Giacomo Agostini
"Memories of Ago"
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Mit 11 GP-Siegen ist
Giacomo Agostini der Superstar
vom Sachsenring. Zum 70. Geburtstag der
legendären
Rennstrecke 1997
kam er wieder, drehte etliche Ehrenrunden
und wurde wie früher als
Rennheld
gefeiert.
Text: Winni Scheibe
Fotos: Tina Bastian, Werner Reiß,
Rolf Eggersdorfer, Archiv, Scheibe
(Foto: Archiv)
www.Classic-Motorrad.de
Herausgeber Peter Frohnmeyer und
Giacomo Agostini
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Der
8. Juli 1990 ging in die Geschichte ein. An diesem Sonntag wurde
Deutschland Fußballweltmeister! Und ich feierte mit. Aber nicht wegen
der Kicker-WM, sondern weil ich mit meiner 750er BSA-Métisse den
Sonderlauf für historische Rennmaschinen auf dem Sachsenring gewonnen
hatte. Trotzdem, oder gerade deswegen, werde ich dieses Rennen vor über
60.000 Zuschauern nie vergessen. Bereits um acht Uhr wurden wir als
"Stimmungsmacher"
auf den Kurs geschickt. Allerdings nicht ohne Warnung. Rennleiter Walter
Tröger mahnte zur Vorsicht. Es nieselte, die Strecke war pitschnass und
extrem rutschig. Auf dem Bergaufstück am Badberg drehte selbst im
letzten Gang das Hinterrad der gut 70 PS starken
BSA-Métisse noch durch. Unwillkürlich dachte ich in diesem Moment an
die weiteren Rennklassen und an die möglichen Folgen. Rennen auf
Naturkursen werden in solchen Situationen zum unkalkulierbaren Risiko.
Abbrechen, aufhören, einpacken, nach Hause fahren, schoss es mir durch
den Kopf. Aber was passierte? Keiner blieb stehen, das Rennen lief
weiter, die Veranstaltung wurde nicht abgebrochen, und alle Fans rund um
den Sachsenring blieben bis zum Schluss der insgesamt zehn Rennklassen
da.
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Internationales Sachsenring-Rennen 1990:
Vor 60.000 Zuschauern gewann Winni Scheibe den Sonderlauf für
historische Rennmaschinen
(Foto: Tina Bastian)
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(Foto: Archiv)
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Eingebettet in die
Landschaft zwischen Hohenstein-Ernstthal, Waldenburg und Hermsdorf
war der rund 8,6 km lange Naturkurs für die Rennfahrer eine
gewaltige Herausforderung.
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Anfang der 70er Jahre wurden
einige 750er Triumph-Métisse für die englische
"TT-Formel 1" Meisterschaft gebaut. Bei Winni´s
Métisse werkelte ein fast baugleicher 750er
Dreizylinder-BSA-Rocket-Motor im vernickelten Rickman-Rahmen
(Foto: Tina Bastian)
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Die
Grenzöffnung zum Westen war gerade einige Monate her und
schon gab es das erste internationale Motorradrennen. Exakt
auf der Strecke, auf der zwischen 1961 und 1972 im Rahmen
der Motorradweltmeisterschaft der "Große Preis der
DDR" stattfand. Unvergessen sind die Siege der drei
Superstars. Giacomo Agostini gewann elfmal, Jim Redman
sechsmal und Phil Read viermal auf dem spektakulären
Straßenkurs.
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250er Rennen 1963:
#100 Honda-Werksfahrer Jim Redman
(Archiv: Eggersdorfer)
Drei Rennhelden 1997 am Sachsenring:
15facher Weltmeister Giacomo Agostini, sechsfacher
Weltmeister Jim Redman und
achtfacher Weltmeister Phil Read
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Und das war er
wirklich: Die rund 8,6 km lange Rennstrecke, normalerweise öffentliche
Landstraße, führte dicht an Sträuchern, Büschen und Bäumen vorbei,
mitten durch den Ort Hohenstein-Ernstthal, messerscharf entlang an
Bordsteinkanten und Häuserwänden, über Kanaldeckel, vorbei an einem
kleinen Weiher, dann ein Stück entlang saftiger, grüner Wiesen und zum
Schluss auch noch durch ein dichtes Waldstück. Von Sturzräumen oder
gar Sicherheitszonen war keine Rede. Ganz im Gegenteil. Die Zuschauer
durften an manchen Stellen so dicht an der Straße stehen, dass sie,
wenn sie gewollt hätten, bei ausgestrecktem Arm ihre Idole hätten
berühren können. Den letzten WM-Lauf 1972 gewann Giacomo Agostini
mit der 500er Werks-MV. Sieger des ersten und gleichzeitig letzten Superbike-Rennens
1990 wurde Manfred Fischer auf einer Honda RC 30.
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Beeindruckend 1970:
Startplatz Sachsenring hier mit Rennlegende Karl Hoppe
(Foto: Rolf Eggersdorfer) |
Am 30. Mai 1997 beim 70. Geburtstag des Sachsenrings fahre
ich wieder über die legendäre Strecke. Nun aber im Fond eines
GMC-Vans, am Steuer Stephan Elisat und daneben der fünfzehnfache
Weltmeister Giacomo Agostini. Eine komplette Runde ist allerdings nicht
möglich. Der Start-Ziel-Bereich wurde beim Bau der neuen
Sachsenring-Rennstrecke in diese einbezogen. Ago kann sich an diese
Stelle jedoch noch gut erinnern. Egal, was für ein Wetter herrschte,
erzählt er uns, die Tribünen waren immer bis auf den letzten Platz
besetzt. Wir starten unseren Ausflug hinter der Eisenbahnbrücke kurz
vor dem Ort Hohenstein-Ernstthal. Ago schüttelt den Kopf und meint,
hier habe sich ja kaum etwas verändert.
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Wenig weiter ruft er ´Stop´
und deutet in der Linkskurve zur Stadteinfahrt auf einen dicken
Betonpfosten am Straßenrand. Mit bedeckter Stimme erzählt er, dass
genau an dieser Stelle beim WM-Lauf 1969 Bill Ivy tödlich verunglückt
sei. Stephan hält an, wir steigen aus. Nichts erinnert an den
tragischen Unfall des Motorradweltmeisters, der Pfosten steht wie eh und
je kaum zwei Meter von der Fahrbahn. Wir laufen die Strecke ein Stück
zu Fuß weiter, Ago zeigt auf die Kanaldeckel, die Bordsteine und auf
die dicht an der Straße stehenden Häuser. "Hier sind wir mit Vollgas
durchgefahren, wir müssen verrückt gewesen sein", zeigt sich der
Multi-Champion nachdenklich. |
Giacomo Agostini zeigt Doc E. den Bereich,
wo am 13. Juli 1969 GP-Legende Bill Ivy mit der 500er
Vierzylinder-Zweitakt-Jawa tödlich verunglücke |
Ortsausgangs passieren wir eine neue
Shell-Tankstelle. "Die gab´s früher aber noch nicht?" stellt Ago
mit zweideutiger Frage fest. Ab hier geht´s fast geradeaus, hinunter zur
MTS-Kurve, am Weiher vorbei, und dann kommt das Stück, das direkt an
der Autobahn A4 vorbeiführt. Damals wurde die zur Strecke liegende Spur
einfach abgesperrt, man stellte Tribünen auf und erklärte den Bereich
zur Zuschauerzone. Ein zusätzlicher Platz war zwingend
erforderlich, schließlich kamen zwischen 200.000 und 250.000 Rennfans
zu den GP-Wochenenden. Wer dennoch keinen Sitz- oder Stehplatz
ergatterte, zimmerte sich einfach einen 3 bis 5 Meter hohen Hochsitz.
Nach der Jugendkurve, einem scharfen Linksknick, geht´s zurück in
Richtung Start und Ziel. Die Strecke ist hier gut ausgebaut, im
langgezogenen Kurvengeschlängele windet sich das Vollgas-Stück durch
einen Wald. Rechts am Straßenrand steht der "Guthrie-Gedenkstein".
Kurz nach dem Queckberg ist für uns der Ausflug beendet, der
nachfolgende Bereich gehört bereits zur neuen Rennstrecke.
(Foto: Werner Reiß)
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Der
Einfallsreichtum bei den Schlachtenbummlern wurde am Sachsenring
ganz groß geschrieben. Um tatsächlich auch alles genau sehen zu
können, bauten sich die ganz Mutigen abenteuerliche Hochsitze.
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Englischer GP-Haudegen: Phil Read |
Ago schrieb Autogramme bis zum
"Abwinken" |
Als
wir Phil Read von der Rundfahrt erzählen, fällt dem achtfachen
Weltmeister eine mysteriöse Geschichte ein: 1937, beim "Großen Preis
von Deutschland" lag sein Landsmann Jimmy Guthrie im 500er Rennen
haushoch in Führung. Für den englischen Norton-Werksfahrer, in seiner
Zeit einer der Größten, schien der Sieg sicher. Doch der englische
Rennstar Guthrie erreichte das Ziel nie. Unterhalb des "Heiteren
Blicks" kam er aus ungeklärten Gründen von der Fahrbahn ab. Noch
heute schwören viele Leute in England Stein und Bein darauf, dass die
Nazis den Werksfahrer vom Motorrad geschossen haben. Im "Dritten
Reich" waren Siege ausländischer Fahrer nicht gern gesehen...
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Mitglieder des "Fanclub-Sachsenring"
hegen und pflegen den "Guthrie-Gedenkstein"
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