"Das Sprachrohr"

"
Emotionen und Herzblut"

Ein Kommentar im Dezember 2009 von Wolfgang Fromm


Nostalgie ist in. Denken wir nur an den VW Käfer, den Mini oder die
Triumph Bonneville. Früher war zwar nicht alles besser, aber anders. Zum
Beispiel die Motorradwerbung. Damals, in den 1950er und 1960er Jahren,
setzten die Werbeabteilungen auf Emotionen. Fast immer stand der
Mensch im Mittelpunkt, lebensecht, mit Benzin im Blut.
Im Buch "Deutsche Motorräder Hier rollt das Wirtschaftswunder"
dreht Schrader-Motor-Chronik das Rad der Zeit in diese Epoche zurück.



Dieses kleine, handliche, im Motorbuch Verlag erschienene Sammelbändchen lockte mich schon mit dem Titelbild: eine grüne Zündapp KS601 mit Beiwagen und im Vordergrund eine hübsche, junge, sportliche Frau mit schlankem Bein, die neben ihrem Fahrer im Gras entspannt sitzt und sinnlich auf das Gespann schaut. Der "grüne Elefant" und ein hübsches Mädchen - der immer wiederkehrende Wunschtraum eines kleinen Jungen im großen Mann! Nur für die, die es nicht wissen: der Spitzname "grüner Elefant" resultiert aus der typischen Lackierung der KS601 im Farbton "Schweinfurter Grün" (Rot und Schwarz gab es auch) und wurde damals von der Redaktion "Das MOTORRAD" als Titel für einen Fahrbericht gewählt.


Erstes lustvolles Blättern in dem quadratischen Buch zeigt weitere schöne Prospekte, Plakate und Flyer, wie wir heute sagen würden. Da sehen wir Motorradfahrer, die sich lachend zuwinken und den reinen Fahrspaß auf dem Motorrad vermitteln. Mit Schiebermütze, manchmal sogar mit Sonnenbrille gegen den Straßenschmutz und Mücken gewappnet, brausen sie durch Wälder, erfahren die Gebirge und sonnen sich im Anblick ihres Motorrades an einem lauschigen Waldsee. Und immer wieder ist sie dabei, die kleine Freundin, die züchtige Ehefrau oder eine elegante Reisebegleitung, wie auch immer: die Lust der Menschen an der Natur, die Freude am Fahren, das leicht Erotische und das zufällige Finden von Gleichgesinnten steht in vielen Prospekten, Inseraten, Katalogen, Zeitschriftenbeilagen, Handzetteln oder Plakaten im Vordergrund.

 


Buch Seite 34


Buch Seite 64



Buch Seite 87


Hallo - hier fällt es mir so recht auf, wie weit unser Bild in der Werbung vom entspannten Motorradfahren zum nahezu inhaltslosen Düsen mit Hightechmaschinen verkommen ist. Lederkombi mit gesichtslosem Fahrer in verkrampfter Äffchenhaltung und weit gespreiztem Knie als Abstandhalter zum Asphalt, nein Danke! Der gesichtslose Motorradfahrer ist ja nicht nur ein Werbemonster, nein wir finden den auch bei Sonnenschein auf unseren Landstraßen. Das verspiegelte Visier, die in gekrümmter Haltung vorgefertigte Lederkombi mit den Kniepads sind in den vergangenen Jahrzehnten zum Synonym für den Motorradtraum geworden? - Beinahe! - Wäre da nicht die Fraktion der "Cruiser", "Easy Rider" und sonstiger "Outlaws" zusammen mit den "Oldtimerfreaks" immer stärker geworden. Sonst wäre die Motorradindustrie nicht klammheimlich auf den Pfad des Retrodesigns eingeschwenkt. Erspart bleibt uns Motorradfreunden hoffentlich der entseelte "Fantasy-Weg" der Autoindustrie, wo jetzt schon fahrerlose Autos über die Straßen tanzen, sich in ihre Teile zerlegen und zu Monstern werden. In Werbespots fliegen SUV`s wie einst die Drachen über Häuser und Gebrauchtwagen, um sie zu zermalmen. Werbekampagnen im Vorgriff auf die Volljährigkeit der heranwachsenden Computergeneration, die ohnehin schon ihre „reale Welt“ in den Animationsexplosionen Hollywoods verloren haben. So entstehen Bindungen, und jede Generation hat dann so ihre eigenen Träume.



Buch Seite 155



Buch Seite 159


Um die grafische Gestaltung geht es in diesem Buch hauptsächlich. Es ist der 75. Band einer Reihe „Schrader-Motor-Chronik", eine Jubiläumsausgabe mit den Auszügen aus den letzten 12 Bänden. Es ist ja kein Buch zum Durchlesen, sondern mehr zum Genießen der grafischen Darstellung. Leider erfährt man nichts über die Grafiker, schon etwas mehr über den Zeitgeist und sporadisch etwas über die Technik und über die Industrie. Aber schon beim zweiten Genießen fällt mir auf, dass ich keine Chronologie in der Zusammenstellung erkennen kann. Immerhin beginnt die Lust des Blätterns bei BMW und endet fast bei Zündapp, wenn da nicht noch die Firma Steib mit ihren Seitenwagen angehängt worden wäre. Nun kurz gesagt, ich kann hier leider keinen logischen Zusammenhang in der Zusammenstellung der Grafiken erkennen. Und selbst das Inhaltsverzeichnis gibt mir keine Hilfestellung, denn Steib kommt darin gar nicht vor. Nach einem Vorwort ist im Inhaltsverzeichnis vermerkt, dass ich mich ab Seite 8 über die Firma BMW und deren Werbung orientieren kann. Unbemerkt vom Druck gleiten wir trotz Schwarzweiß-Darstellung ab Seite 25 in den Farbteil 1 und folgen der Gliederung bis Farbteil 4. In drei dieser Farbteile taucht die Marke NSU auf, ohne dass man einen Zusammenhang ableiten kann. Es schleicht sich die Vermutung ein, dass beim Versenden des Manuskripts nach Ungarn, dort wo das Buch gedruckt und gebunden wurde, ein Unfall die Ordnung durcheinander brachte. Mein bevorzugtes Cover-Girl auf dem Zündapp-Poster befindet sich außerhalb des Inhaltsverzeichnisses, das nur bis Seite 165 ausweist, auf Seite 167! Das hat sie wirklich nicht verdient.



Buch Seite 165


Ein wirklich optisch ansprechendes Buch für den chaotischer Motorradfahrer, der gewohnt ist, in seiner Werkstatt auch nichts an dem Ort zu finden, wo es hingehört. Viele der aufgenommenen Grafiken lassen in der kalten Winterzeit mit einem wärmenden Gefühl im Herzen die Vorfreude auf den warmen Sommerwind, den Duft nach gemähten Wiesen, das Schwingen auf kleinen Waldstraßen aufkommen.


„Deutsche Motorräder“
Halwart Schrader
Motorbuch-Verlag
ISBN 978-3-613-03104-3
9,95 €


Text-Archiv: "Das Sprachrohr"


 
Home