Motorrad-Marken


Triumph Werksbesuch Juli 2011

Gentleman-like

Im Juli 2011 war Winni Scheibe das  letzte Mal, im Juni 1990 zum
ersten Mal, in Hinckley. Damals stand Triumph gerade für die Produktion
einer neuen Modellpalette in den Startlöchern. Neben Begeisterung
herrschte allerdings auch Skepsis. Längst bedarf es keiner
Fragen mehr, Triumph hat vorzüglich seinen Weg gemacht.

Text: Winni Scheibe
Fotos: Triumph, Scheibe



Triumph-Werk II 2011 in Hinckley


Es gibt Motorradmarken, die sind steinalt und trotzdem blutjung. Gemeint ist Triumph. Die Firmengeschichte teilt sich nämlich in zwei Kapitel, von 1902 bis 1983 und ab 1990 bis heute. Bereits 1902 fertigte das Werk die ersten Bikes, und schon in den 1920er Jahren war die Firma einer der weltgrößten Motorradhersteller. Diese Position konnten die Engländer bis in die 1960er Jahre halten. Zur Legende und zum Klassiker-Mythos wurde die Bonneville-Baureihe. Doch dann folgte der große Durchhänger. Verfehlte Modellpolitik sowie Streiks und Werksblockaden machten Triumph Anfang der 1970er Jahre schwer zu schaffen, der Schaden war gewaltig, wurde sogar irreparabel. Die Motorradfans wollten von den einst so flotten Ladys nichts mehr wissen. Wer Spaß am Motorradfahren hatte, saß längst auf einem japanischen Bike. Die britische Traditionsmarke war bis über die Hutschnur verschuldet, eine Zukunft gab es nicht.


1902-1983
Ende einer ruhmreichen Ära

1990
Start in eine neue Zeitrechnung

Verantwortlich für das Weiterbestehen von Triumph war John Bloor, ein wohlhabender englischer Unternehmer,
der 1983 alle Rechte von Triumph
erwarb. Sein Plan war es, mit zeitgemäßem Management und dem Einsatz von modernster Technologie
neue Triumph Motorräder auf den Markt
zu bringen.
 



Seit 1983 Triumph-Eigner John Bloor
(Foto: Scheibe)


Bis es allerdings so weit war, vergab Triumphboss Bloor von 1984 bis 1987 an Les Harris in Newton Abbot die Lizenz zum Weiterbau der traditionellen Tiger und Bonneville. Derweil wurde mit Hochdruck an dem neuen Konzept gearbeitet und gut eine halbe Autostunde von Birmingham in Hinckley die Triumph-Fabrikationshallen errichtet, in die bis zum Produktionsbeginn 1990 über 100 Millionen Mark investiert wurden. Pünktlich zur Kölner IFMA im Herbst 1990 konnte die Weltöffentlichkeit die neuen Modelle bestaunen. Was danach kam, klingt nicht nur wie eine Erfolgsgeschichte, es ist auch eine. Mit vollkommen eigenständigen Drei- und Vierzylinder-Modellen etablierten sich die Engländer auf dem Markt. Mit der Speed Triple wurden sie sogar als "Streetfighter vom Fließband" zum Trendsetter, um hier nur ein Highlight zu nennen.



Sensation 1994:
Triumph Speed Triple
(Foto: Scheibe)


Dann kam 12 Jahre nach Firmenstart die Katastrophe: Am 15. März 2002 zerstört ein verheerendes Feuer das Hauptwerk. Nach einmal kurz durchatmen krempelt John Bloor die Ärmel hoch und begann von vorne. Kaum ein dreiviertel Jahr später rollten die Triumphs wieder vom Produktionsband.


Stippvisite im Juli 2011 nach Hinckley


Nach meinem ersten Besuch im Juni 1990 war ich einige weitere Male im Triumph-Werk in Hinckley. Jede Reise hinterließ bleibende Eindrücke. Mitte Juli 2011 stand erneut ein Werksbesuch im Kalender. "Überraschungen haben wir nicht zu bieten, es gibt weder neue Modelle noch Prototypen zu sehen. Wir wollen mit diesem Besuch zeigen, wo Triumph heute steht", so die Ansage von Uli Bonsels, Pressesprecher von Triumph Deutschland.



Moderne Fliessbandproduktion im Werk II in Hinckley


Die britische Kultmarke verfügt inzwischen über zwei Standorte. Werk I und II in Hinckley, Werk III, IV und V in Thailand. Hier rollen nach höchsten Qualitätsansprüchen die klassischen Zweizylinder-Modelle, die Rocket 3 und Tiger 1050 vom Band. Alle anderen Baureihen über Street Triple, Speed Triple, Daytona 675, Sprint, Tiger 800 und Thunderbird werden in England gefertigt. Gut 1.600 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen, das rund 50.000 Motorräder pro Jahr baut. Triumph ist längst zu einem äußerst erfolgreichen Motorradhersteller geworden, die Firma schreibt schwarze Zahlen. Dieser Verdienst gebührt John Bloor, dem  die Marke - wie gehabt - als Privatperson gehört und der er sich mit aller Leidenschaft verschrieben hat. Ein Faible, das sich auf seine Leute überträgt!



Der Motorenzusammenbau erfolgt durch geschulte Monteure


In der werkseigenen Lackiererei werden die Bauteile lackiert


Mit großem Geschick erfolgt die Handlinierung


Endkontrolle der Maschinen


Factory-Worker mit Herzblut
Qualität steht an erster Stelle


Sind die Produktionsabläufe einerseits hochmodern, hat man anderseits als Besucher nie das Gefühl eine robotergesteuerte Factory zu besichtigen. Fast kann der Eindruck entstehen, hier werden mit Herzblut, Leidenschaft und Benzin im Blut die Triumph Motorräder zusammengebaut. Genau so, wie man es sich vorstellt. Überall ist pikobello aufgeräumt, der Boden ist so sauber, man könnte glatt von ihm essen. Die Belegschaft trägt einheitliche Hosen und blaue T-Shirts mit Firmen-Logo. Für die einzelnen Fertigungsabschnitte sind Teams zuständig, an den Wänden hängen Portraitbilder mit Namen der Mitarbeiter von den jeweiligen Arbeitsgruppen. Je nach Bedarf werden die Worker unterschiedlich eingesetzt, so kann es nie passieren, dass die "Handgriffe" zur sturen Routine werden. Bei Triumph arbeiten heißt nicht einfach nur einen Job erledigen, Triumph-Mitarbeiter sind gut ausgebildete Fachkräfte, die einen Bezug zur Marke und zu ihren Motorrädern haben. Werden sie auf dieses Thema angesprochen, geben sie unumwunden zu, stolz auf die Firma, auf die Bikes und auf den wirtschaftlichen Erfolg zu sein.



Die Montage der Triebwerke erfolgt Schritt für Schritt manuell. Für die Einhaltung der Qualitätssicherung  begleiten, vom ersten Handgriff
bis zum fertigen Motorrad, alle Fertigungsabschnitte,  Protokoll-Checklisten. Mit dieser Dokumentation lässt sich exakt nachvollziehen, wo, wann und wer welche Arbeit erledigt hat.




Bevor die Maschinen ausgeliefert werden, durchlaufen sie einen Testzyklus auf dem Prüfstand


Mit der Tiger 800 und Tiger 800 XC ist Triumph ein großer Wurf gelungen



Gut verpackt warten die Sahnestücke auf die Auslieferung


Good Day Sunshine



Testfahrt mit der Triumph Tiger 800 XC


Nach der morgendlichen Pressekonferenz mit anschließender Werksbesichtigung stand als Weiteres eine Ausfahrt zur Triumph-Teststrecke auf dem Programm. Wie es sich für ein ordentliches Motorradwerk gehört, parkten vor dem Eingang zum Hauptgebäude akkurat aufgereiht eine Vielzahl Modelle aus dem aktuellen Angebot. Ein Teil dieser Bikes war für uns Journalisten reserviert. Meine Wahl fiel auf die neue Tiger 800 XC. In kleinen Gruppen hatten wir schnell das Werk II in Hinckley hinter uns gelassen und fuhren über verwinkelte Nebenstraßen zu einem gut 30 km entfernten ehemaligen Militärflugplatz, der inzwischen zu einem Testcenter umfunktioniert wurde.
Englische Landstraßen sind ein Genuss, auch das Wetter zeigte sich wie bestellt von der besten Seite. Zufrieden summte ich den Beatles-Song "Good Day Sunshine" vor mich hin. Wie ein Lindwurm schlängelte sich die Straße vorbei an blühenden Feldern und satt-grünen Wiesen durch die Landschaft. Anstelle von Leitplanken säumten schulterhohe Hecken den Straßenrand. In manchen Kurven wuchs das Strauchwerk so dicht an der Fahrbahn, das man, wenn man den linken Ellebogen ausgestreckt hätte, die Äste berühren konnte. Linker Ellebogen deswegen, in England gilt Linksverkehr. Links fahren heißt allerdings auch erhöhte Aufmerksamkeit, besonders beim Abbiegen oder Auffahren auf Straßen: "rechts gucken, links fahren". Hilfreich war der relaxte Verkehrsfluss. Keiner drängelt, keiner schupst. Nur wenige Ampelkreuzungen stoppten unseren Fahrfluss und falls es doch mal Knotenpunkte gab, löste ein Kreisverkehr das Problem.


Bremstest bis in den ABS-Regelbereich



Bremstest mit der Tiger 800 XC


Das Testgelände "Bruntingthorpe Proving Ground" hielt die Erwartungen. Breite Fahrbahn, Kurvengeschlängele und  große Freiflächen. Bevorzugten die Kollegen das Herumheizen auf der Teststrecke, entschied ich mich für mein Lieblingsthema: ABS-Bremstest. Fast alle Triumphs gibt es mittlerweile mit ABS. Ausnahmen sind die klassischen Bonneville-Baureihen, die Daytona 675 und die Street Triple Modelle. Die, so die Zusage von Triumph, demnächst auch den Bremsassistenten bekommen werden.

Pressetage werden von den Journalisten oft selbst im Bild dokumentiert.  Vielfach engagiert die gastgebende Firma aber auch  einen Profifotografen, der die gewünschten Bilder macht.



Winni Scheibe steht für den Triumph-Fotograf Modell. Allerdings nicht zur Erinnerung
fürs Fotoalbum, sondern um dem Profi
bei der Zuordnung der vielen Bilder die
Arbeit zu vereinfachen.


Bremsen ist bekanntlich nicht gleich bremsen. Im normalen Fahralltag wird selbst von alten Hasen nur ein Bruchteil der tatsächlichen Bremsleistung abgerufen. Warum auch? Der Fahrrhythmus ist zügig und harmonisch, da haben Gewaltbremsungen nichts zu suchen.  In einer Notsituation vertrauen sie darauf, alle andern selbstverständlich auch, dass es schon klappen wird.
Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Wird in einer Schrecksituation ein Motorrad ohne ABS voll abgebremst, kann es passieren, dass die Räder blockieren, und ein stehendes Vorderrad führt fast immer zum Sturz. Verhindern kann diesen Stunt  nur ein reflexartiges Lösen des Bremsdruckes oder eben ein ABS. Das wirkungsvolle Bremsen mit ABS will allerdings geübt sein. Das bedeutet, bei Vollbremsung Bremse immer im ABS-Regelbereich halten!
Selbst wir erfahrenen Motorradjournalisten müssen diese Herausforderung immer wieder trainieren. Herausforderung deswegen, weil eine Vollbremsung im ABS-Regelbereich aus höherer Geschwindigkeit bis zum Stillstand nicht von Pappe ist. Um so willkommener waren mir  die Testfahrten auf dem ehemaligen Flugplatz. Zunächst war die Tiger 800 XC auf der langen Startbahn aus 100 und dann aus 150 Sachen an der Reihe. Im fliegenden Wechsel folgte die Tiger 1050. Beide Maschinen erledigen ihre Aufgabe hervorragend, ein leichtes Pulsieren im Handhebel signalisiert eine klare Rückmeldung.  Das wirklich Entscheidende bei diesem Training ist aber die Erfahrung, welche enormen Bremsleistungen möglich sind,  welche Handkraft hierfür erforderlich ist (während des gesamten Bremsvorganges muss die Vorderradbremse so stark betätigt oder auch gehalten werden, dass sichergestellt ist, dass der Stopper im ABS-Regelbereich arbeitet!) und wie schnell man zum Stehen kommt.

Hierzu ein interessanter Vorschlag:
Bei dem nächsten Stammtisch fragt man seine  Motorradfreunde, was sie schätzen, wie viel tatsächliche Bremszeit, ohne Berücksichtigung der Reaktions- und Ansprechzeit der Bremsanlage,  von 100 Sachen, die fährt jeder auf der Landstraße, bis zum Stillstand vergehen. Da die wenigsten je darüber nachgedacht haben, sollte man die Antworten von fünf, sechs oder gar zehn Sekunden nicht allzuhoch bewerten. Richtig wäre, nur rund drei Sekunden. Oder in Worten: einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig und schon steht man!


Für Motorradfahrer sind Kurven das Salz in der Suppe


Eine noch größere Herausforderung ist das Bremsen bis zum Stillstand in Schräglage, oder praxisgerecht ausgedrückt, in Kurven. Dieses Training lässt sich aus Sicherheitsgründen im öffentlichen Verkehr allerdings kaum durchführen, von solchen Übungen ist hier auch strikt abzuraten. Ganz anders auf der weitläufigen Freifläche des Ex-Airports.
Nach zwei Runden hatte ich mich auf etwa 70 Sachen eingeschossen, ein Teerflicken diente mir als optischer Bremspunkt. Zunächst behutsam, von Mal zu Mal kräftiger wurde via Vorderradbremse eine Bremsung bis zum Stillstand eingeleitet. War das Aufstellmoment vom Vorderrad zunächst gering, wurde es mit verschärfter Bremsung immer stärker. Das Motorrad richtete sich trotz bewusstem Gegendrücken (Lenkimpuls) auf und fuhr während des Bremsvorganges geradeaus weiter. Die Kräfte, die das Aufstellmoment bewirkten, waren enorm. Kommt man bei diesem Bremstest in den ABS-Regelbereich, wird das Motorrad unlenkbar, es fährt schnurgeradeaus.
Für Motorradfahrer lässt sich diese Erfahrung nur unter Anleitung eines erfahrenen Instruktors durch Ausprobieren in einem Sicherheitstraining machen. Für die eigene Fahrsicherheit ist diese Übung aber fast schon unverzichtbar. Sollte man unverhofft in solch eine Situation kommen, ist man besser vorbereitet, kann entscheiden, ob in einer Rechtskurve der Bremsweg auf der eigenen Fahrbahn noch reichen wird oder  schnurgeradeaus in die Gegenspur führt.  In Linkskurven das gleiche Szenario. Nur dass hier vielfach Leitplanken, Gräben oder andere Begrenzungen keinen Platz für den Bremsweg lassen. Keine guten Aussichten, bleibt letztendlich nur zu hoffen, dass man nie in diese Verlegenheit  kommt.
Zur Ehrenrettung der Tiger 800 XC und Tiger 1050 sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Phänomen nichts mit Triumph Bikes und  auch nichts mit dem ABS zu tun hat, sondern das Aufstellmoment eine physikalische Eigenschaft ist, die jedem Motorrad anhaftet.



Bremstest mit der Tiger 1050 auf der weitläufigen Kreisbahn in "Bruntingthorpe Proving Ground"


Fazit:
Es tut der Motorradfahrerseele verdammt gut, dass es außer den bewährten japanischen Motorradangeboten, den kultigen Harley-Davidsons, den feurigen Italienern, den guten deutschen BMWs, nun schon seit 21 Jahren mit Triumph eine Marke gibt, die sich durch Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit abhebt. Hut ab!


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