Lockruf der Elche
Wem zu Norwegen nur Elche und Wikinger einfallen, liegt
zwar
nicht
völlig falsch, tut dem vielfältigen Land aber Unrecht.
Mitten im
Sommer kann man auch schon mal in den Winter
kommen.Aber es gibt noch
viel mehr...
Text&Fotos: Ingo Gach
|
Schöne Aussichten: Setesdals Pass mitten
im Sommer
|
Zugegeben,
wir haben sie unbedingt sehen wollen, die Elche. Hier irgendwo in den
riesigen Wäldern Norwegens sollen sie sich rumtreiben. Es gibt kaum
eine Landstraße, an der nicht das Schild steht: Vorsicht, Elche
kreuzen. Wenn man die Tiere sonst nur aus dem Ikea kennt, ist die
Neugier natürlich groß, endlich einem in natura zu begegnen.
Allerdings bekommt unsere Euphorie einen Dämpfer, als uns ein
freundlicher Norweger erzählt, dass so ein Elch zwei Meter
Schulterhöhe erreicht und 800 Kilo wiegt. Falls so ein Vieh plötzlich
auf die Straße trabt, so prophezeit er uns, würden die Motorräder
glatt dran zerschellen. Um es vorweg zu nehmen: Wir haben keinen Elch
getroffen.
|
Eiskalt: Setesdals Fluss
|
Die Fahrt mit der Fähre von Hirtshals in Dänemark nach Kristiansand
dauert gut zweieinhalb Stunden
|
Wer
Norwegen besucht, sollte Zeit mitbringen. Die Entfernungen sind hier
größer, als es auf der Landkarte den Anschein hat. Nicht nur
kilometermäßig, sondern vor allem auch durch nicht enden wollende
Kurvenkombinationen ziehen sich die Etappen in die Länge. Doch Zeit
sollte man sich auch für die überwältigende Panoramen nehmen:
tiefblaue, fast schwarze Fjorde, an deren Ufern steile Felswände bis in
den Himmel zu ragen scheinen. Im Frühsommer suchen sich dazu Tausende
von Wasserfällen überall ihren Weg ins Tal hinab.
Von der nördlichsten Spitze Dänemarks kommend, erreicht die Fähre das
idyllisch in eine Insellandschaft eingebettete Kristiansand. Ein etwas
verschlafener Ort, der aber über Sandstrände verfügt, auf denen sich
im Sommer scharenweise Touristen tummeln. Dank des warmen Golfstroms
erfreut sich Südnorwegen eines angenehmen Klimas.
Wir brechen auf direktem Weg nach Norden auf. Die Strecke durch das
grüne Setesdal steigert die gute Laune noch um etliche Grade.
Ausgedehnte Wälder wechseln sich ab mit klaren Seen, an denen zumeist
ein einzelnes rot gepinseltes Holzhäuschen steht. Der Norweger an sich
liebt die Einsamkeit. Dabei kommt ihm entgegen, dass er das Land – flächenmäßig
etwa so groß wie Deutschland – mit gerade einmal 4,5 Millionen
anderen Mitbürgern teilen muss.
|
Willkommen in Norwegen: Idyllischer
Yachthafen in Kristiansand
|
Tatsächlich
scheinen die Uhren hier anders zu ticken. Es geht ruhiger zu, Stress
kommt hier einfach nicht auf. In den kleinen Dörfern entlang der
Strecke gibt es grundsätzlich mindestens ein "Kafe", wo man
problemlos Kontakte zu den Einheimischen knüpfen kann. Die Norweger
zeichnen sich durch eine freundliche, hilfsbereite Art aus, sind jedoch
nie aufdringlich. Außerdem erweisen sie sich als sehr tolerant: Niemand
wird mit bösen Blicken bedacht oder sogar verscheucht, wenn er mit
verdreckten Motorradklamotten den Raum betritt. Nur in Privathäusern
sollte man tunlichst die Schuhe vorher ausziehen: In Norwegen erwartet
man das von jedem Gast.
Unser Weg, auf dem nur selten
ein anderes Fahrzeug unterwegs ist, führt uns durch schier endlose
Wälder. Entlang des Setesdals steigt die
Strecke langsam an, der Baumbewuchs geht merklich zurück, bis sich
schließlich neben der Straße der Schnee auftürmt. Paradoxerweise
strahlt die Sonne von einem wolkenlosen Himmel und erwärmt die Luft auf
gut 20 Grad. Ein grandioser Ausblick auf weiß leuchtende Gipfel und
einen zugefrorenen See eröffnet sich uns. Spontan stoppen wir die
Motorräder und genießen das Panorama und die Stille.
Auf dem Weg bergab tauchen wir nach einigen Serpentinen erneut in einen
Tunnel ein. Auch das ist typisch für Norwegen: Bevor die Straßenbauingenieure
elend lange Umwege bauen, treiben sie einfach einen Stollen durch den
Berg. Manche der unterirdischen Strecken sind kilometerlang. In
Haukeligrend endet die Straße schließlich an der E134, einer der
wenigen Ost-West-Achsen durch das gebirgige Inland.
Norwegen bedeutet sinngemäß "Weg nach Norden", und passender
könnte man das Land nicht beschreiben. Es zieht sich über fast 1800
Kilometer in Richtung Arktis, ist jedoch verhältnismäßig schmal. Eine
Einwohnerin, die wir unterwegs trafen, beschrieb dies treffend mit dem
Satz: "Wir sind auf dem Weg nach Norden, aber das ist eigentlich
nichts Aufregendes für uns: Wir sind Norweger!"
|
Touristenmagnet: Hansehäuser in Bergen
|
So
haben wir in Richtung der Stadt Bergen den seltenen Zustand, nach Westen
unterwegs zu sein. Das ändert sich aber bereits eine halbe Stunde später,
und wir biegen wieder in nördliche Richtung ab. Die Straße führt am Lätefoss,
einem der schönsten Wasserfälle des Landes, vorbei, und wir erreichen
wenig später den ersten Fjord auf unserer Reise. Von dem Eindruck überwältigt,
verharren wir eine ganze Weile und genießen den Ausblick. Wir können
uns nicht vorstellen, dass es noch größere oder schönere Fjorde geben
könnte. Diese Meinung sollten wir in den nächsten Tagen noch gründlich
revidieren.
Zunächst einmal geht es jedoch auf eine Fähre, ebenfalls eine Premiere
auf unserer Route. Auf jedem Fjord verkehren Pendelschiffe, die in
Norwegen mit der gleichen Selbstverständlichkeit benutzt werden wie
bei uns die Bahn, um zur Arbeit zu gelangen. Es stellt die schnellste
Alternative dar, auf die andere Seite des Ufers zu kommen. Es ist
herrlich, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen, während majestätische
"Fjelle", wie hier die Berge genannt werden, an einem
vorbeiziehen.
Nicht weniger als zwei Meter Regen prasseln in Bergen jedes Jahr pro Quadratmeter
herunter, und sie ist damit die regenreichste Stadt Europas. Uns empfängt
die alte Hansestadt hingegen mit blauem Himmel und 25 Grad. Ein Bummel
durch die Altstadt und die steilen Straßen zur Universität empor zeugt
von pulsierendem Leben und einer ansteckend heiteren Atmosphäre. Vor
allem junge Leute tummeln sich in den Grünanlagen und Straßencafés.
Am Hafen befinden sich immer noch buntgestrichene Holzhäuser aus dem
18. Jahrhundert. Bergen gilt als das kulturelle Zentrum Norwegens. Der
berühmte Komponist Edvard Grieg stammt von hier, und das erste Theater
des Landes wurde hier gegründet.
|
Norwegen gehört zu den reichsten Staaten der Welt
|
Auch
in Bergen bestätigt sich unser Eindruck, dass Norwegen eine
motorradverrückte Nation ist. Die stolzen Besitzer führen ihre Bikes
an der Hafenpromenade vor, darunter viele brandneue Modelle. Wo sie hier
jedoch ihre 170-PS-Bikes ausfahren, bleibt uns ein Rätsel: Auf den
Landstraßen gilt Tempo 80 und Autobahnen, auf denen die Begrenzung bei
100 km/h liegt, gibt es nur im Raum Oslo.
Norwegen gehört zu den reichsten
Staaten der Welt, dank riesiger Ölvorkommen vor der Küste. Das
Pro-Kopf-Einkommen ist sehr hoch, allerdings wirkt sich das für den
unbedarften Touristen erst einmal in schockierend hohen Preisen aus. Auf
alle Waren werden hier 24 Prozent Mehrwertsteuer erhoben! Besonders
Alkohol wird künstlich verteuert: Ein Bier kostet umgerechnet etwa das
Dreifache wie in Deutschland.
|
Norwegens Berühmtheit: Geirangerfjord
|
Zwar
verlassen wir nur ungern diese freundliche Stadt an der Küste, doch
treibt uns die Neugier weiter. Heute steht der berühmte Geirangerfjord
auf dem Programm. Nach zwei Fähren, einigen Dutzend kleinerer Orte und
Tausenden von Kurven erreichen wir den hochgelegenen
Jostedaals-Nationalpark. Selbst im Sommer kann hier noch Schnee liegen
und es empfindlich kühl werden.
|
|
|
Doch
wenige Kilometer später erreichen wir den knapp 1500 Meter hohen
Dalsnibba, der einen sagenhaften Blick auf den Geirangerfjord gestattet.
Türkisgrün schimmert das Wasser zu Füßen der steilen Felswände, von
denen wild schäumende Wasserfälle sich ins Tal stürzen. Mittendrin
liegt ein weißes Kreuzfahrtschiff, das den Weg vom offenen Meer in das
Labyrinth der Fjorde auf sich genommen hat, um hier zu ankern. Es gibt
wahrscheinlich keinen Fjord, der so oft fotografiert worden ist wie der
Geiranger.
|
Wir
beschließen spontan, hier zu übernachten, um am nächsten Tag den
Sonnenaufgang zu erleben. Ein wunderbares Schauspiel an Farben belohnt
das frühe Aufstehen. Wenige Stunden später durchqueren wir ein
schneebedecktes Hochtal, bis wir den Trollstiegen erreichen. Kaum ein
anderer Abstieg in Norwegen kann es an Spektakulärität mit diesen
Serpentinen aufnehmen, die unmittelbar an zwei gewaltigen Wasserfällen
vorbeiführen.
Über das hübsche Örtchen Ändalsness gelangen wir an den Moldefjord.
Erneut setzen wir per Fähre über den breiten Meeresarm hinüber. Über
dem spiegelglatten schwarzen Wasser erheben sich Hunderte von
schneebedeckten Bergspitzen, die sich leicht im Dunst verlieren und
lassen eine geradezu mystische Atmosphäre entstehen.
Die wunderbare Strecke am Meer entlang bietet herrliche Ausblicke und
landestypisch reichlich Kurven. Wir lassen die Motorräder einfach
laufen und genießen.
|
Kurvenparadies: Trollstiegen
|
Trondheim
kann auf eine über tausendjährige Geschichte zurückblicken. Gegründet
unter dem Namen Nidaros von dem Wikingerkönig Olav Trygvasson war sie
drei Jahrhunderte lang Norwegens Hauptstadt. Die gefürchteten Nordmänner
beherrschten von hier aus einen großen Teil Europas und vor ihren
Beutezügen zitterten Könige, Städte und Abteien. Der gewaltige Dom
von Trondheim ist das größte sakrale Bauwerk Skandinaviens und bis
heute werden die norwegischen Könige in ihm gekrönt. Ansonsten
erinnert wenig an die einst glorreiche Zeit der Stadt. Auffallend viele
junge Leute sind unterwegs, da in Trondheim auch eine der wichtigsten
Universitäten des Landes steht.
|
Wir
befinden uns bereits nördlich des 63. Breitengrades, und entsprechend
des kurz bevorstehenden Mittsommernachtsfestes, bleibt es in Trondheim
sehr lange hell. Erst gegen 23 Uhr verschwindet die Sonne für kurze
Zeit hinter dem Horizont.
|
|
Stabkirche in Lillehammer
|
Ab
hier führt uns unser Weg wieder nach Süden. Wir verlassen die Küste
und fahren durch das gebirgige Landesinnere nach Lillehammer. Der
Austragungsort der Olympischen Winter-Spiele von 1994 überrascht als hübscher
Ort, der sich seine Ursprünglichkeit erhalten hat. Viele Holzvillen
blicken von grünen Hängen auf den idyllischen Mjösa-See. Gemütliche
Straßencafés und eine Fußgängerzone laden zum Verweilen ein.
Oberhalb der Ortschaft erhebt sich die eindrucksvolle Sprungschanze. Ein
wunderschönes Freilichtmuseum zeigt, wie in Norwegen im Mittelalter
gebaut wurde. Das älteste Gebäude ist eine Stabkirche aus dem 12.
Jahrhundert, die landestypisch komplett aus Holz gefertigt ist.
|
Bis
Oslo ist es für norwegische Verhältnisse nur ein Katzensprung, doch
die Hauptstadt schockiert uns geradezu. Nach Tagen der Einsamkeit und
Idylle, präsentiert sich die Metropole als riesig und hektisch. Auch
wenn im Zentrum das königliche Schloss mit dem Park als Ruhepol liegt,
bedarf es einer gewissen Zeit, um sich wieder an verstopfte Straßen,
rote Ampeln und verwirrende Verkehrsführungen zu gewöhnen. Erst der
Blick auf den Oslofjord mit den unzähligen weißen Booten und den
bewaldeten Hügeln im Hintergrund machen die Stadt wieder sympathisch.
Ein Kaffee an der Hafenfront ist eine Pflicht für Besucher.
Absolut sehenswert ist das Norsk Folkemuseum, in dem unter anderem auch
drei gut erhaltene Drachenboote der Wikinger zu besichtigen sind. Mit
diesen gerademal 20 Meter langen Wunderwerken der Schiffsbaukunst
trieben die Nordmänner Handel bis nach Russland und ins Mittelmeer,
wagten sich auf den offenen Atlantik, siedelten in Grönland und
entdeckten sogar als erste Europäer Amerika – 500 Jahre vor Kolumbus!
|
|
|
Unsere
letzte Etappe verläuft entlang der Südküste. Auch wenn hier keine
Fjorde auftrumpfen, gefällt die Landschaft durch üppige Wälder, die
bis an die ruhigen Buchten des Skagerraks heranreichen. Kleine, verträumte
Ortschaften wie Arendal und Lillesand locken im Sommer reichlich
Urlauber an die norwegische Riviera. Es erweist sich als ungemein
erholsam, sich eine Weile im weichen Sand auszustrecken. Für uns endet
hier die Reise durch das Land der Fjelle, Fjorde und Fossen. Doch nächstes
Jahr kommen wir wieder. Allein schon wegen der Elche. |
Infokasten
|
Route:
Kristiansand – Haukeligrend – Lätefoss – Odda – Utne –
Hardangerfjord – Bergen – Ytre Oppedal – Sognefjord – Fjorde –
Stryn – Jostedaals-Nationalpark – Geiranger – Trollstiegen –
Andalsness – Molde – Trondheim – Lillehammer – Oslo – Arendal
– Kristiansand
Anreise:
Von Hirtshals an der Nordspitze Dänemarks setzt die Fähre von
Color-Line in zweieinhalb Stunden nach Kristiansand über. In der
Hochsaison sollte vorgebucht werden. Von Kiel aus gibt es die
Möglichkeit, per Fähre nach Oslo zu reisen, es dauert allerdings fast
einen Tag. Wer auf die Schifffahrt verzichten will, muss jedoch den
langwierigen Umweg über Schweden in Kauf nehmen.
Reisezeit:
Auch wenn die Winter in Norwegen lang sind, können die Sommer sehr
heiß sein. Anfang Juni bis Anfang September bietet sich als ideale
Reisezeit an, auch wenn es im Juli ziemlich voll ist.
Fahren:
Norweger lieben es etwas langsamer, deshalb gilt Tempo 80 auf den
Landstraßen. Auf Autobahnen darf zwar 100 km/h gefahren werden, aber
die beschränken sich auf den Großraum Oslo. Wer zu schnell fährt, muss
mit exorbitant teuren Strafmandaten rechnen. In Norwegen herrscht
striktes Alkoholverbot für Kraftfahrer, d. h. 0,0 Promille! Die Straßen
sind durchweg in gutem Zustand, aber besonders entlang der Fjorde
manchmal sehr schmal. Entfernungen ziehen sich durch unzählige Kurven
oft in die Länge.
Unterkunft/Essen:
Norwegen gehört zu den teuersten Ländern Europas. 24 Prozent
Mehrwertsteuer machen das Einkaufen nicht gerade zum Vergnügen. Auch
Hotels langen meist kräftig zu, hingegen liegen Campingplätze auf
normalen Niveau. Die billigste Alternative bietet das sogenannte "Jedermannsrecht".
Dahinter verbirgt sich ein Gesetz, überall in der freien Natur campen
zu dürfen, solange ein Abstand von mindestens 150 Meter bis zum nächsten
Haus eingehalten und kein Abfall hinterlassen wird.
Die Spritpreise liegen
rund 10% über den an deutschen Tankstellen.
Abgesehen von den
Imbissbuden erweist sich das Essen als genießbar, wenn auch nicht als
kulinarischer Höhepunkt. Traditionell wird in Norwegen eher deftig
gekocht. In größeren Städten gibt es reichlich Auswahl an Lokalen mit
internationaler Küche.
Literatur:
"Südnorwegen mit Lofoten" aus dem Reise Know-How-Verlag,
19,90 Euro.
Infos:
www.norway.de
|