Sport


Reinhold Roth 250er Vize-Weltmeister 1987

Ein Bericht aus der MO-Ausgabe 1/1988

TV-Vorschau 250-WM-1988: Martin Wimmer, Reinhold Roth und Toni Mang

Vize fährt Spitze

Ende der 1980er Jahre hatten die deutschen GP-Fans noch gut lachen.
Toni Mang, Helmut Bradl, Martin Wimmer, Manfred Herweh, Jochen Schmid
und Reinhold Roth sorgten in der 250er Klasse für spannende Rennen.
Hinter Toni Mang wurde 1987 Reinhold Roth Vize-Weltmeister
. Damals
noch MO-Redakteur traf ich den schnellen Allgäuer am Salzburgring zu
einem Fachgespräch und nahm auch gleich bei ihm eine Fahrstunde.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Scheibe, Archiv

 

Fachgespräch im Fahrerlager vom Salzburgring 1987
MO-Redakteur Winni Scheibe und Vize-Weltmeister Reinhold Roth


Salzburgring im Juli 1987 an einem Donnerstag Vormittag. Alle sind versammelt: Superstar Reinhold Roth, den ich gebeten habe, mir heute einmal zu zeigen, wie man mit einem aktuellen Rennmotorrad optimal umgeht. Den 250er Productions-Racer  für diese Übung hat Reiner Lang mitgebracht, der als Geschäftsführer des Rosenheimer Ford- und Honda-Händlers Eder das Motorradgeschäft leitet. Mit dabei auch Simon Zehner, er wollte in der 1987er Saison alle DM-Läufe mit eben dieser Honda bestreiten. Zehner musste allerdings nach mäßigem Saisonstart, einigen technischen Problemen und einem peinlichem Malheur die Rennerei Mitte der Saison an den Nagel hängen, nachdem er beim Spielen mit kleinen Kindern vom Heustadel gepurzelt  war ...



Honda RS250R Production-Racer. Gestrippt ist jedes Detail
des über 70 PS starken V2 Zweitakt-Renners gut zu erkennen


Wir sehen uns die 250er Honda in aller Ruhe an: Aluminium-Rahmen, Gussräder mit schlauchlosen Slick-Rennreifen, Scheibenbremsen vorn und hinten, wunderschöne Details überall. Und mitten drin das Zweitakt-Herz des Ganzen: Zwei Zylinder in V-Form, 250 ccm groß und über 70 PS stark.
Wir ziehen Vergleiche zu den Rennern der 1970er Jahre. Damals waren fast ausschließlich Yamaha-Rennmaschinen am Start. Bei denen saß man recht weit hinten, der Tank war lang und schmal und der Fahrer machte sich so klein, wie es ging. Die Renner damals hatten etwas über 50 PS im luft- oder wassergekühlten Zweitakt-Twin. Scheibenbremsen hatten sich noch nicht durchgesetzt. Bis 1975 waren die käuflichen Yamaha-Rennmaschinen mit riesigen Trommelbremsen vorn und hinten ausgerüstet, die natürlich auch sehr gut verzögerten, aber enorm schwierig einzustellen waren.
Diese Honda hier ist anders. Der Fahrer sitzt mindestens zwanzig Zentimeter weiter vorne am Lenker. Reinhold Roth erklärt warum: "Heute hat man den Piloten weiter nach vorne platziert, damit die Gewichtsverteilung zugunsten einer höheren Vorderachslast ausfällt. Das ist wichtig, damit das Vorderrad beim Beschleunigen am Boden und das Fahrzeug somit lenkfähig bleibt. Denn eine 250er wird heute sehr hart gefahren. Durch ihr geringes Gewicht und die irren Bremsen in Verbindung mit der überragenden Haftung moderner Slick-Rennreifen bremst man  unglaublich spät. Das Einlenken der Maschine in die Kurven und das Herumwerfen geschieht mit sehr viel Körpereinsatz, deswegen rutschen wir Fahrer ja auch auf der Sitzbank so herum. Mit dem Knie auf der Fahrbahn helfen wir mit, die Maschine in Schräglage zusätzlich zu lenken, denn wenn wir über beide Räder driften, dann dient das Knie als zusätzliche Stütze."



Fahrschule im Renntempo.
Reinhold Roth zeigt Winni Scheibe, wo es langgeht


Für meinen Lehrmeister haben wir eine Honda CBF600F mitgebracht. Er fährt voraus und zeigt mir die Strecke. Ich habe auf der Honda RS250R keine Mühe, zu folgen. Eine echte "Ideallinie" um den Kurs gibt es heute kaum mehr, was auch daran liegt, dass die Motorräder und die Fahrer so gleichwertig sind wie noch nie. Man muss dort fahren, wo Platz ist und das Beste aus diesem Streckenstück machen.
Doch ist auch heute noch wichtig, dass Fahrer und Maschine eine harmonische Einheit bilden. Besonders vor der Kurve muss alles passen: Anbremspunkt, Herunterschalten mit Zwischengas auf exakt den Gang, mit dem man in die Kurve hinein fährt. Durch die enormen Bremskräfte, die sich über den Vorderradreifen auf die Straße übertragen lassen, wird die Maschine hinten sehr "leicht", federt ganz aus. Es kann sogar passieren, dass das Hinterrad den Bodenkontakt verliert. Darum benutzt kaum einer der heutigen Rennfahrer die Hinterradbremse, denn wenn das Hinterrad in der Luft ist, würde die getretene Bremse das Rad sofort blockieren und die Maschine beginnt zu stempeln und lässt sich so nicht exakt in Schräglage bringen. Die Kurvenlinie ist also schon vor der Kurve kaputt - und der Gegner huscht vorbei.
Wahnsinnig überraschend ist für mich, wie schräg man mit den Radial-Rennreifen der neuen Generation durch die Kurven wetzen kann. Wenn sie warm sind, also ihre Betriebstemperatur von rund 65 Grad erreicht haben, dann bieten sie eine Haftung, wie ich sie nur vom Kaugummi her kenne, in den ich auf der Straße getreten bin.
Es ist auch tatsächlich so, dass heute kaum mehr ein Rennfahrer stürzt, weil er die Haftung seiner Reifen überschritten hat, vorausgesetzt es ist trocken, die Straße ist sauber und die Reifen sind passend zur Maschine, zur Felgenbreite und zur Strecke aufgezogen und auch sonst technisch in Ordnung.
Beeindruckend ist auch die Durchzugskraft des 250er V-Motors. Früher liefen die Yamaha-Rennmotoren nur sehr ruppig, vibrierten stark und nahmen unter 7500 Touren nur schlecht Gas an. Dieser membrangesteuerte Honda-Motor lässt sich fast so komfortabel fahren wie das Straßen-Triebwerk der Yamaha TZR250. Natürlich ist unter 6000 Touren kein wahnsinniges Drehmoment zu erwarten, aber immerhin kann man bummeln damit und ruckfrei Gas geben.
Satter Schub setzt bei 7000 Touren ein, bei 9000/min kommt dann die echte Leistung, die bis rund 12000 Touren anhält.  Schaltung und Trockenkupplung lassen sich sehr gut dosieren; das  umgedrehte Schaltschema (schalten in den nächsthöheren Gang durch Heruntertreten des Schalthebels; schalten in den nächstniederen Gang durch Hochziehen des Hebels) bereitet mir keine Probleme.



Die Honda RS250R, mit der Winni auf dem Salzburgring GP-Luft
schnupperte, war ein käuflicher Production-Racer.


Nach einigen Runden, die ich mit Freunden abgespult habe, fahre ich an die Boxen zurück. Wir laufen vor in die Fahrerlagerkneipe, setzen uns hin und reden von alten Zeiten. Reinhold weiß viel aus seiner zwölfjährigen Rennkarierre zu berichten: "Was habe ich früher geschraubt, Nacht für Nacht durchgearbeitet. Die Rennen damals waren meist Eintages-Veranstaltungen. Zweimal zehn Minuten freies und Pflichttraining, dann ins 50 km lange Rennen, das war alles.
Und wie oft gingen damals Kurbelwellen kaputt, fraßen Kolben im Zylinder, brach an den Auspuffen oder gar am Fahrwerk irgendetwas ab. Heute passiert es kaum noch, technische Ausfälle gehören in die Vergangenheit. Die Rennmotorräder von heute sind unheimlich zuverlässig geworden, was natürlich auch daran liegt, dass sich ihre Technik geändert hat: Die schlitzgesteuerten Motoren von früher hatten ziemlich große Löcher für Ein- und Auslass, in die die Kolben regelrecht hineinkippten. Dadurch hatten sie einen wahnsinnigen Verschleiß. Die aktuellen Membranmotoren saugen ja direkt ins Kurbelgehäuse an, es stört also kein Einlasskanal im herkömmlichen Sinne die Laufbahn des Kolbens.
In Sachen Fahrwerk haben die Reifen- und Stoßdämpfer-Hersteller große Fortschritte gemacht in den letzten Jahren. Es ist enorm, was sich über die eine Handbreit Gummi auf der Straße an Kräften übertragen lässt. Auch haben die Fahrwerksbauer gelernt, dass eine Rennmaschine nicht unbedingt mit wenig Federweg ausgestattet und damit unkomfortabel sein muss. Wir haben heute vorn rund 120 Millimeter Federweg, mehr würde beim Anbremsen einer Kurve zu starke Fahrwerks-Veränderungen bringen. Hinten sind es über 140 Millimeter, damit das Rad beim starken Bremsen vor Kurven weit ausfedern kann und damit Bodenkontakt hält."
Wir plaudern und plaudern, Reinhold raucht eine Zigarette nach der anderen, es ist fast wie früher, als wir miteinander Rennen fuhren. Mit dem einen Unterschied: Reinhold ist Profi-Rennfahrer geworden und ich habe mich der schreibenden Zunft zugewandt. Ein bisschen nachdenklich werde ich schon dabei.
Ob er unseren MO-Lesern noch etwas sagen will, frage ich Reinhold. Natürlich hat er Euch was zu sagen: „Rennfahrer haben andere Fahrstile als Straßenfahrer. Ich möchte alle Motorradfahrer im normalen Straßenverkehr bitten, sich nicht wie Rennfahrer zu gebärden und in jeder Kurve zu versuchen, mit dem Hintern neben der Maschine hängend das Knie auf die Erde zu bringen. Auch gefällt mir die Aggressivität, die manche Motorradfahrer an den Tag legen, überhaupt nicht. Wenn  Ihr schnell Motorradfahren wollt, dann geht auf eine Rennstrecke wie Salzburgring, Hockenheimring oder Nürburgring. Und wenn Ihr glaubt, Rennen fahren zu müssen, dann versucht es erst einmal in einem Marken-Cup, zum Beispiel dem Yamaha TZR 250-Cup. Ihr erspart Euch damit viel Ärger und persönliche Enttäuschungen."

Mir als Winni Scheibe bleibt noch zu sagen, dass ich wahnsinnig stolz darauf bin, vom schnellsten Fahrlehrer der Welt unterrichtet worden zu sein. Reinhold Roth wünsche ich, zusammen mit allen MO-Lesern, viel Glück für die nächste Saison. Hoffentlich ist die auch für Reiner Lang und für sein Honda-Eder-Team besser als die vergangene.


Reinhold Roth


Reinhold Roth, geboren am 4. März 1953 in Amtzell/Württemberg (Allgäu). Verheiratet mit der reizenden Elfriede, seit 1983 Vater eines Sohnes namens Mathias.
Gelernter Kraftfahrzeug-Mechaniker und Kaufmann. Lebt vom Rennfahren. Fährt einen Mercedes 190E, hört darin vornehmlich Rolling Stones und Elton John.
Fährt Rad und joggt täglich. Treibt Skilauf Alpin, wenn er Zeit hat. Widmet sich sehr gerne Frau und Kind und Pfeife. Ist immer freundlich und ausgeglichen, hat für jeden Fan ein offenes Ohr.


1975: Beginn der Rennkarriere auf Maico RS125. Erstes Rennen Zotzenbacher Berg, 3. Platz. Endabrechnung 15. im OMK-Pokal

1976:  Erster Sieg beim Flugplatzrennen Augsburg. 9. im OMK-Pokal 250 cm3 auf Yamaha TZ250

1977:
OMK-Pokalsieger 250- und 350 cm3-Klasse auf Yapol-Yamaha

1978:
Deutscher Meister Klasse 250 cm3 vor Toni Mang; 3. Rang Klasse 350 cm3 auf Yamaha

1979/1980:
Viele Verletzungen, viel Pech. Keine nennenswerten Platzierungen und Ergebnisse. Grauenhafter Sturz 1980 beim WM-Lauf in Paul Ricard am Ende der Mistral-Geraden, als der Motor festging. Trümmerbruch des linken Unterschenkels. Bis dahin Zehnter der aktuellen WM-Tabelle. Beide Jahre abgehakt unter "ferner liefen".

1981:
Deutscher Vizemeister der 500 cm3-Klasse. Dritter der DM 250 cm3. Dritter der Europameisterschaft 500 cm3. FKN-Yamaha 250 und FKN-Suzuki 500

1982:
Europameister der 250 cm3-Klasse. Deutscher Meister 500 cm3. Dritter der EM 500 cm3. FKN-Yamaha 250 und FKN-Suzuki 500

1983:
Deutscher Meister Klasse 250 cm3. Römer-HF-Yamaha 250

1984:
Deutscher Meister Klasse 500 cm3. Rang 13 der WM 500 cm3. Sensationelle Führung vom Start weg beim GP Italien in Misano, als Reinhold aus der dritten Reihe nach vorne schoss und das Rennen als Neunter beenden konnte. Honda RS 500-3

1985:
Neunter in der WM 250 cm3 mit 29 Punkten auf 250er "Römer-Juchem", Konstrukteurs-Wertung fünfter Platz

1986:
Deutscher Meister 250 cm3. 16. der WM 250 cm3, Honda RS 250

1987: Erster GP-Sieg beim WM-Lauf in Le Mans. WM-Führung in der ersten Saisonhälfte. Vizeweltmeister Klasse 250 cm3 auf Honda RS250 hinter Weltmeister Toni Mang

1988: Wieder Start in der 250 cm3-Klasse bei allen WM-Läufen. Sponsoren: Römer, HB-Zigaretten, Castrol, Michelin, etc. Honda RS250 Semi-Werksmaschine wie 1987.  Sturz und Beinbruch bei einem nicht zur Weltmeisterschaft zählenden Rennen. Der ersehnte WM-Titel war damit unerreichbar geworden, in der Endabrechnung aber trotzdem noch Fünfter in der 250er WM.

1989: Zwei GP-Siege und 250er Vize-Weltmeister auf Honda, lediglich geschlagen von Sito Pons.

1990: 250er WM auf Honda RS250. 17. Juni 1990 GP von Jugoslawien in Rijeka. Reinhold Roth verunglückt schwer und ist seit dieser Zeit ein Pflegefall. Die Betreuung wird in vorbildlicher Weise von seiner Ehefrau Elfriede, Familienangehörigen  und Pflegekräften erbracht


Fans und die Öffentlichkeit haben Reinhold Roth nicht vergessen.
Ein Bericht aus der Augsburger Allgemeinen 25/12 2011


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