Technik


Airbrush

"Custom-Painting"

  Lackieren ist das eine, Airbrushen das andere.
Dazwischen liegen Welten. Wie ein Airbrush-Motiv entsteht,
ließen wir uns im "Atelier fineline" zeigen.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Atelier fineline, Winni Scheibe




Individualismus wird in der Motorrad-Szene ganz groß geschrieben. Zwar gibt es längst für jeden und alles genau das passende Gefährt, aber auch das reicht scheinbar immer noch nicht aus. Stangenware ist nämlich mega-out. Es wird auf- und abgerüstet, getunt und veredelt. Ganz gleich ob Chopper, Tourer, Sportler, Enduro oder Klassiker. Ein Tun, von dem eine gewaltige Zubehörbranche profitiert! Nun ist es mit bloßem An- oder Umbau aber nicht getan. Um dem Bike letztendlich auch noch optisch eine ganz eigene Note zu geben, ist natürlich eine tolle Lackierung etwas ganz Wichtiges. Aber auch hier haben sich die Ansprüche gehörig gewandelt. Die Zeiten, dass jede Farbe erlaubt war, Hauptsache sie ist schwarz, sind längst vorbei. Bunt, möglichst grell oder gleich ein kunstvolles Airbrush ist angesagt.
"Airbrush", was soviel wie "Luftpinsel" bedeutet, ist eigentlich ein alter Hut. Genau genommen gab es so etwas schon in der Steinzeit. In den Höhlen von Lascaux in Frankreich wurden solche Kunstwerke entdeckt. Damalige "Airbrush-Künstler" pusteten Naturfarbpigmente durch Pflanzenröhrchen oder hohle Knochen auf die Felswände. Nicht mehr ganz so mühevoll war es für die Spezialisten vor gut 100 Jahren. Charles Burdik entwickelte die erste funktionstüchtige Airbrush-Pistole. Das Verfahren wurde überwiegend zur Fotoretusche genutzt. Kontraste, Schatten und Schärfe ließen sich so nachträglich bearbeiten. In den dreißiger Jahren bedienten sich Werbeagenturen der Spritz-Technik, um kunstvolle Illustrationen zu gestalten, und nach dem Zweiten Weltkrieg war das Airbrushen in den Bereichen Mode, Kunst, Cartoons und Science-fiction bald nicht mehr wegzudenken.


In der Motorrad-Szene ging der Spuk Anfang der achtziger Jahre los. Vorreiter waren, wie könnte es anders sein, die Amis. Zum alljährlichen Höhepunkt gehörte die Bike Week in Daytona Beach. Hier wurde der ganzen Welt vorgeführt, was sich mit einer Sprühpistole alles hinzaubern ließ. Es dauerte nicht lange, und es entstand eine regelrechte Airbrush-Art für Bikes. Bevorzugte Modelle waren natürlich Harleys, aber auch Gold Wing-Besitzer und andere Schöngeister fanden an den Blickfängen Gefallen. Man ließ die Maschinen mit allen möglichen Motiven veredeln. Die Bandbreite reichte von dezenten Schriftzügen, Landschaftsabbildungen bis hin zum anspruchsvollen Personen-, Tier- und Phantasieportrait. Es war dann nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Airbrush-Technik auch bei uns etablierte.
Echte Airbrushkünstler sind die Sprayexperten vom "Atelier fineline" in Eicklingen bei Celle. Anfang der neunziger Jahre haben sie ihr Grafik-Atelier eröffnet. Zunächst hatte man sich auf technische Illustrationen für VW und Audi sowie für Firmen aus der Werkzeugbranche spezialisiert. Bei den komplizierten, jedoch „künstlerisch trockenen", Phantomdarstellungen sollte es aber nicht bleiben.
"Durch unser gemeinsames Hobby, Motorradfahren, wussten wir schon seit langem, dass in dieser Szene ein großes Interesse an Speziallackierungen sowie anspruchsvollen und ausgefallenen Airbrush-Motiven vorhanden war. Und da uns diese Darstellungsweise sehr reizte, haben wir es einfach mal ausprobiert. Inzwischen gehört das Custom-Painting zu einem festen Bestandteil unserer Arbeit: „Zu den renommierten Kunden gehören Gloria von Thurn und Taxis, Armec-Deutschland sowie eine ganze Reihe von bekannten Harley-Customizern", wird verraten.
Im Vergleich zu technischen Illustrationen erfordert das Airbrushen auf Motorradteilen allerdings einen erheblich größeren Aufwand. Eine tadellose Vorarbeit ist immens wichtig. Hierbei vertraut man auf eine renommierte Lackiererei in Celle. Je nach Zustand der Flächen müssen sie gespachtelt, gefüllert und geschliffen werden. Ist der Lackiermeister mit der Ausführung zufrieden, wird eine sogenannte „Kontrollschicht" aufgetragen. Danach erfolgt von allen Blickrichtungen eine genaue Sichtkontrolle, eventuell muss man noch einmal füllern und feinschleifen, erst dann wird der eigentliche Basislack aufgetragen. Der erste, wichtige Schritt ist nun erledigt. Die Sachen kommen zurück ins Atelier fineline, mit der kunsthandwerklichen Arbeit kann es nun losgehen.

 




Ein Großteil unserer Kundschaft hat genaue Vorstellung davon, wie das Airbrush-Motiv aussehen soll. Entweder bringen sie gleich eine Vorlage mit oder wir suchen in unserem Archiv etwas Passendes aus", plaudert man aus dem Nähkästchen.
Für diesen Fall kann man eine umfangreiche Bibliothek vorweisen. Kunden, die mit ihrer Phantasie am Ende sind, bekommen bei diesem Angebot hundertprozentig neue Anstöße, ganz gleich, ob stimmungsvolle Landschaftsbilder, Indianer-Motive, Fantasy-, Erotik- oder Cartoondarstellungen, selbst Horrorgenres lassen sich finden.
Jedes Airbrush-Motiv entsteht in sämtlichen Abschnitten ausschließlich in Handarbeit. Das Verwenden von schnöden Abziehbildern würde prompt gegen die Berufsehre verstoßen. Detailgenau, unter Berücksichtigung der Anatomie und Perspektive sowie des jeweiligen Schattenwurfes, wird auf dem vorbereiteten Untergrund gebrusht. Um aber eine optimale Wirkungskraft zu erzielen, bedient sich das Team zusätzlich der Pinsel-, Kratz- und Tupftechniken. Ein Motiv nur zu airbrushen, würde selten das gewünschte Ergebnis bringen. Erst durch die Arbeitskombination mit der modernen Airbrush-Pistole und anderen klassischen Werkzeugen lassen sich Bildschöpfungen verwirklichen, die sich vielfach von einer Fotografie kaum unterscheiden.






Das gebrushte Motiv wird von uns sehr sorgfältig und filigran, regelrecht plastisch, ausgearbeitet. Durch die Pinsel-/ Kratz- und Tupftechnik ergeben sich Erhebungen und Vertiefungen, die, würde man sie unter einem Mikroskop betrachten, wie Berge und Täler aussehen", wird einem erklärt. "Diese Unebenheiten dürfen sich nach getaner Arbeit, die je nach Motiv einen Tag lang dauern kann, auf keinen Fall beim Handüberstreichen ertasten lassen. Und aus diesem Grund sind vielfach 10 oder sogar manchmal 20 Klarlackschichten nötig."

Diese Versiegelung erledigt wiederum der Betrieb in Celle. Wurde zum Beispiel auf der Oberseite eines Tanks ein Portrait gebrusht, wird aber nicht nur diese Stelle mit Klarlack überlackiert, sondern immer der ganze Tank. Nach jeder Klarlackschicht wird die gesamte Fläche mit 1000er Wasserschleifpapier feingeschliffen, und erst danach kommt die nächste Klarlackschicht darüber. Solange, bis die Fläche topfeben ist. Auch hier eine handwerklich anspruchsvolle und zeitaufwändige Arbeit. Und so darf man sich nicht wundern, dass alles, was mit Airbrushen zusammenhängt, kein billiger Spaß ist. Für ein anspruchsvolles Portrait auf dem Tank ist man schnell 500 bis 1000 Euro los, und wer sein Bike von vorn bis hinten mit Airbrush-Motiven verzieren möchte, darf ab 2500 Euro aufwärts rechnen.

Adresse
Atelier fineline
Schulstr. 3
29358 Eicklingen
www.atelier-fineline.de


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