Sport


Als Rennfan beim Sachsenring-GP 2006


"Backstages"

Die Aufgaben eines Sportreporters sind schnell beschrieben.
Im Fahrerlager bei den Akteuren Informationen sammeln,
Ergebnisse notieren und von den Rennen scharfe
Bilder machen. Mit Spaß am Zuschauen hat das nicht viel
zu tun - dieses Vergnügen haben die Schlachtenbummler.
Für den Sachsenring-GP 2006 hatte ich zwei Eintrittskarten
gewonnen und erlebte ausnahmsweise das Rennwochenende
mit meinem Freund Manne Loth mal als Zuschauer.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Eggersdorfer, Archiv-Loth, Archiv-Schönherr, Bastian, Scheibe




Aussicht von Hohenstein-Ernstthal auf den Fest- und Campingplatz Ankerberg
(Foto: Winni Scheibe)


M
anchmal macht man Dinge, an die man sich später kaum noch erinnern kann. Bei mir muss so etwas auf der Dortmunder Motorradmesse 2006 passiert sein. Mitte Juni bekam ich nämlich einen Anruf, ich hätte zwei Eintrittskarten für den Sachsenring-GP, Tribünenplatz T10-2, im Wert von 150 Euro pro Karte, gewonnen. Zuerst überlegte ich die Karten zu verschenken, aber schon wenig später kam mir die Idee als echter Rennfan zum Sachsenring zu fahren. So wie alle anderen Zuschauer auch, stilecht mit dem Motorrad und wen ich zum GP mitnehme wollte, wusste ich auch gleich, meinen alten Rennfahrerfreund Manne Loth. Manne ist Stammgast am Sachsenring, er war sofort begeistert.


Eintrittskarte im Wert von € 150,00

Helden in der Manege

 

(6 Fotos: Rolf Eggersdorfer)


Faszination Sachsenring



Internationales Sachsenring-Rennen 1990:
Vor 60.000 Zuschauern gewann Winni Scheibe 
den Sonderlauf für historische Rennmaschinen   
(2 Fotos: Tina Bastian)


BSA Métisse 750


Nur so zum Vergnügen hatte ich mir den Ausflug allerdings nicht vorgenommen. Bereits 1990, gleich nach Grenzöffnung, aber noch zu DDR-Zeiten, war ich zum ersten Mal bei einem Rennen auf dem Sachsenring. Damals hatte ich mit meiner 750er BSA-Métisse den Sonderlauf für historische Rennmaschinen gewonnen. Dieses Rennen vor über 60.000 Zuschauern werde ich nie vergessen, es war ein einzigartiges Erlebnis.



Volles Haus 1970:
Startplatz Sachsenring hier mit Rennlegende Karl Hoppe #15
(Foto: Rolf Eggersdorfer)


Dieses Mal wollte ich die Faszination des Sachsenring aus der Besucherperspektive erleben, wollte mich unter die Schlachtenbummler mischen, wollte mich auf die Tribüne setzen und wollte die Stimmung der Fans und das Dröhnen der MotoGP Triebwerke auf der Haut spüren. Der Sachsenring wirkt nämlich wie ein Magnet, seit jeher zieht diese Strecke unendliche Massen an. Rekordjahr war 1950, da kamen rund 450.000 Besucher, zum GP 2006 waren es aber auch gut 220.000 Fans - und ich war einer von ihnen. Doch schön der Reihe nach.



Schlachtenbummler am Sachsenring 2006
(Foto: Winni Scheibe)


Ohne Planung geht bekanntlich nichts. Und sei es nur die Unterkunft. Manne organisierte unsere Übernachtungen bei seinem ehemaligen Rennbootkollegen Klaus Schönherr in Mittelbach, er wohnt nur einen Katzensprung von der Rennstrecke entfernt. Bevor ich jedoch am Freitag bei ihnen eintrudelte, fuhr ich zunächst durch Hohenstein-Ernstthal und bekam den ersten Eindruck des Massenansturms. Je näher man der Rennstrecke kam, sie ist fast in den Ort mit eingebunden, um so voller wurde es. Ein Großteil der Besucher kam mit dem Bike, andere mit Autos, die bereits zu Fuß unterwegs waren, hatten längst einen Parkplatz gefunden oder ihre Gefährte auf dem Campingplatz stehen gelassen. Zwar nicht alle, aber unendlich viele trugen Rossi T-Shirts. Verdursten oder verhungern brauchte beim Anmarsch auch keiner, an den Verpflegungsständen wurde sicherlich das Geschäft des Lebens gemacht.



Rennfans:
Klaus Schönherr, Winni Scheibe, Manne Loth
(Foto: Schönherr)


Nach einer scharfen Linkskurve und gut 500 Meter weiter Richtung Ortsausfahrt war der Spuk aber auch schon wieder vorbei. Mein Freund Manne aus Berlin war bereits bei unseren freundlichen Gastgebern Schönherr und um was sich unsere Gespräche in der folgenden Zeit drehte, ist leicht zu erraten: MotoGP. Klaus und Manne sind bekennende Rennfans, beide waren einst aktive Motorradrennfahrer und später Rennbootsportler. Klaus brachte es 1985 zum DDR-Meister in der 350er Rennbootklasse, über Mannes Rennboot-Karriere könnte man ein Buch schreiben: dreifacher Weltmeister, dreifacher Vize-Weltmeister, fünffacher Europameister und 12facher Deutscher Meister. Dazu Träger des ADAC Sportabzeichens "Gold mit Brillanten" und Träger des "Silbernen Lorbeerblattes" der Bundesrepublik Deutschland, damit ist Manne Loth einer der erfolgreichsten Motorsportler Deutschlands überhaupt. 


Klaus Schönherr 350er DDR-Meister 1985
(Foto: Archiv Schönherr)


Roadracer:
Manne Loth beim NMB-Lauf 1975 in Holland
(Foto: Winni Scheibe)


Schatzkammer:
Über 2000 Trophäen hat Manne Loth erobert
(Foto: Winni Scheibe)



Prop-Rider:
Dreifacher Rennbootweltmeister Manne Loth

(Foto: Archiv Loth)


Diese Erfolge sind ihm nicht zu Kopf gestiegen, während seiner gesamten Motorrad- und Rennbootlaufbahn hat der Vollgasexperte seinen Beruf als Heizungs- und Sanitäts-Techniker ausgeübt. Auf das Abenteuer eines Profirennfahrers wollte sich der bodenständige Handwerker nie einlassen.
In dieser Gesellschaft lässt sich natürlich vorzüglich über den aktuellen Motorradsport diskutieren, aber auch Geschichten von früher kamen nicht zu kurz. Und so erfuhr ich, mit welchen findigen Tricks sich die Sportfreunde vor der Wende geholfen hatten. Oft ein gewagtes Unternehmen, wären so manche Sachen damals rausgekommen, das DDR-Regime hätte nicht lange gefackelt und saftige Strafen wären fällig gewesen.


Samstag:
Racing & Megaparty

Im Gegensatz zu früher, der unsäglichen DDR-Zeit, wollte ich gleich Samstagsmorgen Manne Loth ganz legal zu einer Ehrengastkarte verhelfen. Treuherzig bat ich für den verdienten Motorsportler im ADAC-Organisationsbüro um ein VIP-Ticket. Die Mühe war jedoch vergeblich, die Antwort sinngemäß "da könnte auch der Kaiser von China kommen". Eigentlich hätte ich so etwas erwarten müssen, in unserer schnelllebigen Welt zählen Verdienste offensichtlich ja nichts mehr. Aber trotzdem, der Versuch war es mir wert, ich wollte es wissen, ob es wirklich so ist und wieder hatte ich etwas dazu gelernt - oder auch nicht...
Auch Manne hatte mit dieser Abfuhr gerechnet, zum Glück hatten wir aber unsere Eintrittskarten und so schlenderten wir "inkognito" wie alle anderen Besucher durch den Zuschauerbereich.



Megaspektakel:
Sachsenring-Besucher 2006
(Foto: Winni Scheibe)


Wer sich über Langeweile beschwerte, war selbst schuld. Die Aktivitäten rund um die Rennstrecke lassen sich mit einem Vergleich zum Münchener Oktoberfest, Kölner Karneval und der Fußballweltmeisterschaft, und das alles auf einmal, beschreiben. Natürlich hatten alle Zeitvertreibe, oder im weitesten Sinne jedenfalls, etwas mit Rennsport zu tun. Wichtig war zunächst mal die Fanausstattung: Caps, T-Shirts, Poster und wer weiß was sonst noch wurde feil geboten. Und wie schon gesagt, der Schlager waren Rossi-Fanartikel. Aber längst nicht alles. Es gab Pavillons von den großen Motorradherstellern und Zubehörmultis und als Highlight hatte man immer wieder Top-Piloten zu Autogrammstunden verpflichtet. Wer von seinem Idol jedoch eine Widmung wollte, musste sich in Geduld üben, der Andrang war gewaltig.



Festmeile beim Sachsenring GP
(Foto: Winni Scheibe)


IDM-Starpiloten:
Arne Tode und Michael Schulten
(Foto: Winni Scheibe)


Ducati-Showdays:
Rennsport zum Anfassen
(Foto: Winni Scheibe)



Kolonnenweg:
Querverbindung von der Rennstrecke 
zum Ankerberg
(Foto: Winni Scheibe)

Motorradrennen und Spektakel am Sachsenring ist das eine, Megaparty auf dem Ankerberg das andere. Genau gegenüber von dem Speedway liegt dieser Hügel, der sich an diesem Wochenende in ein Camping-, Vergnügungs- und Festplatz verwandelt. Hier ist soviel los, dass man getrost einen eigenen Bericht darüber schreiben könnte. Böse Zungen behauten sogar, mache Biker kommen nur wegen des Superevents auf dem Ankerberg. Sei es wie es will, ein Besuch auf dem Hügel lohnt sich allemal, sei es nur wegen des gigantischen Blickes auf die Rennstrecke.



Schöne Aussicht:
Blick vom Ankerberg auf die GP-Strecke
(Foto: Winni Scheibe)


Wie echte Schlachtenbummler


Brückenschlag:
Zugang zum Infield
(Foto: Winni Scheibe)



Rastplatz:
Besucherbewirtung im Bereich Omega-Kurve
(Foto: Winni Scheibe)


Nachdem Manne und ich etliche Kilometer marschiert waren und ausgiebig Fanatmosphäre rund um die Rennstrecke geschnuppert hatten, machten wir uns auf den Weg in Richtung zu unseren Logenplätzen auf der Tribüne T10-2. Über eine breite Brücke gelangt man in das Infield und mit etwas Bergsteigererfahrung lässt sich der Hügel für die Stehplätze erkraxeln. Von hier oben aus kann ein Großteil der Strecke überblickt werden, oder wer sich vom Zuschauen erholen möchte, genießt die Biergarten- Atmosphäre. Verhungern oder Verdursten brauchte auch hier keiner, die Preise waren durch die Bank weg human.



Logenplatz:
Manne Loth als begeisterter Rennfan am Sachsenring 2006

(Foto: Winni Scheibe)



Affenzahn:
Mit gut 240 Sachen flitzen die MotoGP-Piloten vor einem vorbei

(Foto: Winni Scheibe)


Pünktlich zum Qualifying um 13:15 Uhr hockten wir endlich auf unseren Plätzen. Die Tribüne war gut halb besetzt, gleich neben uns saß ein junges Ehepaar aus dem Ruhrpott, das Rennwochenende hatte er von seiner Frau als Geburtstagsgeschenk bekommen. Erst waren die 125er, dann die MotoGP und zum Schluss die 250er Klasse an der Reihe. Unser großes Interesse galt natürlich den Viertaktern mit den Stars Rossi und Co. Von der Tribüne T10-2 schaut man auf eine langgezogene Linkskurve. Die MotoGP-Piloten kommen im unteren Teil der Strecke im 4. Gang mit rund 140 Sachen um die Ecke gebügelt, beschleunigen ihre Bikes in waghalsiger Schräglage das Bergaufstück weiterhin im 4. Gang auf gut 240 km/h und verschwinden dann hinter der Kuppe in Richtung Bergabstück gegenüber der Start-/Zielgeraden. Mal kamen einzelne Fahrer, mal ein ganzer Pulk vorbei. Hin und wieder bekam man Überholmanöver geboten, man konnte gut Vergleiche zu den Fahrstilen beobachten, auch ließen sich bei einigen Maschinen deutlich Fahrwerksunruhe erkennen.



"TV-Zuschauer"
(Foto: Winni Scheibe)


Wobei man die Fahrer allerdings gut im Auge behalten musste. Der Affenzahn, mit dem sie auf diesem Streckenstück an den Zuschauern vorbei flitzen, ist beachtlich. Auf Anhieb erkennen, welcher Fahrer gerade im Blickfeld ist, ist für einen als Zuschauer nicht gerade einfach. Die Startnummern lassen sich auf die Entfernung schlecht oder gar nicht erkennen, bleibt nur die Identifizierung durch die jeweilige Werbung auf der Verkleidung oder dem Design von Helm oder Lederkombi. All das muss man gut im Kopf haben, um zu wissen, ah, da ist eben Valentino Rossi, Colin Edwards, Nicky Hayden, Dani Pedrosa oder Marco Melandri vorbeigeflitzt. Die Großbild-Videowände rund um die Strecke sind zwar eine praktische Ergänzung um die Aktion auf der Strecke mit zu verfolgen, doch je nach Sonnenstand und Entfernung der Videowände lässt sich mal mehr, mal weniger sehen.


Ende gut - alles gut


Herr im Ring:
MotoGP-Sieger 2006 auf dem Sachsenring Valentino Rossi
(Foto: Rolf Eggersdorfer)


Manne, ein exzellenter GP-Experte und Stammgast am Sachsenring, ist mit diesen Gegebenheiten längst vertraut: "Wenn du das Renngeschehen im Rundenrhythmus verfolgen willst, bist du mit der Übertragung bei Eurosport 100mal besser bedient. Die Fights an der Spitze, die sensationellen Nahaufnahmen und die Perspektive der Onboard-Kameras kann nur das Fernsehen bieten. Willst du aber die Rennatmosphäre hautnah spüren, kannst du das nur als Besucher erleben." Und so waren wir uns schnell einig, erleben ist das eine, zusehen das andere. Nach einem gemütlichen Grillabend bei Schönherrs beschlossen wir Sonntag ganz frühmorgens nach Hause zu fahren. Manne war pünktlich zum Start der 125er in Berlin, ich schaffte es zum Start der MotoGP.
Die Tribünenkarten überließen wir Klaus Schönherr und einem Motorradfreund von ihm. Gemeinsam mit fast 100.000 begeisterten Schlachtenbummlern erlebten sie ein knallheißen und spannenden Rennsonntag.


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