst einmal vorstellen. Die neue BMW R1100S will nach längerem Stillstand in der Garage nicht mehr. Der Anlasser macht nur noch "klick", "klick" - die Batterie hat schlapp gemacht. Der Besitzer bringt den teuren Boxer in die Vertragswerkstatt, entschuldigt sich vielmals beim Händler dafür, dass er die gute BMW kaputt gemacht hat und bittet den Firmenchef höflich sie wieder zu reparieren. Verkehrte Welt? Wohl kaum, in Japan ist zwar nicht alles, aber einiges anders.


Traum-Bike in Japan: BMW R69S


In ihrem Wesen sind Japaner höflich und harmoniebetont. Nein sagen, sich beschweren oder diskutieren ist nicht ihr Ding. Am liebsten würden sie immer mit "Ja" antworten, ganz wichtig für sie ist "ein gutes Gefühl haben". Ist etwas schief gelaufen, sind nicht die Anderen schuld, man entschuldigt sich selber. Erwartungen und Qualitätsansprüche an alle möglichen Produkte sind allerdings sehr hoch. Steht "Made in Germany" drauf, sind sie noch höher.
Viele Japaner meinen sogar, alles, was aus Deutschland kommt, sei erheblich besser als die eigenen Sachen. Über unser Land weiß man sehr viel, man kennt bedeutende Städte, Schlösser, Burgen, Dichter, Denker, Komponisten, Ingenieure und Firmen. Und dazu gehört BMW, BMW verkörpert für sie nämlich ein Stück deutsche Tradition. 


Dass ausgerechnet wir es sind, hat seinen Grund. Vor 1868 war es Ausländern bei Todesstrafe verboten das Land zu betreten, erst danach öffnete sich das Inselreich dem Westen. Im damaligen Deutschen Kaiserreich fand die japanische Monarchie viele Parallelen. Man übernahm kulturelle, wissenschaftliche und technische Errungenschaften, und als Verbündete im Zweiten Weltkrieg wurde der Kontakt weiter ausgeprägt. Japaner verehren und respektieren Deutschland und das ist bis auf den heutigen Tag so geblieben.


(Foto: Schermer)


Mit einer BMW F650GS bin ich unterwegs, möchte Land und Leute und die einheimische BMW-Szene kennen lernen. In Begleitung von Dr. Hans-Jörg Geduhn, Chef von BMW Motorrad Japan, brauche ich mir um den richtigen Weg zum Glück keine Gedanken machen. Schilder lesen, Orientieren, Durchfragen und Zurechtfinden wäre für mich mit immensem Zeitaufwand verbunden. Als "Gaijin" (jap. für Fremder) ist man im Tages- und Verkehrsalltag verloren.

Ganz gleich ob man zum ersten Mal, oder wie ich bereits zum vierten Mal in Japan ist. Man fühlt sich wie ein I-Männchen am ersten Schultag, lesen, schreiben, sprechen und verstehen: Fehlanzeige. Zwar sollte man ein paar Worte wie "konnichi wa" (guten Tag), "sayonara" (auf Wiedersehen), "hai" (ja), "iie" (nein) und vielleicht noch "domo arigato" (vielen Dank) können, weit bringt es einen aber nicht.


(Foto: Schermer)


(Foto: BMW-Boxer-Club Japan)


Welchen Stellenwert "Made in Germany" im Land der "Big-Four" genießt, erlebe ich bei der Boxer-Rally. Das BMW-Oldtimer-Meeting findet diesmal rund 50 km westlich von Hamamatsu bei der Stadt Okazaki in der Präfektur Aichi beim dem romantisch gelegenen Bergrestaurant Kuwaya Sansou statt. Schon die Anfahrt zum Treffen ist ein Erlebnis. Verwinkelte kleine Straßen führen durch eine Landschaft, die an den Schwarzwald erinnert. Nur auf wenigen graden Streckenabschnitten klettert die Tachonadel kurz bis zur 80 km/h-Marke. Aber auch das ist schon viel zu schnell, jedenfalls was  die Polizei erlaubt. Das generelle Tempolimit auf Landstraßen liegt bei 60 km/h, ist aber vielfach auf 50 oder sogar nur auf 40 km/h beschränkt. Nun aber gleich die gute Nachricht: es hält sich keiner dran. Aufmerksam und konzentriert muss man trotzdem fahren, besonders als Ausländer, in Japan herrscht nämlich Linksverkehr.
Zum BMW Klassiker-Jahrestreffen sind über fünfzig Teilnehmer mit picobello restaurierten Schwingenmodellen gekommen. Die meisten Fahrer tragen Wachscotton-Jacken und Cromwell Halbschalenhelme. Sie sind per Achse angerollt, einer von ihnen hat sogar über 400 km Fahrstrecke hinter sich gebracht. Viele Maschinen stehen wie neu da, die besten Exemplare haben einen Wert von 60.000 Mark. Wimpel, Aufkleber und Plaketten zeigen die Liebe zum Detail. Wir reden Benzin, beantworten Fragen über Deutschland und wie man bei uns Motorrad fährt. Sanada Terufumi zeigt uns ein Bild von seinem BMW-Gespann und erzählt, dass in der PS-Ausgabe 5/1978 genau über diese Maschine ein Bericht erschienen ist. Terufumi-san (san jap. Herr) sammelt alles, was er über BMW bekommen kann, nur ausgerechnet diese Zeitung fehlt noch in seinem Archiv.


"BMW-Windgesicht" mit:
Wachscotton-Jacken und Cromwell-Helm 

BMW-Fan:
Sanada Terufumi


Oldtimerfans sind rund um die Welt doch eigentlich alle gleich, geht mir durch den Kopf. Fachkundig, auf "ihre Marke" eingeschworen, kennen und wissen sie alles, reden über ihre Maschine, erklären, wie etwas funktioniert, tauschen Reparaturtipps aus, geben ihre Erfahrungen gerne weiter.


Hans-Jörg Geduhn (links) und Sanada Terufumi (rechts)


Dank meines Dolmetschers Hans-Jörg Geduhn, er spricht fließend japanisch, lässt sich tief in die Zweiradmaterie abtauchen. Einen interessanten Einblick in die japanische Motorradgeschichte erhalte ich vom Initiator der Boxer-Rally Kuninori Zhinguji und erfahre, dass bereits 1908 Torao Yamaba (nicht zu verwechseln mit Yamaha!) einen gewaltigen 500 ccm Einzylinder-Viertakt-Motor an ein Fahrrad gebastelt hatte. Ob es tatsächlich das erste japanische Motorrad war, weiß heute aber so genau keiner mehr. Fest steht nur, genau wie in der westlichen Welt beschäftigten sich um die Jahrhundertwende auch im Nipponland pfiffige Handwerker mit der Herstellung von Motorrädern. Geschlossert wurde in winzigen Werkstätten, von einer Massenproduktion konnte jedoch noch lange keine Rede sein. An dieser Situation sollte sich bis Anfang der fünfziger Jahre nichts ändern.
Bis auf eine Ausnahme: Harley-Davidson erlaubte via Lizenzvertrag den Nachbau der 750er V2-Maschinen. Mit amerikanischem Know-how entstand 1934 in Shinagawa bei Tokio so das erste japanische Motorradwerk mit dem Markennamen "Rikuo". Hauptabnehmer waren Armee und Behörden. Bis 1945 wurden rund 18.000 Harley-Kopien produziert. Die Firma genoss hohes Ansehen, die Maschinen waren haltbar und zuverlässig. Keines der anderen einheimischen Motorräder kam an die Qualität und an die Exklusivität der Rikuo heran. Privatleute, die sich eine bekannte Marken-Maschine aus den USA oder Europa zulegen wollten, mussten tief in die Tasche greifen. Denn die kaiserliche Administration sah Motorfahrzeuge von den "Langnasen" im Inselreich überhaupt nicht gern. Anfang der dreißiger Jahre beschloss das Kabinett ein Gesetz, das den Zolltarif für Import-Motorräder auf 700 Prozent festsetzte.
Nach Kriegsende lag Japan - genau wie Deutschland - in Schutt und Asche, an allen Ecken und Enden wurden preisgünstige Transportfahrzeuge gebraucht. Die zerstörte Industrie, so makaber es klingen mag, wurde Japans wirtschaftliches Glück. Man investierte auf "Teufel komm heraus", überall entstanden neue Fabriken. Allein in der Moped- und Motorradbrache gab es bald weit über hundert Firmchen und Firmen. Die Nachfrage nach diesen "Feuerstühlen" war gewaltig und so blieben Mopeds und Motorräder zunächst im Land, bei der starken Inlandsnachfrage dachte noch niemand ans Exportgeschäft. 




An ein ausländisches Motorrad war dagegen kaum zu denken. Damit die Bevölkerung treu und brav Produkte "Made in Japan" kaufte, hatte die Regierung in Tokio, ähnlich wie bereits in den dreißiger Jahren, ein Wirrwarr von Gesetzen, Verordnungen, Einfuhrzöllen und strengen Devisenbestimmungen erlassen. Diese kaum überwindbaren Importbarrieren waren zum Schutz für die eigene Wirtschaft verhängt worden. Allerdings mit einer Ausnahme: Benötigte ein heimischer Hersteller für "Studienzwecke" dieses oder jenes Modell, entwickelte der Behördenapparat urplötzlich eine erstaunliche Aktivität. Nicht selten übernahm das jeweils zuständige Ministerium sogar einen Teil der Kosten für die Beschaffung des Objektes. Beste Beispiele für diese "Kopien" waren DSK und Marusho. Im eins-zu-eins Maßstab fertigten die beiden Firmen Replikas von BMW 250er Einzylinder- und 500er Boxer-Maschinen.

Für den Import der ausländischen Nobelmarken BMW, Horex, BSA und Triumph war die Firma Yamada Rinseikan bis Ende der 50er Jahre zuständig. Danach übernahm die Balcom Trading als Generalimporteur, die gleichzeitig für Harley-Davidson zuständig waren, das Geschäft. Balcom Trading war von fünf Motorrad verrückten amerikanischen Offizieren gegründet worden, die ursprünglich als Besatzungssoldaten nach Japan gekommen waren. Ähnlich wie auch bei Yamada kamen unter ihrer Regie nur wenige BMWs ins Land. Die strikten Einfuhrbestimmungen erlaubten das Geschäft nur mit ausgewählter Kundschaft und die musste nicht nur viel Geld sondern auch viel Geduld mitbringen. Lieferzeiten von über sechs Monaten waren die Regel, ein Händlerlager gab es nicht. Jährlich kamen so kaum mehr als zwanzig Boxer-BMWs ins Land.
Erst im Oktober 1981 wurde die BMW Japan Corp. in Tokio gegründet und übernahm ab dann die Aktivitäten von Balcom Trading. Seitdem gibt es ein reguläres Motorradgeschäft mit Maschinen- und Ersatzteillagerhaltung und dem dazu gehörigen Service.


Doch zurück zur Boxer-Rally. Ein Großteil der R50, R50S, R60 und R69S Schwingen-Modelle sind erst in den 80er Jahren aus den USA oder Deutschland nach Japan gekommen. Damals, in der Zeit der Bubble Economy, hatten viele Geschäftsleute zum ersten Mal richtig Geld, um sich ihre Jugendträume verwirklichen zu können. Entweder erfolgte der Import durch die BMW-Fans selbst oder über Zhinguuji-san. Der rührige Boxer-Spezialist beschäftigt sich seit 1973 professionell mit den Schwingen- und anderen Modellen aus den Baujahren von 1950 bis 1969. Er hat eine picobello eingerichtete Werkstatt und ein gewaltiges Ersatzteillager, wo es bestimmt sehr viel gibt, wonach man in Deutschland lange suchen muss. Allerdings alles zu gesalzenen japanischen Preisen. Zhinguuji-san ist auch offizieller Händler für die Produkte der mobilen Tradition der BMW AG.
Bei einigen Maschinen zeigt uns der Boxer-Experte, wie penibel in Japan die BMWs restauriert werden. Lackteile sind grundsätzlich lackiert und nicht Kunststoff beschichtet, anstelle von Edelstahlschrauben werden wie früher 8.8 Schrauben verwendet und genau wie damals sind die Kronmuttern mit Splinten gesichert. Kerzenstecker und Abblendlichtschalter sind original Bosch Zubehörteile.
Wieviel Schwingen-Modelle es inzwischen in Japan gibt, kann Zhinguuji-san nicht sagen. Nach seiner Erfahrung mit dem Ersatzteilhandel und durch Kundengespräche sind viele Maschinen überhaupt nicht angemeldet, sie stehen irgendwo in den Garagen oder in Wohnzimmern als Sammlerstücke. Es gibt viele wohlhabende Japaner, die sich ein kleines Motorrad-Privatmuseum zugelegt haben, von dem nur ihre Freunde und Verwandte etwas wissen. Seltene Stücke, wie zum Beispiel die Kompressor-RS sind in ausgezeichnetem Zustand anzutreffen. BMWs werden gehegt und gepflegt. Ganz anders als die BMW Kopien von DSK oder Marusho, diese Maschinen sind fast alle verschrottet worden, und im erlauchten BMW-Boxer Kreis will von diesen Imitationen sowieso keiner etwas wissen.


Neben Zhinguujis Boxer-Shop gibt es noch einige weitere kleine Läden, die sich in den letzten Jahren auf Schwingenmodelle spezialisiert haben. Der dienstälteste BMW-Händler ist allerdings "Tairiku Motors", Inhaber und Werkstattchef Ota-san wird auf weit über 70 Lenze geschätzt. Seit 1959 ist Ota-san BMW-Händler, er kümmert sich inzwischen aber fast nur noch um neuere Modelle. Dafür steht in seinem Schaufenster im Stadtteil Mita in Tokyo das original BMW RS-Gespann von Arsenius Butscher. Kunden mit den Schwingenmodellen sind bei ihm aber auch gut aufgehoben, er kann die alten Modelle mit geschlossenen Augen reparieren.


Winni Scheibe und Zhinguuji-san
(Foto: Schermer)


Bei der Boxer-Rally ging es ruhig und gesittet zu. Wer so etwas allerdings noch nie miterlebt hat, könnte es fast als langweilig empfinden. Aber in Japan ist das so, zur Begrüßung wird sich zig-mal verbeugt, Händeschütteln oder sich aus Freude am Wiedersehen stürmisch umarmen, gibt es nicht, Herzlichkeit etwas anders.
Für die Rally-Teilnehmer war es eine große Ehre, dass der Chef von BMW-Motorrad-Japan und ein deutscher Journalist bei ihrem Treffen waren. Wir mussten Interviews geben, ein TV-Team hat uns gefilmt und sogar einige Boxer-Fahrer wollten Autogramme. Wehe, wir hätten gelacht oder die Sache nicht ernst genommen...
Es war ein langer Tag, tief beeindruckt über das enorme Wissen und die große Begeisterung für die deutschen Maschinen fahren wir über die mautpflichtige und für Motorradfahrer auf 80 km/h (mittlerweile dürfen Motorräder genau wie Autos auch 100 km/h fahren!) beschränkte und nur solo zu befahrende Autobahn zurück nach Tokio. Aber auch hier achtet kaum einer auf das Speedlimit. Immer wieder erleben wir Autofahrer, aber vor allem Biker, die es richtig krachen lassen. Auch kein Wunder, geblitzt wird von vorne und die Polizei drückt eh beide Augen zu.


Sayonara!
(auf Wiedersehen)

 

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